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Begabung alla Bolognese, oder: Warum die Bachelorstudierenden so viel besser als ihr Ruf sind

Ach, der Bolognaprozess. Hörnse mir uff. Mal abgesehen von dem ganzen bürokratischen Wahnsinn, den das für die Unis nach sich zieht, wirkt sich die Verschulung, Modularisierung etc. auch auf das Studierverhalten aus. Der Plan war ja eigentlich wohl mal, dass man international studieren kann, dann zu Hause seine Credit Points angerechnet bekommt und dann ohne Zeitverlust seinen Abschluss machen kann. In der Praxis funktioniert das eher bedingt: Im Gegenteil stehen die Studierenden unter einem irrwitzigen Zeitdruck, Klausuren müssen geschrieben, Hausarbeiten abgegeben werden, und das in einem Tempo, dass man mit den Ohren schlackert. Die Studierenden selbst fügen sich nahtlos in das System ein: Ab in die Stromlinie, ja nicht kritisch denken, weil das ja ablenkt, und sich selbst dann möglichst schnell dem ökonomischen Verwertungsprozess zuführen. Könnte man meinen, wenn man die Vorurteile mal hört. Die Wahrheit liegt aber ganz woanders.

Februar 2011

Von: Prof. Dr. Tanja G. Baudson


Ach, der Bolognaprozess. Hörnse mir uff. Mal abgesehen von dem ganzen bürokratischen Wahnsinn, den das für die Unis nach sich zieht, wirkt sich die Verschulung, Modularisierung etc. auch auf das Studierverhalten aus. Der Plan war ja eigentlich wohl mal, dass man international studieren kann, dann zu Hause seine Credit Points angerechnet bekommt und dann ohne Zeitverlust seinen Abschluss machen kann. In der Praxis funktioniert das eher bedingt: Im Gegenteil stehen die Studierenden unter einem irrwitzigen Zeitdruck, Klausuren müssen geschrieben, Hausarbeiten abgegeben werden, und das in einem Tempo, dass man mit den Ohren schlackert. Die Studierenden selbst fügen sich nahtlos in das System ein: Ab in die Stromlinie, ja nicht kritisch denken, weil das ja ablenkt, und sich selbst dann möglichst schnell dem ökonomischen Verwertungsprozess zuführen. Könnte man meinen, wenn man die Vorurteile mal hört. Die Wahrheit liegt aber ganz woanders.

 

Ich persönlich bin Fan von Bachelorstudierenden, seit ich meinen ersten Kurs unterrichtet habe. Als experimentierfreudige Dozentin hatte ich mir zum Thema "Kreativität" überlegt, kein "klassisches" Seminar zu halten (wöchentlich nachmittags von zwei bis vier, mit anderthalbstündigen Powerpoint-Präsentationen und garantiertem Postprandialkoma), sondern das Ganze als Blockseminar am Wochenende zu veranstalten. Kreativität ist ja bekanntlich ein weites Feld. Mir war wichtig, die Studierenden dieses Feld auf eigene Faust erkunden zu lassen: Neugier und intrinsische Motivation halte ich für sehr gute Lernvoraussetzungen, und damit auch letzteres genug Raum erhält, habe ich versucht, jeder/m ein Thema zu geben, das sie/ihn wirklich fasziniert. Diese waren in der Regel weit gefasst (z.B. "interkulturelle Unterschiede", "Kreativitätstechniken", "Genie und Wahnsinn"), sodass eine Teilaufgabe war, das, was man präsentieren wollte, erst mal zu umzingeln. Die Präsentationszeit hatte ich nämlich auf 10-15 Minuten begrenzt, ich Schelm ;) -- Damit sich die Leute aber auch im Vorfeld der eigentlichen Seminarsitzung schon mit dem Thema auseinandersetzen, hatten wir ein kollektives Blog ins Leben gerufen: zunächst pro Woche, später alle zwei Wochen ein obligatorischer Eintrag (die Anpassung war nötig, weil die TeilnehmerInnen die Beiträge der anderen gerne mehr kommentieren wollten – war mir recht). Leitfragen: mein Thema; meine eigene Kreativität; beobachtete Kreativität im Alltag. Das Ganze fand auch noch auf englisch statt – und ich war hin und weg über das Niveau der Reflexionen, die da zum Ausdruck kam. Überlegungen, die schon renommierte Forscher angestellt hatten, und auf die diese Drittsemester von selbst kamen; Parallelen, die mir so gar nicht aufgefallen wären; witzige Beobachtungen ... klasse, echt. Das Seminar selbst war äußerst kurzweilig und trotz des anstrengenden Wochenendtermins (wo einige noch vorher ein anderes Seminar gehabt hatten) eine ganz tolle Erfahrung. Die Präsentationen deckten eine breite Themenspanne ab: von der Erläuterung des Big C-Pro C-Small c-mini c-Konzepts anhand eines eigenen Kreativprojekts über selbst entwickelte Fragebögen, heißen Diskussionen zur Kreativität von Computern und allerhand mehr ging es echt ab.

Was mich sehr zum Nachdenken angeregt hat, war, wie hungrig die Studis die ihnen gegebene Freiheit angenommen haben – und wie engagiert sie etwas daraus gemacht haben. Das Seminar war sicherlich nicht wenig arbeitsintensiv, und das bei all den anderen Anforderungen des Studiums; um so beeindruckender das Ergebnis. Ich glaube, wenn wir Potenzial zur Blüte bringen wollen, ist eine solche Einzäunung des Geistes, wie sie durch die Verschulung der Uni stattfindet, der falsche Weg. Studierende sind intelligente Menschen; sie wollen selbstständig denken und sind dazu auch ganz klar in der Lage – diese Erfahrung nehme ich aus dem Seminar mit. Und werde im nächsten Semester schauen, was man an dem Konzept noch verbessern kann. Den Kolleginnen und Kollegen kann ich auf jeden Fall nur empfehlen, einfach mal den Versuch zu wagen, im Rahmen der Möglichkeiten aus dem curricularen Korsett auszubrechen. Es lohnt sich definitiv – für alle Beteiligten.