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Germany's Next Top Brain

Die intellektuelle Leserschaft dieses Blogs hat es vermutlich gar nicht mitbekommen – derzeit läuft im Fernsehen die siebte Staffel von "Germany's Next Top Model". Aus rein wissenschaftlichem Interesse habe ich mich unter die Millionen Zuschauer gemischt und mir das Ganze auch mal angeschaut und mir ein paar Gedanken dazu gemacht, ob dieses (ja zweifelsohne erfolgreiche) Konzept nicht auch in der Begabtenförderung Anwendung finden könnte.

März 2012

Von: Prof. Dr. Tanja G. Baudson


Die intellektuelle Leserschaft dieses Blogs hat es vermutlich gar nicht mitbekommen – derzeit läuft im Fernsehen die siebte Staffel von "Germany's Next Top Model". Aus rein wissenschaftlichem Interesse habe ich mich unter die Millionen Zuschauer gemischt und mir das Ganze auch mal angeschaut und mir ein paar Gedanken dazu gemacht, ob dieses (ja zweifelsohne erfolgreiche) Konzept nicht auch in der Begabtenförderung Anwendung finden könnte. Für diejenigen, die die Sendung nicht kennen: Am Anfang stehen Abertausende von Bewerberinnen (das Sendungskonzept ist auf weibliche Models beschränkt), deren Zahl sich in einem mehrstufigen Auswahlverfahren auf letzlich etwa 20 Mädchen reduziert. Hier wird es nun spannend: Denn "nur eine kann Germany's Next Top Model werden", und entsprechend müssen sich die Mädchen in den so genannten "Challenges" bewähren (das können "Shootings", also beispielsweise Foto-Sessions mit Chamäleons im Arm, an der Außenseite eines Hubschraubers oder während eines Parabelflugs in temporärer Schwerelosigkeit sein, währenddessen die Mädchen diesen widrigen Rahmenbedingungen zum Trotz natürlich schön aussehen sollen). Erfahrene MärchenleserInnen werden gewisse strukturelle Ähnlichkeiten bereits erkannt haben. Gezicke zwischen den Prinzessinnen – "Ich bin die Schönste!" "Nein, ich!" –, was ja gerne als typisch weiblich verkauft wird, ist hier erwünschter Teil des Konzepts. Für die Verliererinnen heißt es am Ende der Sendung "Ich habe heute leider kein Foto für Dich" (ritualisierte Formulierungen!); stattdessen erhalten die Unglücklichen ein Ticket für den Heimflug. Die Erfolgreichen hingegen bekommen nicht etwa den Traumprinzen, sondern ein Foto von sich; das Bild des Models der Woche wird sogar an der "Wall of Fame" in der Mädchen-WG aufgehängt – kennt man ja als Motivationsstrategie auch aus diversen Supermarktketten. Und sie leben glücklich bis zur nächsten Folge, während der erschütterte Zuschauer zwecks Kompensation des gefühlten IQ-Verlustes schleunigst wieder zurück zu arte zappt. Die schnöde Äußerlichkeit ist also ein sehr relevanter, aber bei weitem nicht der einzige Erfolgsfaktor; denn auch der Einsatz bei den Challenges und Erfolge bei der Akquise von Kunden werden honoriert. Etwas weiter gesponnen, könnte man die Message also auch so fassen: Es ist okay, Leistung zu erbringen; es ist auch okay, besser zu sein als die Konkurrenz. Der soziale Vergleich und der damit einhergehende Konkurrenzdruck ist permanent greifbar. In der Wissenschaft ist das gar nicht mal so anders. Wer hat die längste Publikationsliste, die meisten Drittmittel? Mir stellt sich an dieser Stelle die Frage, ob ein Konzept wie "Germany's Next Top Model" auch mit Anforderungen funktionieren, die die inneren Werte (und hier insbesondere die im und nicht außen am Kopf befindlichen) stärker fordern – nennen wir es "Germany's Next Top Brain"? Durch ein solches Konzept könnte man Mädchen zeigen, dass schön auszusehen nur eine ihrer Qualifikationen ist – und somit auch nur eine von zahlreichen Möglichkeiten, um erfolgreich zu sein. Man könnte deutlich machen, dass ein Bereich wie, sagen wir, Wissenschaft durchaus eine interessante Alternative zum (karrieretechnisch deutlich kürzeren) Leben eines Topmodels sein kann. Die Herausforderungen, denen die Mädchen bei Germany's Next Top Model ausgesetzt sind, beanspruchen für sich, eine professionelle Vorbereitung auf die Laufstegkarriere zu sein; hierzu gehören beispielsweise Trainings im Laufen auf hohen Absätzen oder Teilnahme an Modenschauen für Designer/innen, die eins oder mehrere der angehenden Models auswählen; die besten ihrer Mädchen belohnt Frau Klum auch mal mit Ausflügen in die illustre Welt der High Society. Fernab vom wahren Leben? Aber mitnichten. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, das Konzept ließe durchaus auch in die Wissenschaft übertragen. Etwa so: Eine Gruppe von Diplomandinnen oder Doktorandinnen eines Fachs, sagen wir Psychologie, will "Germany's Next Top Brain" werden. Was macht eine in der Wissenschaft tätige Psychologin eigentlich den ganzen Tag so? In der Regel alles, was sie schon in der Grundschule gelernt hat: Lesen (z. B. Fachartikel und -bücher), Schreiben (z. B. Fachartikel, -bücher, Abstracts und Blogbeiträge) und Rechnen (etwa Strukturgleichungsmodelle). Sie erhebt Daten, entwirft Fragebögen und Tests, koordiniert ihr Team studentischer Hilfskräfte, hält Lehrveranstaltungen, betreut den Nachwuchs, informiert sich in Fachzeitschriften über neue Entwicklungen in ihrem Fachbereich, und ab und an fährt sie zu Konferenzen. Eine solche Anforderungsanalyse lässt sich dazu nutzen, um spezifische Challenges für den wissenschaftlich interessierten Nachwuchs – nur eine kann Germany's Next Top Brain werden, und nur eine kommt auf das Cover des deutschen "Spektrum der Wissenschaft"! – zu konstruieren. Und ganz nebenbei erführen die Zuschauenden auch etwas darüber, wie anstrengend, spannend, frustrierend und faszinierend Wissenschaft sein kann. Ein paar Ideen: Im Rahmen der Challenges könnten die Mädchen beispielsweise lernen, wie man auf englisch präsentiert; sie arbeiten an ihrer Körpersprache, damit sie beim Vortragen Kompetenz und nicht Niedlichkeit ausstrahlen; sie schreiben ein wissenschaftliches Journal über ihre Forschungsergebnisse, etwa in einem Blog; sie werden überraschend damit konfrontiert, Daten an einer Brennpunktschule erheben und dafür um vier Uhr morgens aufstehen zu müssen; sie dürfen mit zu Konferenzen und kommen dort mit interessanten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus ihrem Gebiet in Kontakt; sie lernen in praxisorientierten Workshops neue Verfahren der Datenanalyse kennen und präsentieren dem Zuschauer auf spannende Weise, wozu das alles gut ist. Nicht zuletzt lernen die Mädchen die Freuden und Frustrationen des wissenschaflichen Publizierens kennen – die harte Arbeit, die in einem Artikel steckt, die Frustration, wenn dieser abgelehnt wird, die Überwindung, die das Überarbeiten erfordert, und schließlich hoffentlich auch die Freude (und den verdienten Champagner!), wenn er dann doch angenommen wird. Gerade aus der Einbeziehung der Zuschauenden ergibt sich eine ganz besonders interessante Herausforderung: die Relevanz der eigenen Ergebnisse allgemein verständlich darzustellen. Auch wenn manch/e erfolgreiche/r Wissenschaftler/in noch Vorbehalte gegen eine zu große Nähe zum Volk hat: Inzwischen gibt es einige Wissenschaftspreise, die genau das honorieren (etwa den Deutschen Studienpreis der Körberstiftung, dotiert mit 30.000 Euro, oder den Klaus-Tschira-Preis für verständliche Wissenschaft); und nicht zuletzt ist die Fähigkeit, komplexe Sachverhalte verständlich aufzubereiten, auch ein gutes Indiz dafür, dass man die Materie tatsächlich durchdrungen hat. Der Siegerin könnte dann neben dem Coverfoto auch ein Artikel im "Spektrum der Wissenschaft" winken, in dem sie ihre Ergebnisse darstellen kann. Auf jeden Fall würde eine solche Sendung Erfolgsoptionen jenseits der klassischen Weibchendomäne "Schönheit" aufzeigen; sie würde Wissenschaft sichtbar und einsehbar machen; sie könnte zeigen, dass Wissenschaft cool und aufregend ist; und nicht zuletzt könnte sie zeigen, dass sich Leistung und Durchhaltevermögen lohnen.