Hochbegabung verstehen
Wann ist eine psychologische Beratung sinnvoll?
Im Kita-Alter sprechen Eltern und pädagogische Fachkräfte regelmäßig über die Entwicklung des Kindes, bei Bedarf auch über Probleme oder Sorgen in diesem Zusammenhang. In bestimmten Fällen kann es hilfreich sein, ergänzend eine psychologische Beratung aufzusuchen – insbesondere dann, wenn individuelle Fragen oder Probleme rund um eine (vermutete) hohe kognitive Begabung auftreten, die allein im Gespräch zwischen Eltern und pädagogischen Fachkräften nicht beantwortet werden können.
Ein Anlass, um in die psychologische Beratung zu gehen, ist häufig der Wunsch oder das Erfordernis, eine psychologische Diagnostik durchführen zu lassen. Hierbei kann es darum gehen, dass eine vermutete hohe kognitive Begabung diagnostisch abgeklärt werden soll, weil z. B. eine vorzeitige Einschulung von den Eltern und pädagogischen Fachkräften in Erwägung gezogen wird. Es kann aber auch um die diagnostische Beurteilung anderer Merkmale des Kindes (z. B. eine mögliche Aufmerksamkeitsschwäche oder Misserfolgs-Ängstlichkeit) oder seiner sozialen Beziehungen in Familie und Kita gehen 1. Bei vielen Fragen, mit denen Eltern von Kindern mit einer (vermuteten) hohen kognitiven Begabung in die Beratung kommen, ist jedoch eine psychologische Diagnostik nicht vonnöten. Häufig haben sie allgemeine Fragen zur Entwicklung des Kindes oder zu einer angemessenen Förderung in der Kita und zu Hause.
Hilfe bei spezifischen Problemlagen
In manchen Fällen suchen Eltern eine Beratung auf, um Lösungen zu spezifischen Problemen zu finden, die im Zusammenhang mit hohen kognitiven Begabungen auftreten können. Wenn das Kind beispielsweise sehr hohe Ansprüche an sich selbst stellt und darunter leidet (etwa bei (dysfunktionalem) Perfektionismus), wenn es über Beschwerden klagt, bei denen ein psychosomatischer Hintergrund vermutet wird (z. B. Kopf- oder Bauchschmerzen, die in Zusammenhang mit dem regelmäßigen Kitabesuch auftreten), wenn es trotz einer (vermuteten) hohen kognitiven Begabung entsprechende Bildungsangebote systematisch meidet, oder wenn es zu familiären oder erziehungsbezogenen Problemen kommt. Diese Anlässe gehen über die reine Erkennung einer kognitiven Begabung hinaus, können aber vor diesem Hintergrund anders eingeordnet werden oder von ihr mitbeeinflusst sein. Es kommt auch vor, dass Kinder mit einer (vermuteten) hohen kognitiven Begabung problematisches (z. B. aggressives) Verhalten zeigen, oder eine zusätzliche psychische Besonderheit, wie zum Beispiel eine Lernschwäche, oder eine psychische Erkrankung aufweisen.
Eine psychologische Diagnostik und Beratung kann dabei unterstützen, Klarheit über bisher vermutete Besonderheiten eines Kindes zu erlangen und vor diesem Hintergrund die aktuelle persönliche Situation zu betrachten. Dabei ist es oft hilfreich zu beleuchten, inwieweit Schwierigkeiten damit zusammenhängen, ob ein Kind seiner Begabung entsprechend gefördert wird, oder ob die Probleme unabhängig von der Begabung des Kindes bestehen. Psychologische Beratung kann dabei unterstützen, Unsicherheiten und Beeinträchtigungen im Wohlbefinden des Kindes und seiner Familie zu reduzieren und möglichen negativen Folgen vorzubeugen, wie z. B. Schwierigkeiten in der Kita, beim Schulbeginn oder ein mögliches späteres Underachievement.
Wie läuft eine Beratung ab?
Da ratsuchende Familien häufig zum ersten Mal eine Beratung in Anspruch nehmen, kann dieser Schritt mit Unsicherheiten, Befürchtungen und Fragen verbunden sein. Grundlegende Informationen über den Ablauf einer psychologischen Beratung sind daher nützlich für Eltern und erleichtern Kita-Fachkräften, die noch wenig Erfahrung in diesem Bereich haben, den Dialog mit den Eltern darüber. Da eine gute Beratung individuell ist, ist es nicht möglich, einen für alle Beratungsprozesse geltenden einheitlichen Ablauf darzustellen. Im Folgenden sollen jedoch die grundlegenden Elemente der Beratung skizziert werden.
Kontaktaufnahme und Erstgespräch
Wenn Familien sich dazu entschließen, in eine (psychologische) Beratung zu gehen, können sie mit der Beratungsstelle oder -praxis Kontakt aufnehmen und um einen Termin für ein Erstgespräch bitten. In vielen Fällen wird die Beratungsstelle schon im Rahmen der Terminvereinbarung vorab erste Informationen über die Fragestellung oder das Problem und die beteiligten Personen einholen. Diese Vorabinformationen können je nach fachlicher Ausrichtung oder Arbeitsweise der Beratungseinrichtung mehr oder weniger umfangreich ausfallen und können auch den Einsatz von Fragebögen beinhalten. Die vorab gestellten Fragen dienen nicht nur Informationszwecken, sondern regen bei den Ratsuchenden bereits erste Suchprozesse nach Lösungen an und stellen daher bereits einen wertvollen Teil des Beratungsprozesses dar.
Anfangsphase
Zu Beginn des Beratungsprozesses klären Berater:innen gemeinsam mit den Ratsuchenden die Zielsetzung der Beratung im Hinblick auf ein gutes, realistisches Ergebnis. Hoffnungen und Wünsche, aber auch Befürchtungen im Hinblick auf die Beratung können hier angesprochen werden. Im nächsten Schritt wird die klärungsbedürftige oder als problematisch erlebte Situation und die bisherigen Lösungsversuche der Ratsuchenden erkundet. Bei Bedarf können eine eingehendere Betrachtung der Vorgeschichte (Anamnese) oder eine psychologische Diagnostik erfolgen.
Bearbeitungsphase
Im weiteren Verlauf unterstützen Berater:innen die Ratsuchenden bei der Erarbeitung individueller Lösungsmöglichkeiten und begleiten sie bei deren Erprobung. In einem individuellen Beratungsprozess können diese Elemente bei Bedarf auch mehrmals durchlaufen werden, bevor die Beratung beendet wird. Wann eine Beratung zu Ende ist, entscheiden die Ratsuchenden gemeinsam mit Berater:innen. Oft ist eine Frage ausreichend beantwortet oder die Lösung eines Problems auf einem guten Weg. Manchmal kann sich jedoch auch zeigen, dass bei den Ratsuchenden (weitere) Anliegen bestehen, die weiterer Aufmerksamkeit außerhalb einer Beratung bedürfen, z. B. im Rahmen von Förderangeboten oder Therapien. Was in einer Beratung geschieht, bleibt stets vertraulich. Nur wenn die Ratsuchenden es wünschen, können Berater:innen andere Stellen einbeziehen oder Informationen weitergeben, z. B. an die Kita.
Was passiert bei einer psychologischen Diagnostik?
Zur besseren Beantwortung einer Fragestellung kann es sinnvoll sein, eine psychologische Diagnostik durchzuführen. Diese sollte Teil eines persönlichen Beratungsprozesses sein und nie isoliert stattfinden. Voraussetzung für eine psychologische Diagnostik ist eine möglichst gut eingegrenzte, praktisch relevante Fragestellung (z. B. Soll ein Kind frühzeitig eingeschult werden?). Anhand der Fragestellung wählen Berater:innen psychologische Tests aus, z. B. einen für das Alter des Kindes geeigneten Intelligenztest. Dieser ermöglicht es, ein Fähigkeitsprofil zu erstellen und damit die Frage zu beantworten, ob bei dem Kind alle kognitiven Teilleistungen, die für die Bewältigung der Anforderungen in der Schule von Bedeutung sind, ähnlich weit entwickelt sind 2.
Passend zur Fragestellung werden in der Regel weitere Informationen miteinbezogen, beispielsweise können Einschätzungen zu Konzentration, Motivation oder Interessen des Kindes psychometrisch erfasst werden. Für die psychologische Testung selbst wird in der Regel ein eigener Termin benötigt. Nur mit dem Bezug zur Fragestellung können die diagnostischen Ergebnisse anschließend sinnvoll eingeordnet und interpretiert werden. Im Rahmen eines Rückmeldegespräches erörtern Berater:innen gemeinsam mit den ratsuchenden Eltern vor dem Hintergrund der diagnostischen Ergebnisse und der individuellen Situation des Kindes die nächsten Schritte.
Psychologische Testungen dürfen nur von Psycholog:innen und anderen hierfür qualifizierten Personen (z. B. Psychotherapeut:innen, Sonderpädagog:innen) durchgeführt werden. In der Beratungsstellendatenbank des Karg Fachportals können Ratsuchende Beratungsstellen finden, bei denen eine psychologische Diagnostik auch im Kita-Alter möglich ist, und die eine von kommerziellen Förderangeboten unabhängige Beratung und Testung anbieten.
Welche unterschiedlichen Beratungsangebote gibt es?
Es gibt eine Vielzahl unterschiedlicher Beratungsangebote. Im Kita-Bereich eignen sich je nach Fragestellung unterschiedliche Beratungssettings:
- Bei Themen der familiären Interaktion, Erziehungsfragen oder Fragen rund um das Wohlbefinden des Kindes in der Kita ist eine Erziehungsberatungsstelle die erste Anlaufstelle. Eine psychologische Diagnostik der Intelligenz oder anderer Merkmale ist hier bei Bedarf möglich oder es wird hierfür mit anderen Stellen kooperiert, z. B. mit der Schulpsychologie.
- Bei Fragen zu vorzeitiger Einschulung können sich Eltern auch an den Schulpsychologischen Dienst wenden. Dieser bietet bei Bedarf auch eine psychologische Diagnostik im Vorschulalter an. Der Fokus der schulpsychologischen Beratung liegt jedoch auf schulischen Fragestellungen und angrenzenden Themen (z. B. Teilleistungsschwächen, Verhaltensauffälligkeiten).
- Auf Hochbegabung spezialisierte Beratungsstellen sind häufig an Universitäten angesiedelt. Sie bieten psychologische Diagnostik und Beratung mit Fokus auf das Thema Hochbegabung und leistungsbezogene Fragestellungen an und verfügen über eine besonders breite Kenntnis von Fördermöglichkeiten.
- Viele auf Hochbegabung spezialisierte „freie“ Beratungspraxen bieten ebenfalls die Möglichkeit zur psychologischen Beratung und Diagnostik. Je nach Praxisschwerpunkt liegt der Fokus hauptsächlich auf begabungs- und leistungsbezogenen Fragestellungen oder umfasst weitere Felder wie soziale und Persönlichkeitsthemen.
- (Ärztliche oder Psychologische) Psychotherapeut:innen für Kinder und Jugendliche sind geeignete Ansprechpartner:innen, wenn bei einem Kind spezifische Probleme wie z. B. Verhaltensauffälligkeiten auftreten. Sie können neben der Intelligenz auch den Entwicklungsstand eines Kindes beurteilen oder weitere psychische Besonderheiten wie bspw. eine Aufmerksamkeitsschwäche abklären und therapeutisch behandeln.
Wie Ratsuchende das richtige Beratungsangebot finden
Damit Ratsuchende ein für sie passendes Beratungsangebot finden, ist es empfehlenswert sich vorab bestmöglich über die Rahmenbedingungen zu erkundigen. Anzahl und Dauer der Sitzungen, sowie die Abstände dazwischen variieren je nach konzeptueller Ausrichtung des Beratungsangebotes, aber auch abhängig von der Fragestellung: Für klar umgrenzte Fragestellungen eignen sich spezialisierte Angebote mit geringerem Umfang besser als für komplexere Fragestellungen. Auch die berufliche Ausbildung der Beratenden und damit einhergehende Gestaltung des Beratungsprozesses bringt Unterschiede mit sich. Im Feld der Beratung im Kindes- und Jugendalter findet häufig der systemische Beratungsansatz Anwendung, welcher die Interaktionen zwischen Menschen und ihrer sozialen Umwelt, z. B. in der Familie oder Kita, in den Mittelpunkt stellt. Ungeachtet dieser Faktoren hängt der Erfolg einer Beratung in erster Linie von der guten Beziehung und dem Vertrauen zwischen Beratenden und Ratsuchenden ab.
Die Beratungsangebote der Schulpsychologischen Dienste und der Erziehungsberatung sind durch öffentliche (z. B. Kommunen) oder freie Träger (z. B. Wohlfahrtsverbände, Kirchen) finanziert und damit wohnortnah zugänglich und mit vergleichsweise geringen oder keinen Kosten verbunden. Therapeutische Leistungen können von den Krankenkassen übernommen werden, sofern eine entsprechende Indikation von psychotherapeutischer oder ärztlicher Seite festgestellt wurde. In universitären Beratungsstellen und privaten Beratungspraxen fallen für Beratung und Diagnostik jedoch Honorare an. Insbesondere bei der Diagnostik ist es wichtig, vorher Erkundigungen einzuziehen, da manche Schulen z. B. nur solche diagnostischen Ergebnisse akzeptieren, die vom Schulpsychologischen Dienst gemacht wurden.
Bereits bei der Kontaktaufnahme mit der Beratungseinrichtung sollten Ratsuchende schildern, um welches Anliegen es ihnen geht, damit geklärt werden kann, inwiefern das Beratungsangebot für die individuelle Fragestellung passend ist. Die finanziellen und organisatorischen Rahmenbedingungen der Beratung sollten transparent besprochen werden. Diese Klärungen vor dem eigentlichen Beratungsbeginn sollten kostenfrei, z. B. im Rahmen eines Telefonats, möglich sein.