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Das wirkliche Leben

Diskussionen über den Zusammenhang zwischen IQ und Lebenserfolg sind keineswegs neu und keineswegs unerforscht. Sie tauchen immer wieder auf und zeigen doch, dass oft subjektive Theorien – eben individuelle Lebensgeschichten – im Alltag vorherrschen und einen sachlichen Umgang mit Hochbegabten erschweren. Ist das wirkliche Leben wirklich anders?

September 2010

Von: Götz Müller


Diskussionen über den Zusammenhang zwischen IQ und Lebenserfolg sind keineswegs neu und keineswegs unerforscht. Sie tauchen immer wieder auf und zeigen doch, dass oft subjektive Theorien – eben individuelle Lebensgeschichten – im Alltag vorherrschen und einen sachlichen Umgang mit Hochbegabten erschweren. Ist das wirkliche Leben wirklich anders?

Kenntnisse der Forschung beruhen selbstverständlich auf einer Vielzahl an Daten und geben daher auch nicht jeden Einzelfall wieder, doch bleibt unterm Strich immer noch eine Klarheit für alle. In der Praxis ist dieser Mangel an Aufklärung eigentlich nur ein Hindernis, denn die damit verbunden Einstellungen hemmen Förderung und Unterstützung. Spielt es denn eine Rolle, ob ein Kind in der 5.Klasse auf dem Gymnasium in Mathematik nun auf 4 steht? Ist denn nicht in Anbetracht der Kenntnisse über die Stabilität von Schulnoten versus der Prognose, die aufgrund einer hohen Intelligenz – insbesondere des g-Faktors – zu stellen ist, dies ein doch zu relativierender Zustand?

Bleiben wir in der Praxis: Stellt sich bei einem Kind ein hoher IQ in zwei Testverfahren (z.B. HAWIK-IV und SPM) heraus, so ist dies unter Berücksichtigung der wissenschaftlichen Kenntnisse eine extrem positive Grundlage für das wirkliche Leben. Oder umgekehrt: Liebe Eltern, liebe Lehrer, das sollte Sie beruhigen: Ganz gleich, wie sehr Sie sich anstrengen, dem Kind nichts beizubringen, es wird nicht zu verhindern sein, dass es doch was lernt! Gern verweise ich auf einen älteren Blogbeitrag Halbjahreszeugnis und Hochbegabte: Till ist immer noch im Spiel...

Wenn Wissenschaft uns doch seit Jahrzehnten replizieren kann, dass Lebenserfolg und IQ miteinander verbunden sind, ist es doch interessant, wieso dies in der Pädagogik häufig nicht angekommen ist. Woran kann das liegen?

Betrachten wir den beruflichen Bereich, in welchem unterschiedliche Anforderungen zu meistern sind. Hier ist offensichtlich, dass Wiederholungstätigkeiten, Tätigkeiten, die Automatismen oder schlichtweg nur einfache körperliche Anstrengung erfordern, weniger durch Intelligenz bedingt sind als komplexe Tätigkeiten. Gern verweise ich auf Gottfredson, die dies bereits 1997 recht klar aufzeigen kann (Gottfredson: Why g matters: The complexity of everyday life. Intelligence, 24). Dies deckt sich im Übrigen mit Befunden der Expertise-Forschung, die den Anteil der Übung für die Erbringung von Höchstleistungen betont. Doch auch hier ist auf Basis der grundlegenden Fähigkeiten – ergo der Intelligenz – immer nur ein bestimmtes Niveau der Leistung zu erwarten. Wir als Akademiker bewegen uns somit ebenfalls auf einer Ebene, in der wir durch Übung bestimmte Tätigkeiten perfektionieren, doch schützt uns dies nicht davor, dass insbesondere bei neuen, komplexen Anforderungen wir auf unsere variable Grundlage, die Intelligenz eben, zurückgreifen müssen.

Und das ist doch, was zählt. Ohne tief in die Diskussion über Generalisten und Spezialisten einsteigen zu wollen: Das wirkliche Leben ist doch mehr als die Ausführung von Routinetätigkeiten!