Hochbegabte unterstützen

Beratung

Beratung rund um Lernen und Leistung

Auch hochbegabte Kinder und Jugendliche finden es mal schwierig, sich zu motivieren, konzentrieren und organisieren. Solche Herausforderungen bieten wichtige Gelegenheiten, herauszufinden, wie Lernen eigentlich funktioniert und gelingen kann.

Von: Wiebke Evers und Anne-Kathrin Stiller


Auch Hochbegabte müssen (Lernen) lernen

Auch hochbegabten Kindern und Jugendlichen fliegt nicht alles zu. Die meisten Hochbegabten kommen irgendwann in ihrer (Lern-)Biografie an den Punkt, an dem sie strukturiert lernen müssen. Spätestens im Studium, oft aber auch schon früher, steigen Stoffmenge und Anspruch in einen Bereich, den sie ohne Lernen und Anstrengung nicht erfolgreich bewältigen können. Wenn sie nie gelernt haben, „wie Lernen geht“, sind Schwierigkeiten absehbar.

Manchen Schüler:innen fällt es schwer, sich zu motivieren, wenn ein Fach nicht in ihrem Interessensgebiet liegt. Andere sind durch die Organisation ihrer Materialien oder ihrer Zeit überfordert. Und genau wie für andere kann es auch für Hochbegabte schwierig sein, sich zu konzentrieren oder mit Erfolg oder Misserfolg umzugehen. Manche dieser Herausforderungen stellen sich sogar für Hochbegabte ganz besonders, insbesondere dann, wenn die Förderung nicht zu ihren Fähigkeiten passt, sie sich langweilen und unterfordert sind. Solche Schwierigkeiten können sie daran hindern, die Leistungen zu erzielen, die ihnen möglich sind.

Werden Lern- oder Leistungsschwierigkeiten für den/die Schüler:in selbst, im Elternhaus oder auch in der Schule zum Problem oder sind Anlass für Konflikte, kann in einer Beratung nach Lösungsansätzen gesucht werden.
Anhand von fünf Situationen wird im Folgenden dargestellt, wie Herausforderungen beim Lernen und Leisten konkret bei hochbegabten Schüler:innen aussehen können. Zu jeder Situation werden exemplarisch Ansätze beschrieben, wie Eltern und Berater:innen die Schüler:innen unterstützen können.

Begabung & Leistung

Der IQ ist überdurchschnittlich, die Noten eher durchschnittlich: Begabung bedeutet nicht gleich Leistung. Das ist manchmal sowohl für Eltern und Lehrkräfte als auch für die hochbegabten Schüler:innen selbst schwer zu verstehen. Wie kann man sich diese Situation erklären?

Es herrschen tatsächlich immer noch viele Missverständnisse, wenn es um den Zusammenhang zwischen Begabung und Leistung geht. Begabung an sich ist zunächst ein intellektuelles Potenzial, das eine Person besitzt. Ob sich die Begabung in den erbrachten Leistungen widerspiegelt, ist jedoch von verschiedenen Faktoren abhängig.
Manche dieser Faktoren liegen in den Fähigkeiten und der Persönlichkeit des Hochbegabten selbst, andere in der Umwelt. Diese können die Umsetzung von Potenzial in Leistungen entweder erleichtern oder behindern.

Wenn es Hochbegabten beispielsweise schwerfällt, sich zu motivieren, sie wenig Durchhaltevermögen haben und schnell frustriert sind, wird es ihnen auch schwerer fallen, ihrer Begabung entsprechende Leistungen zu erzielen. Ähnlich ist es, wenn die Umwelt hinderlich gestaltet ist, z. B. zu Hause den ganzen Tag der Fernseher läuft, das Klassenniveau sehr niedrig ist oder die Erwartungen von Eltern übertrieben hoch oder sehr niedrig sind.

Lernen lernen als Herausforderung

Hochbegabte haben oft Vorteile im Unterricht, weil sie neue und anspruchsvolle Inhalte leicht erfassen und schnell Zusammenhänge zu dem herstellen können, was sie bereits wissen. Doch wenn die Stoffmenge und die Komplexität steigen, brauchen auch Hochbegabte Strategien. Das kann sie vor eine große Herausforderung stellen. Warum?

Hochbegabte eignen sich den Lernstoff oft direkt im Unterricht an, sozusagen im Vorbeigehen. Wird die Menge an Lernstoff größer und die Themen komplexer, müssen sich die Schüler:innen eigenständiger um die Aneignung und Wiederholung kümmern. Um ihren Lernprozess gut gestalten zu können, brauchen sie vor allem selbstregulatorische Kompetenzen. Der Prozess des selbstregulierten Lernens stellt dar, welche Aufgaben vor, während und nach dem Lernen zu bewältigen sind 12:

Vor dem Lernen: Die Schüler:innen müssen zunächst in der Lage sein, ihre Aufgaben und Ziele zu überblicken. Sie müssen erkennen können, welche Aufgaben Priorität haben, sich überlegen, wie man am besten an sie herangeht und sich motivieren, loszulegen.

Während des Lernens: Während der Aufgabe selbst benötigen sie vor allem Konzentration, Durchhaltevermögen und passende Lernstrategien, um die Aufgabe auch zu Ende zu bringen. Dabei ist auch die Überwachung des eigenen Lernens wichtig, um zu merken, wenn man vom Ziel abkommt oder auch einen anderen Weg wählen muss, um die Aufgabe zu lösen.

Nach dem Lernen: Ist die Aufgabe abgeschlossen, erfolgt der Abgleich zwischen dem gesetzten Ziel und dem Ergebnis. Eventuelle Fehler werden entdeckt und verbessert. Im besten Fall wird kurz reflektiert, wie der Lernprozess gelaufen ist und was beim nächsten Mal noch besser gemacht werden kann.

Die Fähigkeiten zum selbstregulierten Lernen gehen nicht automatisch mit Hochbegabung einher, sondern müssen gekannt, geübt und entwickelt werden. Gelegenheiten zum Üben ergeben sich für Hochbegabte jedoch aufgrund ihrer überdurchschnittlichen intellektuellen Fähigkeiten viel seltener. Umso wesentlicher ist es, dass Eltern und Lehrkräfte sie in der Entwicklung dieser zentralen Kompetenzen begleiten und unterstützen. Eine professionelle Beratung kann helfen, wenn Betroffene im Problem „steckenbleiben“ oder Konflikte entstehen, die sie allein nicht lösen können.

Die Rolle der Emotionen

Lern- und Leistungssituationen werden auch immer von Gefühlen begleitet. Manche wirken sich dabei positiv und andere negativ auf den Lernerfolg aus. Wer Wege kennt, um seine Emotionen zu regulieren, ist klar im Vorteil. Wie kann das gelingen?

Prüfungsangst, Freude, Langeweile, Ärger über Mitschüler:innen oder Lehrkräfte, Stolz, Enttäuschung oder Hoffnung in Bezug auf vergangene bzw. zukünftige Leistungen: Das Spektrum an Emotionen in Bezug auf Lernen ist breit. Für hochbegabte Schüler:innen kann es motivational und emotional sehr herausfordernd sein, wenn die Anforderungen in der Schule steigen, sie mit ihrem bisherigen Lernverhalten an ihre Grenzen stoßen oder sich mit dem Wechsel in eine Hochbegabtenklasse plötzlich mit ebenfalls sehr Leistungsstarken vergleichen 345.

Emotionen wirken komplex: Nicht alle negativen Gefühle sind hinderlich und nicht alle positiven Gefühle sind hilfreich für Lernen und Leistung. Deaktivierende negative Gefühle (z. B. Langeweile oder Hoffnungslosigkeit) sind im Allgemeinen ungünstig für Lernen, Leistung und das Selbstregulierte Lernen (s. o.). Aktivierende positive Emotionen (z. B. Lernfreude oder Hoffnung auf Erfolg) wirken sich hingegen eher förderlich aus 6. Positive aktivierende Gefühle sind aber nicht immer nützlich in Bezug auf das Lernen: So können z. B. schöne Aktivitäten vom Lernen ablenken. Daher ist es hilfreich, positive Emotionen herzustellen oder zu verstärken, die in direkter Beziehung zur Lernaktivität oder dem Lernstoff stehen. Hierfür können Lernende z. B. ihre Aufmerksamkeit auf folgende positive Aspekte lenken:

  • Besonders interessante Informationen des Lernstoffs in den Blick nehmen,
  • sich Erfolge oder Stärken bewusst machen und diese in Erinnerung rufen (ein Erfolgstagebuch kann dabei helfen),
  • nach Ausnahmen suchen: Wann macht mir das Lernen Spaß? Wann hatte ich Erfolg? Wie habe ich das geschafft?

Die Art und Weise, wie wir über eine Situation denken, bestimmt, was wir fühlen. Eine weitere Möglichkeit, das Erleben positiver Lern- und Leistungsemotionen zu unterstützen, kann daher die Veränderung von Gedanken und Bewertungen sein. Es kann z. B. helfen, sich negative Gedanken und Gefühle („Ich werde in der Prüfung total versagen, beim Gedanken daran kriege ich schon Panik“) bewusst zu machen, und diese positiv umzuformulieren („Meine Angst zeigt mir, dass ich noch nicht gut vorbereitet bin. Am besten, ich schaue mir das jetzt nochmal konzentriert an, dann kann ich morgen eine gute Arbeit schreiben.“).

Beim positiven Umformulieren braucht es etwas Übung. Hier kann es nützlich sein, sich zu fragen: Wie könnte ich meine Situation anders betrachten? Angenommen, es gäbe etwas Positives daran, was könnte das sein?

Motivation & Arbeitshaltung

Unterforderung im Unterricht oder mangelndes Interesse am Thema können dazu führen, dass Hochbegabte eine negative Arbeitshaltung entwickeln. Wie können Schüler:innen darin unterstützt werden, trotzdem motiviert und engagiert am Unterricht teilzunehmen?
Durststrecken und Motivationstiefs sind ganz normal. Allerdings hilft es hochbegabten Schüler:innen langfristig wenig, wenn sie damit zwar auf Verständnis stoßen, aber keine Unterstützung dabei erfahren, wie sie solche Situationen bewältigen können.

  • Interesse wecken, Relevanz herstellen: Manchen Schüler:innen hilft es, wenn die Unterrichtsinhalte auf andere Weise aufgegriffen, erweitert und in den Zusammenhang gestellt werden. Dies kann z. B. durch einen Besuch im Museum geschehen, um die Inhalte aus dem Geschichtsunterricht zu vertiefen, oder auch durch die Teilnahme an einem Vortrag auf Englisch, in dem es um ein Interessensthema geht. Auch die Einbettung in ein eigenes Projekt kann helfen, auf den ersten Blick unwichtige Fakten in einem spannenderen Zusammenhang zu sehen (z. B. physikalische Experimente nachbauen, eine Zeitung über den Ausgang der Wahl erstellen).
  • Anreize schaffen: In manchen Fällen hilft es auch, externe Anreize zu schaffen, die der Unterricht direkt nicht bietet. Eine gute Note am Ende des Schuljahres mag zu weit weg sein, um sich positiv auf die Motivation und die Arbeitshaltung auszuwirken. Je nach Persönlichkeit und Interesse können solche Anreize ganz unterschiedlich aussehen, z. B. eine anschließende Aktivität, die in Aussicht gestellt wird, oder auch die Sammlung von Token, die ab einer bestimmten Zahl beispielweise in einen Kinobesuch oder ein neues Spiel eingelöst werden können.
  • Ziele unterteilen: Wenn eine Aufgabe zu überwältigend erscheint, um überhaupt mit ihr zu beginnen, ist es hilfreich, das „Licht am Ende des Tunnels“ sehen zu lassen. Dazu braucht es nicht unbedingt einen äußeren Anreiz wie eine Belohnung, die in Aussicht gestellt wird, sondern eventuell nur Unterstützung durch die Unterteilung der Aufgabe in mehrere kleineren Teile, die leichter zu bewältigen sind 7.

  • Selbstwirksamkeit und günstige Attributionen stärken: Es ist ebenfalls wichtig, hochbegabten Schüler:innen zu vermitteln, dass sie selbst die Kontrolle und auch die Verantwortung über ihre Einstellung, ihre Emotionen und ihr Verhalten haben und damit auch für ihren Erfolg. Den Schüler:innen hilft es, wenn sie für ihre Anstrengungsbereitschaft und nicht das Ergebnis gelobt werden. Hier gilt es Vorbild darin zu sein, sowohl in der Art und Weise wie man über Erfolge und Leistung spricht als auch darin, wie man diese attribuiert (Attribution: Ursachenzuschreibung). Unterstützt man sein Kind darin, die Lehrkraft für eine schlechte Note verantwortlich zu machen, und einen glücklichen Zufall als Grund für eine gute Note zu nennen, entzieht man ihm das Gefühl, selbst in Kontrolle und nicht nur Spielball von anderen Personen und der eigenen Begabung zu sein.

Ordnung ist das halbe Leben

Arbeitsblätter zusammenhalten, Termine und Aufgaben notieren, Projekte durchführen: Neben dem Lernen an sich stellt die Schule Ansprüche an die Organisation von Material, Zeit und Lern- und Arbeitsprozessen. Wie kann man die Schüler:innen in ihrer Selbstständigkeit unterstützen?

Ein nicht zu vernachlässigender Anteil der Leistungsbewertung hängt daran, wie gut man sich als Schüler:in organisiert. Vergessene Hausaufgaben, unvollständige Mappen und schlecht vorbereitete Vokabeltest führen schnell dazu, dass sich ein gutes Verständnis des Lernstoffs nicht auch in guten Noten wiederfindet.

Zunächst muss den Schüler:innen klar sein, was in diesen Bereichen von ihnen erwartet wird und welchen Anteil es in ihrer Leistungsbewertung ausmacht 8. Aus den Erwartungen und den eigenen Zielen kann dann konkret abgeleitet werden, wo Handlungsbedarf besteht. Methoden, um Zeit und Material besser zu organisieren, gibt es viele, wie der Einsatz bestimmter Apps, Erinnerungsfunktionen, digitale Kalender oder farbkodierte Mappensysteme. Nicht jeder Tipp funktioniert für jede:n und schon gar nicht auf Anhieb. Hier gilt es auszuprobieren, anzupassen und regelmäßig zu reflektieren. Mit der Zeit sammeln die Schüler:innen wichtige Erfahrungswerte, die ihnen bei der Planung und Organisation helfen. Sie merken, wie viel Zeit sie für etwas brauchen, wann sie gut lernen können, wie sie ihren Arbeitsplatz hilfreich gestalten und welche Ordnungsysteme für sie passen.

Je älter die Schüler:innen sind, desto mehr Freiraum, aber auch Verantwortung haben sie, sich zu organisieren. Gerade bei Hochbegabten ist es oft sinnvoll, eine beratende Rolle einzunehmen, Fragen zu stellen, ihnen etwas zuzutrauen und ein offenes Ohr zu zeigen, wenn es nicht so läuft, wie gewünscht. Werden die Aufgaben stattdessen immer abgenommen, haben die Schüler:innen selbst keine Möglichkeiten diese wichtigen Kompetenzen zu entwickeln.