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Das Wasserwaage-Prinzip oder warum Hochbegabte immer ein Defizit haben müssen

Tja, da haste Pech gehabt! Hochbegabt, aber bestimmt klemmt's irgendwo, halt doch ein wenig bescheuert, merkwürdig oder kauzig, Pech mit den Frauen, Quadratzahlen im Kopf, aber nichts in den Armen – defizitär eben! Mit spitzem Schmunzeln schreibe ich diese Zeilen, die ohnehin meist gedacht, und hie und da auch gesagt und geschrieben werden.

November 2011

Von: Götz Müller


Tja, da haste Pech gehabt! Hochbegabt, aber bestimmt klemmt's irgendwo, halt doch ein wenig bescheuert, merkwürdig oder kauzig, Pech mit den Frauen, Quadratzahlen im Kopf, aber nichts in den Armen – defizitär eben! Mit spitzem Schmunzeln schreibe ich diese Zeilen, die ohnehin meist gedacht, und hie und da auch gesagt und geschrieben werden.

Da ist es mir schon wieder passiert: Ich wollte eigentlich über ein ganz anderes Thema schreiben, doch geht das jetzt nicht. Verzeihen Sie mir den folgenden Blog im Stile eines Tagebucheintrages, denn eigentlich wollte ich mich dem Wasserwaage-Thema ein späteres Mal und sicherlich gelassener widmen. Aber wir sind nun mal gerade jetzt von einer Geburtstagsfeier zurückgekommen, deren Themen zumindest an meinem Tisch irgendwann eine Nähe zur Psychologie fanden und auf einmal bei Hochbegabung und Hochbegabten landeten. Das ist grundsätzlich erfreulich, doch tauchten ausschließlich Aussagen auf, die ich mit dem Modell der Wasserwaage vergleiche. Super!

Mist! Mittlerweile habe ich die die Feier beschreibenden Zeilen dreimal gelöscht, wieder eingefügt und mich nun entschieden, Sie nur darauf hinzuweisen, dass ich es in der illustren Runde nicht geschafft habe, aufzustehen und mein Bier woanders zu trinken ...

Nun nähern wir uns doch oben aufgeführten Aussagen mit halbwegs klaren Gedanken zu später Stunde: Woran könnte es liegen, dass Hochbegabte bspw. in sozioemotionalen oder motorischen Bereichen Defizite haben?

Betrachten wir hierzu zunächst einfache Prozesse der Entwicklung: Mit der Fähigkeit, Informationen schneller verarbeiten zu können, entwickeln sich beim besser bzw. hochbegabten Kind grundlegende Prozesse der einfachen Mustererkennung und -verarbeitung schneller. Demzufolge können höhere gedankliche Mechanismen schneller entwickelt werden. Ein kleines Beispiel zur Verdeutlichung: Bitte addieren Sie 9 und 8. Sind Sie auf 17 gekommen, ohne mit den Fingern abgezählt zu haben? Prima! Dann erinnern Sie sich an die Zeit, in der Sie als Erst- oder auch Zweitklässler die Schulbank gedrückt haben. Wie lief's denn da ab? Wahrscheinlich mit Fingern. Jetzt können Sie es deswegen auch ohne, weil sich das Gehirn die Muster gemerkt, wiederholt erinnert hat und in höhere Muster überführen konnte. Und so läuft das bei Hochbegabten. Sie sind schneller.

Nun ergänzen wir, dass Lernen Spaß macht. Lernfreude ist ein wichtiges Gut, dass uns Mutter Natur auf den Weg gibt, damit wir als Menschen überleben können. Anpassungsfähigkeit für andere Zeiten in den Genen eben. Wenn nun das hochbegabte Kind in der Entwicklung in akademischen Bereichen (allein das ist eine Einschränkung, der nicht unreflektiert zu folgen ist!) eine erhöhte Lernfreude erfährt, ist anzunehmen, dass es sich diesen verstärkt zuwendet. Auch ist denkbar, dass andere Bereiche – bspw. die sozioemotionaler Art – weniger Lernerfolg bzw. -freude aufkommen lassen. Das Interesse verlagert sich. Wir können weiter folgern, dass nun eine Fokussierung aufs Schöne und eine Vermeidung des Unschönen zustande kommt und Hochbegabte somit schlichtweg einen Häufigkeitsmangel erleiden: Sie können weniger Muster entwickeln, dies führt zu entsprechenden Mängeln bspw. in der sozialen Interaktion (ähnlich wie beim Menschen mit autistischen Zügen) und somit zu Veränderungen in der Gesamtpersönlichkeit, die dann zu Attributen wie Kopfmensch, Sportlegastheniker oder Gefühlskrüppel führen. Gibt es Ergänzungen?

Lässt sich diese Annahme belegen? Zur vorgerückten Stunde habe ich keine Bücher mehr gewälzt oder nach aktuellen Artikeln online recherchiert, nein, ich suche mal platt in den meinen Mustern, auf die ich noch zugreifen kann: Meines Wissens nach nicht!!! Abgesehen davon, dass ich nicht dazu in der Lage bin, ableiten zu können, dass die Wahrnehmung und Verarbeitung von Gestik, Mimik und Stimme als Grundlage sozialer Interaktion sich in ihren Grundzügen von der anderer Muster unterscheidet, nehmen wir bspw. den Ansatz der Emotionalen Intelligenz, über den schon geschrieben ist. Sie ist weder unabhängig vom IQ noch hält sie notwendigen wissenschaftlichen Kriterien stand. Nehmen wir Daten aus repräsentativen Untersuchungen, die keineswegs belegen, dass Randständigkeit und Andersartigkeit mit oben genannter Konnotation spezifische Merkmale Hochbegabter sind – im Gegenteil: Prädikat „lebenstauglich“. Gut, man könnte dem Laien zugute halten, dass insbesondere Einzelfälle, die medial entsprechend aufbereitet werden, zu einer Verzerrung der Sichtweise führen. Zugegeben: Gleiches gälte für Einzelfälle aus bspw. der eigenen Nachbarschaft, wenngleich bei ausführlicher Recherche im Netz dann auch ein paar korrigierende Informationen zu finden sind. Und der Rückschluss auf das Interesse der Medien, exakt das Genannte darzustellen, liegt auch auf der Hand.

Somit stellt sich doch die Frage, worauf die Annahme fußt, dass Hochbegabte immer ein Defizit haben müssen. Antwort: Wasserwaage eben! Wenn links mehr, dann rechts weniger oder umgekehrt. Das Modell hat zur Grundannahme, dass jedem Mensch ein bestimmte Summe an Eigenschaften gegeben ist. Die zu füllende Flasche ist für jeden gleich groß (welche Grundannahmen und Weltanschauungen können wohl dahinter stehen?!). Und wenn von einem Anteil mehr im Paket ist, muss woanders wieder weniger sein. Sonst stimmt es ja nicht.

Ich frage mich, wie dies zu erklären wäre, wenn wir über Körperlänge sprächen. Ich bin in etwa 1,75 m groß. Ist prima, da ich noch gerade so im mittleren Bereich der Normalverteilung liege! Für die Norm wird nämlich am besten gesorgt und bestens produziert, was nur selten von Nachteil ist (wenn bspw. die Schnäppchen im Sommerschlussverkauf vergriffen sind). Wir sind die Masse! Yeah! Wie denke ich also über Menschen, die 1,87 m oder größer sind? Gut, beim Basketball haben sie Vorteile, auf den Küchenschrank reichen sie auch leichter. Könnte eine Bedrohung für mich sein, wenn die Welt irgendwann mal nur Basketball spielte oder die Küchenschränke höher baute. Aber haben die nicht alle grundsätzlich irgendwelche Probleme?! Bestimmt haben sie mehr Rückenprobleme, die Wirbelsäule verbiegt sich und sie müssen mehr Geld für größere Autos ausgeben oder sonst was. Zumindest wäre das doch viel besser für mich Relationskleinwüchsigen! Ich möchte es kurz machen, da es schon spät ist, obwohl es mir in den Fingern juckt! Ergo: Ist nicht die Grundlage für diese Art des Umgangs die Angst, wortwörtlich überfordert zu werden? Muss nicht in mir ein instinktiv veranlagtes Moment dafür Sorge tragen, dass bloß meine Gene weitergegeben werden? Lange Menschen sind blöd! Pure Selbsterhaltung! Wäre die Ausrichtung der Umwelt auf minimal 1,87 m nicht das Todesurteil für mich? Ist es denn so schlimm, dass ich überleben will und Wasserwaage-Denker werde?

Vorsichtiger formuliert: Auf Grundlage der Normalverteilung der Intelligenz ist diese Tendenz zur Mitte, die selbstverständlich von der Mitte ausgeht und das Wasserwaage-Prinzip samt Verhaltensweisen einschließt, ein absolut zweckmäßiges Prinzip. „Wir“ schützen uns letztlich vor einem zu schnellen und auch zu langsamen Fortschritt der Menschheit, der uns im Gesamten bedrohen könnte. Wenn das mal nicht i n t e l l i g e n t von Mutter Natur ist …

Und nun: Gute Nacht!