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Die Intelligenz hat versagt, oder: Warum Dummheit allein den Brexit nicht erklären kann

Mehr als die Hälfte der Briten hat sich am letzten Donnerstag dafür ausgesprochen, die EU zu verlassen; das schlug bei Twitter natürlich Wellen. Glücklicherweise ist Humor auch dort ein Mittel, um mit dem Schock klarzukommen, und so ließ der Spott über die Dummheit der Brexit-Befürworter natürlich nicht lange auf sich warten. Aber reicht Dummheit als Erklärung für ein so frappierendes Ergebnis aus? Vielleicht teilweise; eine wichtige Rolle spielt meines Erachtens aber auch das Versagen der europäischen Intelligenz. Und dieses Versagen ist wiederum zu einem guten Teil systembedingt.

Juni 2016

Von: Prof. Dr. Tanja G. Baudson


Mehr als die Hälfte der Briten hat sich am letzten Donnerstag dafür ausgesprochen, die EU zu verlassen; das schlug bei Twitter natürlich Wellen. Glücklicherweise ist Humor auch dort ein Mittel, um mit dem Schock klarzukommen, und so ließ der Spott über die Dummheit der Brexit-Befürworter natürlich nicht lange auf sich warten. Aber reicht Dummheit als Erklärung für ein so frappierendes Ergebnis aus? Vielleicht teilweise; eine wichtige Rolle spielt meines Erachtens aber auch das Versagen der europäischen Intelligenz. Und dieses Versagen ist wiederum zu einem guten Teil systembedingt. Ob wir als Intellektuelle in Anbetracht des Brexit und der zunehmenden Probleme in Europa nicht etwas tun müssen, fragte ich vorgestern einige Kollegen und Kolleginnen, als die Ergebnisse des Referendums zum Austritt Großbritanniens aus der EU bekannt wurden. Bei aller Betroffenheit: Was solle man denn tun, so die Antwort, die mich etwas desillusionierte. Denn gerade wir Wissenschaftler haben als Multiplikatoren doch eine ziemliche Reichweite: Wir bilden Studierende aus, die später – beispielsweise als Lehrkräfte und somit ihrerseits als Multiplikatoren – ganze Generationen von Schülern und Schülerinnen beeinflussen können. Wir werden gelesen – so wir uns denn öffentlich äußern und uns nicht auf Fachartikel beschränken: Denn deren Einfluss ist, von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, gering [1] und in der Tendenz vermutlich eher sinkend, wenn man die steigende Zahl der wissenschaftlichen Publikationen insgesamt anschaut [2]. Diese Macht impliziert eine große Verantwortung; und dieser wird das System Wissenschaft (darauf beziehe ich mich hier hauptsächlich, weil ich mich damit nun mal am besten auskenne; in anderen Systemen mag es ähnlich sein) aktuell nur sehr bedingt gerecht. Aus meiner Sicht spielen zwei Gründe dabei eine Rolle: die Struktur des Systems und die Motivstruktur des Wissenschaftlers.

Fokus Karriere

Ein Wissenschaftssystem, das primär quantifizierbare Maße – die Währung der akademischen Street Cred sind Publikationen und Drittmittel – belohnt, bestraft indirekt jegliches anderweitige Engagement. Da überlegt man sich gerade in der Qualifikationsphase dreimal, ob man dieses Risiko eingeht und seine Zeit nicht lieber in einen weiteren wissenschaftlichen Artikel investiert. Wer als Wissenschaftler öffentlich sichtbar ist, setzt sich dem Verdacht mangelnder Seriosität aus, insbesondere bei denjenigen, denen sich der Nutzen sozialer Medien noch nicht erschlossen hat (eine Meinung, die ich naturgemäß nicht teile, und andere Wissenschaftsblogger/innen auch nicht [3]; ob das wieder mal eine deutsche Neiddebatte ist, ist die Frage, denn in den USA habe ich das ganz anders erlebt. Die Motivation zu publizieren – und "publizieren" meint hier, in wissenschaftlichen Zeitschriften mit einem Begutachtungsprozess zu veröffentlichen – ist in der Regel eine egoistische. "[R]esearchers’ core motivations for publishing appear largely unchanged, focused on funding and furthering the author’s career", so fasst es der STM-Report[4] – warum sollten Wissenschaftler schließlich auch besser sein als der Rest der Menschheit.

Was Wissenschaftler wollen

Pragmatisch gesehen, unterwerfen sich Wissenschaftler dem Dogma des "Publish or perish" also vor allem aus einem ganz pragmatischen Grund: Sie wollen ihr Ding machen, und zwar so gut wie möglich und ohne dass ihnen jemand reinredet. Da passt es natürlich gut, wenn man auf dem Weg zur Professur nicht zusätzlich durch andere Motive – etwa dem Wunsch, etwas Positives für andere zu bewirken – abgelenkt wird. [5] Dass einiges glatter läuft, wenn egoistische Motive erfüllt sind, haben im Übrigen auch die Begründer der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, dem Vorläufer der EU, ganz gut verstanden: Wer miteinander handelt, hat vermutlich weniger Interesse daran, gegeneinander Krieg zu führen. Das hat bislang ja auch ganz gut funktioniert [6]. Dass man durch Macht motiviert wird, ist im übrigen ja auch nicht unbedingt schlecht – es kommt nur darauf an, wie und wozu man sie nutzt. ("Einflussnahmemotiv" wäre aus meiner Sicht weniger negativ konnotiert, aber auch begrifflich sperriger.) Problematisch wird es jedoch dann, wenn Menschen in Machtpositionen sind, die im Grunde keine Lust darauf haben, auch die damit einhergehende Verantwortung zu übernehmen, sondern nur "ihr Ding" innerhalb des Systems Wissenschaft machen wollen – eine Tendenz, die im Zuge ihrer erfolgreichen akademischen Entwicklung qua operanter Konditionierung auch noch verstärkt wird. Letztlich hat das fatale Folgen: nämlich eine Entkopplung von Wissenschaft und Gesellschaft. Dass Professoren heute überwiegend keine engagierten Intellektuellen mehr sind (und viele dies selbst dann nicht wollen, wenn sie dank Verbeamtung eigentlich alle Freiheiten hätten), beklagt nicht nur die ZEIT [7], sondern sogar der Focus [8].

Qu'est-ce qu'un intellectuel?

Aber was ist das eigentlich: ein Intellektueller? Sartre definiert diese Gruppe (mit einer guten Prise Selbstironie) als "personnes qui ayant acquis quelque notoriété par des travaux qui relèvent de l’intelligence abusent de cette notoriété pour sortir de leur domaine et se mêler de ce qui ne les regarde pas", also als Menschen, die durch ihre aufgrund von Intelligenz erreichten Leistungen bekannt geworden sind und diese Bekanntheit dann missbrauchen, um ihre Domäne zu verlassen und sich in Sachen einzumischen, die sie nichts angehen. Das widerspricht der Tendenz zu immer größerer Spezialisierung und Ausdifferenzierung von Teildisziplinen, durch die der Blick aufs Ganze auch gerne mal verloren geht. Diesen Missstand auszugleichen, wäre die Aufgabe des engagierten Intellektuellen: Denn gerade die Außenperspektive auf komplexe Sachverhalte, das Nicht-zu-sehr-im-Detail-Verhaftetsein ermöglicht es ihm bzw. ihr, die Dinge in einem größeren Kontext wahrzunehmen und einzuordnen. [9] Dazu wiederum braucht es Menschen, die über die engen Grenzen ihrer Disziplin hinausblicken, auch wenn das (zwangsläufig, aber auch systembedingt) immer stärker spezialisierte Wissenschaftssystem das nicht eben unterstützt. Wenn ein Wissenschaftler nicht nur das Detailwissen, sondern überdies auch noch einen gewissen Überblick über den Tellerrand seiner Disziplin hinaus mitbringt, sind das sehr gute Voraussetzungen dafür, um auch komplexe Zusammenhänge, wie sie unsere heutige Welt charakterisieren, zu durchdringen. [10], [11] Um das bekannte Zitat von Hans Eisler zu variieren: Wer nur von Wissenschaft etwas versteht, versteht auch davon nichts. Zusammenhänge zu begreifen, ist die eine Sache; sie zu kommunizieren, eine andere. Denn man muss diese Zusammenhänge vermitteln können (und wollen!), will man das Feld nicht den (machtmotivierteren?) Dummschwätzern überlassen; und das wird derzeit im Zuge des wissenschaftlichen Werdegangs weder vermittelt noch unterstützt. "Mount Stupid" hat Zach Weiner die hohe Bereitschaft, über ein Thema zu reden, über das man bestenfalls ein gesundes Halbwissen mitbringt, genannt; in der Wissenschaft spricht man vom Dunning-Kruger-Effekt [12]. Was einen nichts angeht (wer auch immer definieren mag, was einen etwas angeht und was nicht – ich denke ja, globale Entwicklungen gehen uns alle an), ist eben nicht deckungsgleich mit "keine Ahnung von der Materie haben". An dieser Vermittlung und dem damit einhergehenden Dialog wiederum hakt es aus den genannten Gründen bei vielen Wissenschaftler/innen. Denn Austausch mit der Öffentlichkeit auf einem Abstraktionsniveau, das den Rezipienten gleichzeitig als Partner auf Augenhöhe respektiert (auch daran hakt es im übrigen bei einigen, die an der Spitze angekommen sind und die sich somit automatisch als überlegen erleben), spielt derzeit noch eine recht untergeordnete Rolle im Wissenschaftsbetrieb [13]. Die engagierten Intellektuellen von heute sollten sich also meines Erachtens nicht als (moralische) Autorität aufspielen, sondern ihre Verantwortung gegenüber der Gesellschaft ernst nehmen, indem sie komplexe Informationen verständlich vermitteln und in größere Kontexte einzuordnen, um dem Bürger zur Mündigkeit zu verhelfen; denn ich bin im Zweifel, ob man in unserer überkomplex gewordenen Welt noch von "selbst verschuldeter Unmündigkeit" sprechen kann. Wir brauchen keine Leute, die uns ex cathedra sagen, wo es langgeht, sondern verantwortliche Intellektuelle, die uns darlegen, wo es überhaupt langgehen könnte und welche Konsequenzen es hat, wenn man den einen oder den anderen Weg einschlägt – und die dann auch akzeptieren, wenn die informierte(!) Entscheidung des gleichberechtigten Partners dann anders ausfällt als erhofft. [14]

Der Brexit: ein Kommunikationsproblem?

Beim Brexit-Referendum zweifle ich indes aus verschiedenen Gründen an der Informiertheit des Bürgers. Die Ergebnisse von Google Analytics über die häufigsten Suchanfragen aus Großbritannien gaben Aufschluss darüber, dass viele sich im Vorfeld nicht über die Konsequenzen klar waren [15]. Das deutet zum einen auf ein Versagen der Informationspolitik hin; und diese wiederum ist dadurch beeinflusst, welche Quellen überhaupt als glaubwürdig wahrgenommen werden. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang eine Befragung vom YouGov vom 13./14.6. dieses Jahres, wem die erwachsenen Briten noch vertrauen: Während die Remainians der Wissenschaft das stärkste Vertrauen entgegenbringen (dass sie auch der Wirtschaft und den Banken vertrauen, kommentiere ich jetzt mal nicht), vertrauen die Leavians niemandem. Keiner. Einzigen. Gruppe. [16] Dass selbst die Wissenschaft, die doch für Transparenz und Objektivität stehen sollte, kein Vertrauen mehr genießt, passt zur obigen Analyse: Der Bezug zwischen dem, was "die Wissenschaftler" machen, und der Lebenswelt des kleinen Mannes bzw. der kleinen Frau auf der Straße, ist verloren gegangen, was in Entfremdung und letztlich einer Spaltung zwischen Wissenschaft und Gesellschaft resultiert – zumindest bei den Brexit-Befürwortern. Dass diejenigen, die den Leave propagierten, die Wählerschaft dreist belogen haben, wie sich nun im Nachhinein herausstellt [17], setzt dem Ganzen die Krone auf. Der Twitterer "I am European" bringt es auf den Punkt: "Summary of today: misinformed people voted for lies from people who hadn't read either the EU or the UK laws." Zusammenfassung des heutigen Tages: falsch informierte Menschen haben Lügen von Menschen gewählt, die weder die EU- noch die britischen Gesetze gelesen haben. Auch das illustriert sehr anschaulich, welche Konsequenzen es hat, wenn diejenigen, die meinungsbildenden Einfluss ausüben könnten, diesen und die damit einhergehende Verantwortung nicht annehmen: Die Machtmotivierten ohne derart hinderliche Wertvorstellungen besetzen das so entstehende Vakuum. Zusammenfassend besteht aus meiner Sicht klarer Handlungsbedarf für die Wissenschaft, sowohl, was Informationsvermittlung, als auch, was Verantwortungsübernahme generell angeht. Denn der Erfolg der Brexit-Propagandisten ist ein Paradebeispiel dafür, was passiert, wenn diejenigen, die den Mount Stupid erfolgreich erklommen, aber noch nicht überwunden haben, das Führungsvakuum besetzen und anderen, die noch weniger wissen als sie, suggerieren, man könne komplexe Probleme durch einfache Ja-Nein-Fragen lösen. [18] Dass sich jetzt im Nachhinein herausstellt, dass das mit dem Brexit möglicherweise doch nicht so einfach wird, wie Farrage) und Konsorten das propagiert haben, ist bezeichnend. Nun tun sich überraschend formaljuristische Hürden auf, die einem vielleicht nicht entgangen wären, hätte man die entsprechenden Gesetzestexte mal vorher gelesen. Den Brexit-Befürwortern wird nun immer klarer, dass auch die Konsequenzen nicht ganz bis zum Ende durchdacht worden waren. Nun, da sich die Wechselkurse im Sturzflug befinden und eine Spaltung des Landes droht, ist der Katzenjammer (#Bregret) groß ... die Queen hätte sich an ihrem 90. Geburtstag wohl auch nicht träumen lassen, dass ihr nun nicht mehr ganz so vereintes Königreich zum Ende ihrer Regierungszeit hin noch einmal eine solche not-quite-so-splendid isolation erfahren würde.

Fazit

Auch wenn die Entscheidung für den Brexit wohl eher nicht zu den Glanzstücken der europäischen Geschichte gehört: Häme und Spott über die vermeintliche Dummheit der Referendumsbefürworter auszugießen, ist meines Erachtens das Letzte, was wir derzeit brauchen. Denn gerade jetzt ist die Gelegenheit zu zeigen, was die europäische Idee eigentlich ausmacht: Solidarität auch in schwierigen Zeiten. Die Briten nun in revanchistischer Manier kollektiv dafür abzustrafen, dass sie diese europäische Idee ja schließlich als erste mit Füßen getreten haben, würde der Realität nicht gerecht. Das denkbar knappe Ergebnis zeigt auf, dass fast die Hälfte nach wie vor an der europäischen Idee festhält [19]; das dürfen wir meiner Ansicht nach in der nun folgenden Debatte ebensowenig ignorieren wie diejenigen, die ihre Entscheidung rückblickend anders treffen würden. Gerade weil die Entscheidung auf so wackligen Beinen steht, halte ich es für sinnvoll, nicht vorschnell ein Exempel zu statuieren. Etwas vom Kaliber des Brexit gab es in der EU bislang noch nie; und andere Staaten durch eine autoritäre und angstmachende Politik am Austritt zu hindern, ist langfristig auch nicht wirklich nachhaltig. Was auch deutlich geworden ist, ist, dass wir an einer wertschätzenden Kommunikation zwischen Experten und Laien arbeiten müssen. Gerade uns Wissenschaftsblogger sehe ich da in der Verantwortung. Ich hoffe daher, mit diesem Artikel schon mal einen kleinen Teil dazu beigetragen zu haben, diese zu schultern. Denn: #IchbineinEuropäer.

Fußnotenapparat

[1] Je nach Fachgebiet werden zwischen 12 (Medizin) und 82 % (Geisteswissenschaften) der veröffentlichen Beiträge in den fünf Jahren nach ihrer Veröffentlichung gar nicht zitiert; die Quote in den Sozialwissenschaften liegt bei 32 %. Die Analyse von Larivière, Gingras und Archambault (2009) berücksichtigt Zahlen bis 2007, bei einem Fünf-Jahres-Fenster also Publikationen bis 2002.

[2] Vgl. etwa Bornmann & Mutz (2015). Eine gute Aufbereitung des Themas findet man außerdem im Nature-Blog.

[3] Genaueres dazu kann man beim Scienceblogs-Nachbarn Florian Freistetter lesen.

[4] Hier der Link zum Bericht. Das Zitat findet sich auf Seite 5.

[5] Mit dieser Passung und dem daraus resultierenden schlechten Führungsverhalten lassen sich im übrigen auch einige Probleme des wissenschaftlichen Nachwuchses erklären – würden manche Vorgesetzte ihre Führungsverantwortung als zentralen Teil ihrer Arbeit begreifen, um den sie nun mal nicht herumkommen, gäbe es wohl deutlich weniger ausgebrannte Doktoranden, weniger abgebrochene Dissertationen und weniger hoch qualifizierte Menschen, die der Wissenschaft den Rücken kehren. Hier spielt vielleicht auch hinein, dass man sich der eigenen Defizite als Chef/in oft genug ja gar nicht bewusst ist. Narzissmus und Selbstüberschätzung sind ja in Führungspositionen nicht eben selten, zumal die Wahrscheinlichkeit, ehrliches Feedback zu erhalten, immer unwahrscheinlicher wird, je höher die Machtdistanz zu den Mit-(bzw. nur Zu-?)arbeitern wird – insbesondere bei denjenigen, die Probleme mit Beziehungen auf Augenhöhe haben.

[6] Tolle Grafik dazu aus einem Tweet von Sandra Fiene, die als @EUfiene bei Twitter unterwegs ist. (Mich finden Sie daselbst unter @TGBaudson, wenn Sie nach dem Artikel Lust aufs Twittern bekommen haben.)

[7] Die ZEIT widmete diesem Thema gleich eine ganze Serie.

[8] Link zum Focus-Artikel – Gerüchten zufolge ist die Zielgruppe des letzteren ja eher der deutsche Durchschnittsmann zwischen 45 und 60. Ganz böse Zungen sagen, diese Zahlen bezögen sich auf den IQ, nicht das Alter, aber Sie als hoffentlich regelmäßige Leser/in des Hochbegabungsblogs wissen ja, dass das definitiv zu weit unter dem Durchschnittsbereich von 85–115 liegt, um noch durchschnittlich sein zu können ;-)

[9] Auch wenn der Cicero titelt, wir bräuchten keine Intellektuellen mehr, glaube ich, dass das primär davon abhängt, wie man „Intellektuelle“ definiert; denn die dort beschriebenen moralkeulenbewaffneten Schwätzer brauchen wir wirklich nicht.

[10] Etymologisch betrachtet, ist der Intellektuelle übrigens derjenige, der begreift (lat. intellegere = "verstehen, begreifen"), der Professor derjenige, der erklärt (lat. profiteri = "erklären"), was sich aus meiner Sicht sehr gut ergänzt.

[11] Etwas weiter gedacht, erschließt sich dadurch auch die Notwendigkeit interdisziplinären Arbeitens, d. h. einer Verbindung natur- und geisteswissenschaftlicher Ansätze. – Etwas plakativ formuliert: Die Naturwissenschaften erklären, wie Dinge zusammenhängen und wie sie funktionieren, aber sie können uns nicht erklären, warum das überhaupt von Interesse ist; hier helfen wiederum die Geisteswissenschaften. (In diesem Zusammenhang gewinnt der aktuelle Messbarkeitswahn und die damit einhergehende Abwertung der Geisteswissenschaften eine ziemlich pikante Note.)

[12] Link zur grafischen Darstellung – aus genannten Gründen habe ich jedoch Zweifel, was den Anstieg nach dem lokalen Minimum, das dem Mount Stupid folgt, angeht. – Der Titel des Papers von Dunning und Kruger, "Unskilled and Unaware of It", ist fabelhaft, oder? :-)

[13] Einige Tendenzen, zumindest an letzterem etwas zu ändern, zeichnen sich erfreulicherweise ab. So berichtete mir ein Kollege (übrigens einer derer, die auch mit ihren Mitarbeitern einen Austausch auf Augenhöhe betreiben), sein durch die öffentliche Hand gefördertes Projekt beinhalte explizit einen Topf für die Öffentlichkeitsarbeit, also die Kommunikation der Ergebnisse an ein breiteres Publikum.

[14] Hier mag man gewisse Parallelen zu den Neuen Lernkulturen sehen, die die Lehrkraft nicht mehr nur als Wissensvermittler, sondern eher als Lerncoach sehen, der die Schüler/innen in ihrer Selbstentwicklung unterstützt – ein Ansatz, den ich sehr gut finde (wer hätt's gedacht). Wenngleich der Weg zu einer gleichberechtigen Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden weiterhin lang und beschwerlich ist: Was im Kleinen möglich ist, funktioniert möglicherweise auch im Großen.

[15] Hier ein exemplarischer Artikel aus der Daily Mail – das Thema wird derzeit aber auch in vielen weiteren Medien diskutiert.

[16] Eine grafische Darstellung (und weitere interessante ind lesenswerte Gedanken) finden sich bei Bloomberg.

[17] Exemplarisch dazu der Independent – auch das wird derzeit vielfach diskutiert.

[18] Ich versuche gerade, mir auszumalen, wie das Ergebnis wohl ausgesehen hätte, wenn zusätzlich die Option "Ich weiß auch nicht, wie es weitergehen soll, aber so auf jeden Fall nicht" gegeben hätte. In der Diagnostik versucht man ja auch, durch entsprechende Gestaltung der Antwortoptionen den Fall abzudecken, dass jemand nicht antworten will oder kann. Dem diagnostischen Wert und letztlich der Validität des Referendums wäre das sicherlich zuträglich gewesen.

[19] Die jungen Menschen hatten bekanntlich überwiegend für den Verbleib in der EU gestimmt. Insgesamt waren es aber leider nicht genug, wenn man sich die relativ geringe Wahlbeteiligung dieser Gruppe anschaut: Die Zukunft haben also nicht allein die Alten verzockt. Das stützt aber auch wiederum meine Kernthese, dass in der Materie kompetente Menschen ihre Verantwortung gegenüber der Gesellschaft ernster nehmen müssen, indem sie die Konsequenzen von Entscheidungen (etwa der, nicht zur Wahl zu gehen) klarer aufzeigen.