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Ich bleib' bei meiner Meinung

Im Rahmen einer Weiterbildungsveranstaltung für Diplom-Psychologen steht das Thema „Intellektuelle Entwicklungsdiagnostik„ an, was zwangsläufig zur psychometrischen Erfassung von Intelligenz, also den Intelligenz-Tests, führt. In der Regel haben Diplom-Psychologen gute Grundlagenkenntnisse, was testtheoretische und psychodiagnostische Inhalte betrifft. Sie wissen um Stärken und Schwächen testpsychologischer Messungen.

September 2014

Von: Götz Müller


Im Rahmen einer Weiterbildungsveranstaltung für Diplom-Psychologen steht das Thema „Intellektuelle Entwicklungsdiagnostik„ an, was zwangsläufig zur psychometrischen Erfassung von Intelligenz, also den Intelligenz-Tests, führt. In der Regel haben Diplom-Psychologen gute Grundlagenkenntnisse, was testtheoretische und psychodiagnostische Inhalte betrifft. Sie wissen um Stärken und Schwächen testpsychologischer Messungen. Diese führen dazu, dass verschiedene Kennwerte ins Psychologenblut übergegangen sind. Ob Reliabilität, Validität oder auch Konfidenzintervall und Stabilitätskoeffizienten – ein bisschen oder auch ein bisschen mehr weiß jeder Diplom-Psychologe dazu zu sagen. Im Laufe von Berufsjahren gesellt sich Erfahrung dazu, die man in seinem Kontext macht – so z.B. auch, wie sehr IQ-Testwerte von der Schulleistung oder dem „klinischen Eindruck„ abweichen können. Oder auch, wie gut und verlässlich man selbst als Diplom-Psychologe die Intelligenz eines Kindes einschätzen kann. Dies alles sollte jedoch nicht die Objektivität in Frage stellen, selbst wenn man in der Erziehungsberatung, in der Kinder- und Jugendpsychiatrie, im Hochbegabtenzentrum, der Lebenshilfe oder Forensik seine selektiven Erfahrungen macht. Man kann sich dann zwar einige besondere Geschichten anhören, doch im Bewusstsein ist das Wissen tief verankert. Es sollte klar sein, dass eine Methode nicht mit ihrem Gebrauch zu verwechseln ist. Ein IQ-Test selbst kann doch nicht böse sein und Schaden verursachen … es sei denn, er steht oben auf dem Schrank und fällt herunter ... Nun ja: Im Qualitätszirkel am heutigen Abend, der sich dem Thema Intelligenz widmete, war es für mich umso erstaunlicher, dass dies offenkundig nicht der Fall ist. Ein Kollege hielt im oben genannten Rahmen einen Workshop zum besagten Thema und stellte neben gängigen Intelligenztheorien selbstverständlich auch die Testverfahren vor. Drei der geschilderten Aussagen der Kolleginnen und Kollegen möchte ich nutzen, um zu unterstreichen, worauf es ankommt: den sachgerechten Umgang mit Entwicklungsdiagnostik. 1. „Wenn man Eltern dann den IQ sagt, laufen die gleich in Schule und wollen alles Mögliche an Förderung haben.„ Diese Fälle mag es geben, stimmt. Das daraus abzuleiten ist, dass der Test an sich nicht zweckmäßig ist, halte ich für unangemessen. Eine Aufklärung den Eltern gegenüber, die mit einem schriftlichen Befund versehen ist, der eine sachgerechte Einordnung der Ergebnisse vornimmt, kann dies in richtige Bahnen lenken. Abgesehen davon, dass hoffentlich alle Eltern die bestmögliche Förderung für ihr wie auch immer besonderes Kind haben wollen. 2. „Ich brauche keinen IQ-Test; das erkenne ich schon selbst, ob einer clever ist.„ In jeder Hinsicht ist es geschulten Diplom-Psychologen möglich, besondere Begabungen in der Interaktion mit einem Kind zu erkennen. Aber eben nur möglich. Da wir überwiegend sprachlich in Interaktion treten, wird über dieses Medium eine Selektion vorgenommen, die uns potenziell zu Einschätzungsfehlern („falsch negativ„) kommen lässt. Testdiagnostik sichert dies ab – nicht zu einhundert Prozent, aber eben besser. 3. „Wozu soll man den einen Test machen, wenn in drei Jahren ganz andere Ergebnisse herauskommen können?„ Mit dieser Frage lässt sich gut zum deutschem Begabungsverständnis überleiten, welches in der Regel statisch ist: Was einmal so war, das darf niemals anders werden! Wir wissen, dass die Stabilität der IQ-Messung von z.B. Testalter, Geschlecht, verwendeten Testverfahren, Beschulung und anderen Faktoren abhängen kann. Dies widerspricht aber nicht dem Augenblick der Messung, einer Feststellung eines aktuellen Entwicklungsstandes, der entsprechender Förderung zu diesem Zeitpunkt bedarf. Im Übrigen wäre es fatal, wenn wie auch immer geartete Maßnahmen nicht auch zur Entwicklung von Intelligenz (und anderen Merkmalen) beitrügen: Hieraus ergäbe sich ja, dass Schule, Beratung und Coaching bis hin zu Therapie obsolet wären.