Hochbegabung verstehen

Kita

Philosophieren mit Kindern

Kinder mit unterschiedlichen Begabungen können mitunter philosophische Fragen wie z. B.: Was ist ein Mensch?, Darf man alles denken?, Was unterscheidet Glauben und Wissen? an andere Kinder der Kita oder an pädagogische Fachkräfte richten. Der nachfolgende Text fokussiert, wie diesen Fragen in Kindertageseinrichtungen sensibel begegnet werden kann und richtet dabei den Blick auf Kinder mit hohen Begabungen.

Von: Lisa Pohlmeier


Komplexe Fragen

Fragen, die komplexe Antworten nach sich ziehen, werden gerade von Kindern mit hohen kognitiven Begabungen gerne gestellt, denn sie sind in der Regel sehr neugierig, wissbegierig und möchten schon früh vieles genau ergründen. Sie stellen häufig Fragen über Fragen, mit denen Erwachsene mitunter überfordert sein können, denn oftmals gibt es nicht unmittelbar Antworten auf diese abstrakten und teilweise philosophischen Fragen. Doch müssen diese komplexen Fragen von Erwachsenen immer ad hoc und umfangreich beantwortet werden? Wie können Erwachsene auf solche abstrakten Fragen der Kinder reagieren ohne unter Druck zu geraten?

Gerade im Philosophieren mit Kindern steckt für jedes Kind – jedoch ebenso im Speziellen für Kinder mit hohen kognitiven Begabungen – ein besonderes Förderpotenzial, das Kindern Raum gibt, komplexen Fragen gemeinsam nachzuspüren. Dies fördert die Lernmotivation und das Engagement der Kinder, was wiederrum positive Auswirkungen auf das selbstbestimmte Lernen haben kann 1.

Kinder als aktive Konstrukteure ihrer Sicht auf die Dinge und die Welt

„Wer?“, „Wie?“, „Was?“, „Warum?“, „Wozu?“: In jedem Kind steckt ein:e Philosoph:in. Mithilfe von W-Fragen überprüfen, erweitern, formen und korrigieren Kinder immer wieder ihre Weltsicht und tauschen ihre Gedanken dazu mit anderen aus. Gespräche mit Kindern, die auf ihren Fragen aus ihrer konkreten Erlebens- und Erfahrungswelt aufbauen, bieten ihnen Vergewisserung und Orientierung. Insbesondere philosophische Fragen sind Bestandteil des natürlichen Entwicklungsprozesses eines jeden Kindes und sollten im Kita-Alltag Berücksichtigung finden.

Das Philosophieren mit Kindern setzt direkt an ihren individuellen Fragen an und bietet den Kindern einen Ermöglichungsraum, diese persönlichen Fragen intrinsisch motiviert zu bearbeiten und zu tiefsinnigen Einsichten zu gelangen. Kinder treten gemeinsam in der Peer-Group und/oder mit Erwachsenen in einen kreativen Kommunikationsprozess, argumentieren mittels Logik, über Gesetzmäßigkeiten, aber auch über Zufall, Sinnhaftigkeit, Gefühle und hinterfragen dabei auch richtig und falsch. Jede Situation des Argumentierens, Analysierens, Spekulierens, Diskutierens, Begründens und des Austauschs von Gedanken trägt zur Reifung der Sicht des Kindes auf die Welt und dadurch auch zum Selbstkonzept und Selbstverständnis aller am Gesprächsprozess beteiligten Kinder bei. Kinder sind in diesen Gesprächen also aktiv an ihren individuellen Aneignungsprozessen beteiligt. Sie lernen spielerisch und eigenaktiv anhand komplexer Fragestellungen, die ihre jeweilige Weltsicht weiterzuentwickeln vermögen.

Philosophieren ist für alle Kinder geeignet

Da jedes Kind auf seinem individuellen kognitiven Niveau an den Interkationen teilnimmt, werden alle Kinder unabhängig von ihrem Alters- und Entwicklungsstand angesprochen und dort jeweils abgeholt. Das Philosophieren schlägt im Übrigen auch eine Brücke zwischen Kindern mit unterschiedlichen Entwicklungsständen in besonderer Weise: Durch die hohen kognitiven Fähigkeiten und dem ausgeprägten Wissensdrang der kognitiv begabten Kinder sind ihre Fragen in vielen Fällen diejenigen, die den philosophischen Prozess der Gruppe in Gang bringen. Zum anderen greifen sie aufgrund ihrer hohen kognitiven Fähigkeiten die (teils) abstrakten Fragen der anderen Kinder aus der Kindergruppe zumeist auf und initiieren durch weiteres Hinterfragen den philosophischen Prozess.

Zwei Kinder beugen sich gemeinsam über ein Buch
Bild: iStock/middelveld

Philosophieren als sozial-kommunikativer Akt aller Kinder

Gemeinsames Philosophieren fördert jedes Kind. Jedoch zeigen Kinder mit hohen kognitiven Begabungen ein verstärktes Interesse an der Auseinandersetzung mit abstrakten Fragestellungen. Ihr Enthusiasmus und ihre Kreativität in ihren Interessensgebieten, ihr häufig detailreiches Wissen und ihre Motivation können eine enorme Bereicherung für den Prozess des gemeinsamen Philosophierens sein, da sie ihre Stärken konkret einbringen und ausleben können. Ihre Erklärungen, Begründungen und Deutungen können Impulse für die beteiligten Kinder sein, die ebenso ihr Verständnis über die gemeinsam verhandelten Dinge aufzeigen. Das führt zu einer wechselseitigen Lernsituation, von der alle Beteiligten profitieren und bei der alle ihre kommunikativen, emotionalen, sozialen und kognitiven Fähigkeiten in besonderer Weise erweitern können 2.

Nicht zuletzt trägt bei Kindern mit hohen kognitiven Begabungen die gemeinsame Interaktion mit Gleichaltrigen zum Aufbau eines positiven Selbstbildes und dem eigenen Selbstvertrauen bei. In besonderem Maße stärkt das Philosophieren die sozialen Fähigkeiten der Beteiligten: In der sozialen Gesprächsinteraktion müssen sich alle gegenseitig respektieren, sich tolerieren und die Sicherheit erfahren, sich öffnen zu können und zu dürfen. Die Gedanken und Gefühle der anderen zu verstehen, ihnen aufmerksam zuzuhören und konforme wie konträre Ansichten zu entdecken, stärkt die Bindung und Empathiefähigkeit der Kinder untereinander 1. Sie erfahren von den Gedanken, Fragen, Themen der anderen Kinder und deren Denkprozessen über die Welt. Zudem werden die Kinder sich ihrer eigenen Fragen und Antworten bewusst(er).

Die pädagogische Fachkraft als Initiator:in des philosophischen Diskurses und aktive:r Zuhörer:in

Für die pädagogischen Fachkräfte können die unterschiedlichen kognitiven Fähigkeiten der Kinder während eines philosophischen Austauschs eine Herausforderung darstellen. Sie sollten impulsgebend auf die unterschiedlichen Interessen, Bedürfnisse und Fähigkeiten der Kinder eingehen, diese jedoch nicht bewerten. Für pädagogische Fachkräfte kann es zudem sehr aufschlussreich sein, mittels philosophischer Fragen über das jeweilige Wissen, die jeweilige Weltsicht und die Denkkonstruktionen von Kindern mehr zu erfahren. Situativ und organisch ergeben sich für die pädagogische Fachkraft im gemeinsamen Gespräch aktive Anteile (bspw. bei der Initiation des Gesprächs) und passive Anteile, die für aktives Zuhören – auch in der Vorbildrolle gegenüber den anderen Kindern – sowie zur Beobachtung des sichtbar werdenden Wissens sowie der spontan entstehenden sozialen Interaktionen genutzt werden kann.

Entscheidend dabei ist eine ressourcenorientierte Haltung gegenüber den beteiligten Kindern. Der Blick sollte demnach also auf die Kompetenzen der Kinder gerichtet sein und die hohe kognitive Leistung der Kinder sollten vonseiten der pädagogischen Fachkraft wertschätzend anerkannt und wahrgenommen werden, damit sie den Ermöglichungsraum, der ihnen über diese Fragen geboten wird, voll ausschöpfen können.

Fazit

Zum Schluss sei der Blick nochmals auf die eingangs gestellte Frage, ob Erwachsene immer ad hoc und umfangreich abstrakte Fragen von Kindern beantworten können müssen, gerichtet: Erwachsene sehen sich gerne in der Lage, Kindern ihre Fragen möglichst richtig zu beantworten und ihnen gegebenenfalls das entsprechende Wissen hierzu bereitzustellen. Doch anstatt bei abstrakten oder komplexen Fragen mitunter mühsam nach Antworten zu suchen oder gar Halbwissen an die Kinder weiterzugeben, können Erwachsene die Fragen der Kinder auch zurückgeben und diese nach ihrer Einschätzung über eine mögliche Antwort fragen. Kinder haben häufig bereits eigene Konzepte einer Antwort entwickelt, wenn sie eine Frage stellen. Indem Erwachsene die (vorläufigen) Antworten der Kinder aufgreifen und daraus weitere offene Fragen formulieren, kommt ein philosophischer, abstrakter Denkprozess in Gang, zu dem die Fachkraft Impulse liefert (und im Übrigen auch selbst neue Einsichten gewinnen kann). Bei Bedarf können Sachinformationen ergänzt werden, die die Kinder dazu anregen, ihr Gedankenkonstrukt zu hinterfragen oder gegebenenfalls weiterzuentwickeln.

Sich auf den Prozess des Philosophierens einzulassen, dem Kind dabei aufmerksam zuzuhören, es zu ermutigen und gezielt Impulse zu setzen, sich nicht zuletzt von der eigenen (erwachsenen) Sicht auf die Dinge befreien, nicht zu bewerten, sondern den intensiven Austausch mit dem Kind zu würdigen und wertzuschätzen sind einfache und positive Strategien, die Erwachsene nicht in Erklärungsnot bringen, wenn Kinder abstrakte Fragen stellen. Vielmehr stärkt diese Haltung die Beziehung zwischen Erwachsenen und Kindern und beide Seiten können voneinander lernen.