Archiv Hochbegabungs-Blog

Allgemein
< Zurück zur Übersicht des Blog-Archivs

Hochbegabt und aufmerksamkeitsgestört

Aufmerksam – was heißt das schon? Denken Sie nicht auch gerade an was anderes, während Sie diese Zeilen lesen? Pech gehabt, da müssen Sie wohl ein ADS haben … vielleicht sind Sie aber auch hochbegabt, dann geht vielleicht beides …

Oktober 2010

Von: Götz Müller


Aufmerksam – was heißt das schon? Denken Sie nicht auch gerade an was anderes, während Sie diese Zeilen lesen? Pech gehabt, da müssen Sie wohl ein ADS haben … vielleicht sind Sie aber auch hochbegabt, dann geht vielleicht beides …

Ja, wer glaubt denn heute noch daran, dass der Begriff ADS (=Aufmerksamkeitsdefizitstörung), der aus den späten 70ern und frühen 80ern stammt, überhaupt wiedergibt, was ein ADS so ausmacht? Hat es sich noch nicht herumgesprochen, dass Hyperaktivität gar nicht mit einer „Konzentrationsstörung„ einhergeht? Dass das Ergebnis eines D-2-Tests – meine Co-Bloggerin Frau Baudson erwähnt diesen – gar nicht trennscharf für eine ADHS verwendet werden kann? Und dass – wenn überhaupt – nur der mit einem so genannten Träumer-ADS eine wirkliche Beeinträchtigung seiner Aufmerksamkeit erlebt?

Kein Mensch hat ein Aufmerksamkeitsdefizit, nur im Vollrausch oder im spätem Stadium einer Demenz, aber schon gar nicht ein Hochbegabter oder jemand, der selbstbestimmten Tätigkeiten nachgeht: Wäre WoW-Spielen oder Harry-Potter-Lesen ein leitendes Kriterium, gäbe es keine ADS/ADHS. Der Kern einer ADS/ADHS ist eine Störung der Aufmerksamkeitslenkung, nicht der Aufmerksamkeits- oder Konzentrationsfähigkeit an sich. Betroffene können ihre Aufmerksamkeit nicht adäquat lenken, wenden sich vermeintlich unwichtigen Reizen zu oder driften inneren Interferenzen folgend ab. Aufmerken und Konzentrieren können sie sich schon, leider nur nicht wie gewünscht.

Schauen wir uns die Kriterien für ADS/ADHS an und wenden uns daher dem DSM-IV zu (wer mag, darf auch die ICD-10 verwenden). Hier taucht neben der Hyperaktivität, die ohnehin ein wenig aus dem Begriff Aufmerksamkeitsdefizit herausfällt, die Impulsivität auf, die gut überschaubar ist. Aber nun kommt die Unaufmerksamkeit ins Spiel. Wer sagt, dass wer unaufmerksam ist? Die Lehrerin zum Schüler oder der Schüler zur Lehrerin? Die qualitative Betrachtung macht unaufmerksames Verhalten erst aus! Kinder lernen ja bekanntermaßen. Kinder lernen auch, in welchen Situationen man welches Verhalten an den Tag legen sollte. Hierfür sind kognitive Muster verantwortlich, die z.B. die situativen Unterschiede erkennen und eine Rückmeldung zum entsprechenden Gedanken- und Verhaltensmuster liefern. Auch sind daran Muster zur Kontrolle gekoppelt, dass Impulse gehemmt werden, oder auch Erwartungsmuster, die uns sagen, dass es sich lohnt, etwas zu tun. Gemäß dieser alters- und entwicklungsorientierten Maßstäbe kann betrachtet werden, ob ein Verhalten aus der Norm herausfällt oder nicht. Hierfür sind daher alltägliche und normorientierte Umstände zu betrachten, nicht aber selbstbestimmte und somit höchst individuelle.

ADHS-ler sind grundsätzlich gelangweilt. Alles ist langweilig, insbesondere schulische Tätigkeiten. Ist das nun wirkliche Langeweile? Eine Hypothese ist die, dass bereits ein erstes Erfahrungslernen ansetzt: Die implizite Erwartung, die Anforderungen nicht erfüllen zu können, ist infolge der ADS bereits wirksam. Das Konzentrationsniveau senkt sich infolge der abfallenden Motivation ab. Das ist die eine und ältere Seite. Alternativ findet zunehmend die Tatsache Zustimmung, dass Störungen im Belohnungs- und Motivationssystem für die Schwäche verantwortlich sind: Wenn ein Reiz keine Motivation auslöst bzw. Belohnung in Aussicht stellt, schaltet das Gehirn auch nicht auf Konzentration um. Warum sollte es auch – ist ja nichts, was erstrebenswert wäre...

Wie sieht denn Langeweile bei Hochbegabten aus? Sozusagen ganz im Sinne reaktiven ADS/ADHS bei Hochbegabung und Fehldiagnose, wobei – das sei angemerkt – eine ADS (die ohne H) da schon auszuschließen wäre. Hierzu hätte ich gern Rückmeldung! Allerdings mit einer kurzen Definition, was Langeweile eigentlich ist. Und dann sehen wir weiter...