Hochbegabte unterstützen

Kita

Portfolio-Arbeit in der Kindertageseinrichtung

Die Portfolio-Arbeit ist eine prozesshafte und ressourcenorientierte Veranschaulichung der Bildungsbiografie eines Kindes.Die Portfolioarbeit trägt dazu bei, dass das Kind sich als selbstwirksam erleben kann, indem es sich aktiv mit den Inhalten des Portfolios beschäftigt. Die Bezeichnung Portfolio setzt sich aus den lateinischen Worten „folium“ für Blatt und „portare“ für tragen zusammen.

Von: Lisa Pohlmeier


Das Portfolio als Medium partizipativer Entwicklungsdokumentation

Im frühpädagogischen Kontext wird unter dem Portfolio eine systematisch gebündelte Sammlung an beispielsweise Fotos, Werken der Kinder (Gemaltes oder Gebasteltes), Mitschriften von Beobachtungen und kindlichen Äußerungen durch die pädagogischen Fachkräfte verstanden. In ihrer Gesamtheit können die Dokumentationen den individuellen Lern- und Entwicklungsprozess eines Kindes über einen gewissen Zeitraum hinweg abbilden. Die Portfolio-Arbeit kann analog, digital oder in einer Mischform erfolgen. Die Kinder erhalten durch die partizipative Mitarbeit an ihrem Portfolio die Möglichkeit (je nach Alter und Entwicklungsstand), sich reflektierend mit ihren individuellen Stärken, Kompetenzen und Fähigkeiten auseinanderzusetzen. Durch diese Auseinandersetzung mit dem Erlebten, dem Können und der eigenen Identität, kann das Selbstvertrauen und das Selbstbewusstsein der Kinder in die eigenen Kompetenzen gestärkt werden 1.

Der Grad der Partizipation, der gemeinsamen Dokumentation und der Dialog mit dem Kind über die Inhalte seines Portfolios können mit fortschreitendem Alter und Entwicklungsstand immer weiter zunehmen und entsprechend ausgebaut werden. „Bezieht man das Prinzip der Partizipation auf die Portfolio-Arbeit, bedeutet dies, dass nicht nur die Werke, sondern auch die Rückmeldungen und Sichtweisen des Kindes in die Dokumentation einfließen. Das Kind wird an der Interpretation beteiligt; es erhält die Möglichkeit, das Bild, das sich pädagogische Fachkräfte und Eltern von ihm machen, aktiv mitzugestalten“ 2. Die gemeinsame Dokumentation wie auch die interaktive Kommunikation mit dem Kind über das Portfolio, können pädagogischen Fachkräften als Anhaltspunkte für eine individuelle (ressourcenorientierte) Förderung des Kindes, beispielsweise in Bezug auf die Entfaltung seiner Begabungen, sowie eine Grundlage für das Führen von Gesprächen mit Eltern, dienen.

Prozessdokumentation und Qualitätssicherung pädagogischer Förderung durch die Portfolio-Arbeit

Das Portfolio bietet den pädagogischen Fachkräften und Eltern u. a. einen Einblick darin, welche Themen das Kind aktuell beschäftigen, welche nächsten (Lern-)Ziele das Kind selbst für erstrebenswert hält und auf was es besonders stolz ist. Da dies von Kindern im Kita-Alter selten auf einer metakognitiven Ebene konkret geäußert wird, braucht es reflektierte und kommunikationsgewandte pädagogische Fachkräfte, die mit den Kindern in einen Dialog treten, metakognitive Prozesse anstoßen und diese professionell auswerten. Gewonnene Einblicke und abgeleitete Erkenntnisse können Ausgangspunkt der individuellen Förderung des Kindes sein, welche möglichst an seine aktuellen Bedürfnisse anknüpft.

Beispielsweise können die pädagogischen Fachkräfte den Kindern individuelle Bildungsangebote unterbreiten, Projekte initiieren oder Materialien bereitstellen. Ob und wie das Kind diese Angebote aufgreift und inwieweit die Angebote die angestrebten (Lern-)Ziele unterstützt, verfolgt die pädagogische Fachkraft aufmerksam, tritt mit dem Kind immer wieder in den Austausch, um seine professionellen Beobachtungen über den Erfolg der individuellen Förderung mit der Perspektive des Kindes abzugleichen. Hierbei kann die Portfolio-Arbeit den Prozess unterstützen sowie abbilden und zusätzlich einen Beitrag zur Sicherung der pädagogischen Qualität leisten 1.

Selbstwirksame Gestaltung der eigenen Bildungsbiografie

Ein wesentlicher Punkt, der für den gelingenden Einsatz des Portfolios als Beobachtungs- und Dokumentationsinstrument sowie als Grundlage der individuellen Förderung gilt, ist die professionelle Haltung der pädagogischen Fachkräfte, sowie deren Bild vom Kind 3. „Wesentlich ist hier das Vertrauen in die Fähigkeit des Kindes, seinen eigenen Lernzuwachs selbst zu gestalten“ 4. Das Kind sollte als aktiver, selbstwirksamer Mitgestalter seiner eigenen Bildungsbiografie betrachtet werden.

Ein Beispiel aus der Praxis

Nathanael (4 Jahre alt) hat beim letzten Ausflug in den Wald den ganzen Vormittag Blätter, Rinden, Äste und Zweige erforscht. Ein paar seiner Funde hat er mit in den Kindergarten genommen. Es wurden von den pädagogischen Fachkräften verschiedene Fotos auf diesem Ausflug gemacht, die Nathanael auf seinen Erkundungstouren im Wald zeigen. Im Anschluss an diesen Ausflug dokumentieren Nathanael und sein Bezugserzieher Fabian seine Erlebnisse für sein Portfolio. Die Fotos wurden ausgedruckt und die Materialien, die Nathanael mitgebracht hat, hat er selbst auf Papier aufgeklebt. Fabian notiert auf Nathanaels Wunsch hin dessen Erzählungen mit auf dem Papier. Er berichtet von den Naturmaterialien, die er gefunden hat, wie sie gerochen haben und zu welchen unterschiedlichen Bäumen er sie zuordnen würde. Ganz sicher ist er aber nicht, ob Birkenbäume immer eine weiße Rinde haben ... Fabian fragt ihn, wie er rausfinden könnte, ob dies immer so sei. Nathanael schlägt euphorisch vor, er könnte Bücher über Bäume anschauen und bei weiteren Ausflügen in den Wald teilnehmen und „noch mal nachschauen“. Interessiert hört Fabian sich an, welche Vorschläge Nathanael macht und dokumentiert mit Nathanael gemeinsam sein Lernziel mit den entsprechenden pädagogischen Zugängen dazu für das Portfolio. Stolz betrachtet Nathanael im Anschluss sein Lernerlebnis und heftet es in sein Portfolio ab.

Im Nachgang plant Fabian individuelle pädagogische Angebote für Nathanael, die an dessen Wissensstand anknüpfen, sein aktuelles Lernziel berücksichtigen und ihn, wie auch andere interessierte Kinder ansprechen. Zudem überlegt Fabian den Kindern bei einem nächsten Ausflug in den Wald vorzuschlagen, verschiedenste Naturmaterialien zu sammeln und das Atelier damit auszustatten. Vielleicht ergibt sich auch daraus ein weiteres Angebot, das Nathanaels Interesse an Waldbäumen unterstützt, sowie allen Kindern ein interessantes Angebot bietet.

Anhand dieses Praxisbeispiels lässt sich resümierend festhalten: Portfolios enthalten wichtige Informationen, die grundlegend und förderlich für die Planung pädagogischer Prozesse und Aktivitäten sind. Zudem kann durch sie die Lernumgebung dahingehend beeinflusst werden, dass die Kita eine optimale Förderung gewährleisten kann 3.

Besondere Begabungen im Prozess der Portfolio-Arbeit immer weiter spezifizieren

„Kinder [mit einer hohen (kognitiven) Begabung] beschäftigen sich häufig mit Themen, mit denen sich andere Kinder (noch) nicht beschäftigen. Die Gefahr besteht, dass dieser Umstand in der Kindertageseinrichtung aus verschiedenen Gründen nicht wahrgenommen werden kann“ 5. Die Portfolio-Arbeit als ressourcenorientiertes Instrument der Lern- und Entwicklungsbegleitung bietet die Chance jedem Betrachter die individuellen Potenziale eines Kindes zu offenbaren. So kann sich beispielsweise hinter Nathanaels Interesse an der Natur, an Bäumen und entsprechenden kognitiven Wissensverknüpfungen zu verschiedenen Rinden, Früchten etc. (wie wir es im vorangegangenen Beispiel erfahren konnten) eine hohe kognitive Begabung verstecken. Indem seine kindliche Neugier zunächst in partizipativer Form dokumentiert, interpretiert, ausgewertet und in einem individuellen Förderangebot aufgegriffen wird, kann sich sein Potenzial immer weiter entfalten und die pädagogischen Angebote der Fachkräfte können seine individuelle Begabung immer spezifischer fokussieren, sodass es zu seiner vollen Entfaltung kommen kann. In einem sich stets wiederholenden Prozess kann die Portfolio-Arbeit ein wichtiges Dokumentationsinstrument der pädagogischen Handlungsplanung und Qualitätssicherung sowie Begabungsentdeckung, -entfaltung und Begabungsförderung sein.

Grafik Portfolio-Prozess mit pädagogischer Handlungsplanung
Portfolio-Prozess mit pädagogischer Handlungsplanung (nach 1, S. 18)