Hochbegabte unterstützen

Kita

Soziale Interaktionen zwischen Peers

Soziale Interaktionen zwischen Peers bieten ein besonderes Entwicklungspotenzial, welches durch Kindertageseinrichtungen ausgeschöpft werden kann. Damit einher gehen vielfältige soziale Erfahrungsmöglichkeiten, adäquat Konflikte zu lösen und Freundschaftsbeziehungen zu gestalten. Nicht alle Kinder brauchen dazu gleichaltrige Spielpartner:innen, sondern Kinder mit einem ähnlichen Entwicklungsstand.

Von: Lisa Pohlmeier


Etymologie

„Der englische Begriff ‚Peer‘ bedeutet soviel wie die ‚Gleichen‘ oder die ‚Vergleichbaren‘ und bezeichnet diejenigen Personen, die einander in Bezug auf bestimmt Merkmale, wie z. B. den sozialen Rang oder Status ebenbürtig sind“ (Definition nach Breidenstein, entnommen aus 1). Ergänzend dazu sollen die Ähnlichkeit im Wissensstand und der kognitiven Fähigkeiten von Kindern als Merkmal von Peerbeziehungen aufgeführt werden.

Peerinteraktionen als Ressource für Entwicklungsprozesse

„Du bist mein bester Freund und Tim nicht“, „Mia lade ich nicht zu meinem Geburtstag ein“, „Du darfst beim Essen neben mir sitzen“, „Wenn ich die kleine Schwester wäre, wärst du die große“, „Ich will aber nach dir auf die Schaukel“ – dies sind nur ein paar wenige Beispiele für interaktive (Kommunikations-)Situationen, die Aushandlungsprozesse unter Kindern mit sich bringen.

Interaktionen zwischen Peers haben seit Beginn des 20. Jahrhunderts eine hohe Aufmerksamkeit in der deutschen und internationalen Forschung erfahren. „Im Fokus dieser entwicklungspsychologischen Gleichaltrigenforschung stand und steht bis heute vor allem der Einfluss der Gleichaltrigen auf die kognitive, soziale und emotionale Entwicklung von Kindern“ 2. Sobald Peers „in einer relativ stabilen sozialen Gruppe zusammentreffen, produzieren Kinder eine eigene Kinderkultur mit eigenen Verfahren, Aushandlungsprozessen und Regeln“ 8. Dabei bietet sich ihnen ein vielfältiger Erfahrungsraum u. a. für das Erlernen sozialer, emotionaler und kommunikativer Fähigkeiten, wie Empathiefähigkeit und Perspektivübernahme, gegenseitiger (Explorations-)Unterstützung, Konfliktbewältigung und ermöglicht ihnen die Gestaltung von Freundschaftbeziehungen. Diese Fähigkeiten können die Kinder im Laufe ihres Heranwachsens bei der Entwicklung ihres sozialen Spiels mit anderen positiv unterstützen. Denn ein Kind, das mit der Zeit lernt auf einen Konflikt, wie beispielsweise „ich war hier zuerst, du kannst hier nicht spielen“ konstruktiv zu reagieren, kann aufgrund seiner hohen sozialen und emotionalen Kompetenz ein:e beliebte:r Spielpartner:in werden. Es ist also davon auszugehen, dass Beziehungen unter Gleichaltrigen eine „sehr wichtige Funktion in den Bildungsprozessen der Kinder haben“ 3, weshalb sie auch als wichtige Sozialisationsinstanz gelten.

Nicht das Alter, sondern der Entwicklungsstand ist von Bedeutung

Die Fähigkeit Interaktionen zu gestalten und auf sie zu reagieren, lässt sich bereits bei Säuglingen beobachten. Kommunikative Fähigkeiten, geteiltes Verständnis, die gemeinsame Auseinandersetzung mit Spielgegenständen und viele weitere Fähigkeiten differenzieren sich im Entwicklungsverlauf des Kindes und weitere Kompetenzen ergänzen das Repertoire, soziale Beziehungen gestalten zu können 4.

„Du bist mein Freund, weil du genauso schlau bist wie ich!“: „Kinder interagieren miteinander auf gleicher Ebene und auf einem ungefähr vergleichbaren Kompetenzniveau und haben dadurch die Möglichkeit, gleichberechtigte Beziehungen kennen zu lernen und sich in der Kooperation mit anderen zu üben“ 3. Daraus lässt sich für Kinder mit hohen kognitiven Begabungen ableiten, dass sie vermutlich dazu tendieren werden, sich Peers unter älteren Kindern zu suchen, die ihrem Kompetenzniveau eher entsprechen als Gleichaltrige. „Oft bringen begabte Kinder auch im sozialen Bereich besondere Kompetenzen mit (z. B. durch die Fähigkeit zur Streitschlichtung oder Interessensvertretung gegenüber den Fachkräften), die sie zu beliebten Spielpartnerinnen und Spielpartnern machen. Sie sind zudem aufgrund ausgefallender Spielideen oft geschätzt“ 5.

„Das biologische Alter [spielt] dabei eine gegenüber dem Entwicklungsstand eher untergeordnete Rolle“ 6. Spielideen zu entwickeln („wir spielen Bauarbeiter“) und umzusetzen („lass uns dafür in den Garten gehen“), sich kommunikativ mit anderen zu verständigen („wir brauchen einen Bagger und Schaufeln“), Spielrollen zu verteilen („ich bin der Kranfahrer und du der Baggerfahrer“), die eigenen Interessen zu vertreten („ich will aber auch der Kranfahrer sein“), sowie der Umgang mit Frustration („du darfst nicht mehr mitspielen“) gehören zu alltäglichen Erfahrungen, die Kinder im Spiel machen 9.

Lachende Kinder schauen von oben in die Kamera
Bild: iStock/Ridofranz

Durch den Einbezug von Kindern Angebote für Peerinteraktionen schaffen

„Wichtig ist [...], dass Fachkräfte die Voraussetzungen dafür schaffen, dass auch für besonders begabte Kinder sowohl ein vielfältiges und variantenreiches Spiel als auch die Einbindung in Kindergruppen möglich ist“ 7. Die Berücksichtigung der Kindperspektive spielt dabei eine bedeutsame Rolle, denn Erwachsene verfügen über andere Wissens- und Erfahrungsbereiche als Kinder und nehmen oftmals Interpretationen vor, wenn sie die Perspektive der Kinder nicht erfragen. Dialoge zwischen Kindern und Fachkräften bieten wichtige Anregungen für Rahmenbedingungen, die es den Kindern erleichtern können, Spielpartner:innen zu finden, wenn sie bisher keinen guten Anschluss in der Einrichtung finden konnten. „So ändert sich beispielsweise für ein besonders begabtes Vorschulkind manchmal die Situation im letzten Kita-Jahr, wenn die älteren [...] Kinder eingeschult wurden und es anschließend Schwierigkeiten hat, passende Spielpartner:innen zu finden. Dann ist es Aufgabe der pädagogischen Fachkräfte, mit dem Kind nach Lösungen zu suchen, wie auch ihm die soziale Einbindung in eine Gruppe von Kindern mit ähnlichem Entwicklungsstand ermöglicht werden kann“ 10.

Gelingende Peerbeziehungen unterstützen

Kitas sind Orte, an denen Kinder regelmäßig über einen kontinuierlichen Zeitraum und über mehrere Stunden des Tages zusammenkommen, weshalb sie es in besonderer Weise ermöglichen, dass Kinder soziale Peerinteraktionen eingehen können, die auch von einer gewissen Konstanz geprägt sind 9. So können konzeptionelle Rahmenbedingungen begünstigen, dass Peer-Beziehungen unter Kindern gelingen: „Vorteilhaft sind für Kinder mit hoher kognitiver Begabung altersgemischte Kita-Gruppen. Sie ermöglichen ihnen das Knüpfen von Kontakten zu Älteren, die vielleicht ähnlichere Spielthemen oder Interessen haben als Gleichaltrige“ 5. Ähnliche Möglichkeiten bieten auch offene Konzepte. Funktionsräume und Werkstätten schaffen den Kindern über Bezugsgruppen hinaus Möglichkeiten, interessenorientiert Aktivitäten nachzugehen und dabei auf Peers mit ähnlichen Themen und Interessen zu treffen. Die Projektarbeit als fest verankerte pädagogische Maßnahme, kann jedes Kind individuell fördern und damit auch Kinder mit hohen kognitiven Begabungen gut unterstützen. Sie bieten die Möglichkeit, dass Peers gemeinschaftlich einem selbstbestimmten Thema oder einer, von den Kindern entwickelten, Fragestellung nachgehen können. „In unserem Teich gab es vor einigen Wochen Kaulquappen, jetzt sind da Frösche. Haben die Frösche die Kaulquappen gegessen?“ – kann den Anstoß zu einem Projekt in der Kita bieten, das unmittelbar an den Fragen und Themen der Kinder ansetzt. Soziale Fähigkeiten, wie beispielweise gegenseitige Rücksichtnahme und Einfühlungsvermögen können neben der Kommunikation durch die Projektarbeit gefördert werden, was sich wiederum positiv auf das Gestalten sozialer Beziehungen mit Peers auswirken kann.

Professionelle Fachkräfte als Interaktionsvorbilder für Kinder

Damit die vorangegangenen Möglichkeiten für kindliche Interaktionsprozesse initiiert werden können und die Perspektive der Kinder sowie ihre Wünsche und Bedürfnisse Berücksichtigung erfahren, braucht es u. a. professionelle und einfühlsame pädagogische Fachkräfte in den Kitas. Die Bedeutsamkeit ihrer Rolle als Initiator:in und Unterstützer:in für Interaktionsprozesse sollten pädagogische Fachkräfte regelmäßig reflektieren. Denn „Bildung, insbesondere die frühkindliche Bildung, beruht auf Beziehungen zu Dingen, Gedanken und Personen“ 1. Sie tragen dabei u. a. Verantwortung für die Gestaltung einer eigenen stabilen Beziehung zu den Kindern sowie eine Verantwortung für die Ermöglichung von (Peer-) Beziehungen zwischen Kindern.

Zudem sollten pädagogische Fachkräfte dafür sensibilisiert sein, dass Kinder mit hohen kognitiven Begabungen gegebenenfalls in Bezug auf ihre Peer- und Interaktionsgestaltung aus genannten Gründen Unterstützungsbedarf haben. Ein feines Gespür für individuelle Bindungs- und Beziehungsbedürfnisse sowie professionell reflektierte Lernangebote und der Berücksichtigung der Kindperspektive kann pädagogische Fachkräfte zu beispielhaften Interaktionsvorbildern für Kinder werden lassen.