Hochbegabte unterstützen

Schule

Anerkennungskultur in der Schule

Engagement von Schüler:innen auch außerhalb der klassischen Leistungsbewertung durch Noten zu würdigen, kann einen wertvollen Beitrag zu einer positiven Lernkultur in der Schule leisten und wird durch die Anerkennung individueller Partizipation verstärkt.

Von: Marielle Liebert


Ressourcenorientierung als Schlüssel für eine Anerkennungskultur in der Schule

Es ist kein Geheimnis, dass der Blick auf die Stärken eines Kindes besonders gewinnbringend für dessen Entwicklung ist. Werden Ressourcen des einzelnen Kindes ermittelt und auf dieser Grundlage die bestmögliche Förderung erreicht, so ergeben sich pädagogische Handlungsoptionen, die sowohl für Schüler:innen als auch für Lehrpersonen motivationale Potenziale bereithalten. Nach wie vor herrscht an vielen Schulen eine defizitorientierte Lernkultur, der damit begegnet werden sollte, Schüler:innen stattdessen dazu anzuregen, ihre eigenen Interessen und Stärken auszubauen. Denn genau dieser stärkenorientierte Blick gilt als eine Voraussetzung für die kognitive Leistungsentfaltung.

Die Berücksichtigung individueller Bedürfnisse und Voraussetzungen ist notwendig für eine begabungsgerechte Ausrichtung der Schulkultur 1. Grundlage für die Aneignung einer solchen Kultur – und einer entsprechenden pädagogischen Haltung – ist die Wahrnehmung der gesamten Persönlichkeit von Kindern, die eben über den schulleistungsorientierten Blick hinausgeht. Ein „verkürztes Leistungsverständnis, das in der Notengebung ihren Ausdruck findet“ ist noch immer ein zentrales Element im heutigen Schulverständnis, was nicht selten zu Ausgrenzungserfahrungen einzelner Schüler:innen führt und im Gegensatz zu dem personorientierten Blick steht. Die Persönlichkeitsbildung von Schüler:innen ist demnach nicht einfach nur das Ergebnis des schulischen Auftrags der Wissensvermittlung, sondern sollte aktiv fokussiert werden 2. Unstrittig ist wohl, dass institutionelle Rahmenbedingungen entscheidend für die Entwicklung individueller Leistungsentfaltung und Begabungen sind 3. Widerspiegeln können sich diese Rahmenbedingungen sowohl in der pädagogischen Haltung einzelner Lehrpersonen als auch im Kontext der gesamten Schulkultur und auf Organisationsebene.

Ziele von Anerkennungskultur in der Schule

Der Kulturbegriff in der Schule ist immer mit der Partizipation vieler Beteiligter verbunden und knüpft an die Vorstellung der Gestaltung von Schule als Lern- und Lebensraum an. Ein wesentliches Element für die Wertschätzung individueller Leistungsvoraussetzungen ist eine Kultur der Anerkennung in Schule. Diese hat das Potenzial, Leistungen spezifisch wertzuschätzen und die Förderung der einzelnen Person zu ermöglichen, nämlich dann, wenn eine (Leistungs-)Anerkennung auch auf anderem Wege als dem der klassischen Notengebung – die häufig in (defizitären) Bereichsausschnitten des Leistungsspektrums stecken bleibt – stattfindet. Wenn Schüler:innen durch eine vonseiten der Schule gepflegte Anerkennungskultur erfahren können, dass Kompetenzen nicht ausschließlich in Noten auszudrücken sind, sondern auch andere partizipatorische Beteiligungen anerkannt werden, wird der Weg für eine übergreifende positive Lernkultur geebnet. Diese kann sich dann wiederum in der kognitiven Leistungsbereitschaft niederschlagen und somit dazu führen, dass auch eine begabungsgerechtere Schullandschaft geprägt wird. Die Ziele, die mit der Etablierung einer Anerkennungskultur an Schulen verbunden sind, erstrecken sich auf unterschiedliche Bereiche und können ebenfalls als Aspekte von Wohlbefinden definiert werden:

  • Die Entwicklung der Selbstwirksamkeitsüberzeugung,
  • das Erfahren von Freiräumen und frei verfügbarer Zeit,
  • das Vorhandensein von Partizipationsmöglichkeiten,
  • das Erleben von Beziehungsqualitäten,
  • faire Zugänge zu Lern- und Bildungsorten 4

Wenn diese Ziele nun in Verbindung gebracht werden mit den Eckpfeilern der Begabungsentwicklung, wird deutlich, weshalb die Anerkennungskultur einen dieser Eckpfeiler darstellt. Denn wenn – besonders begabte – Schüler:innen das Gefühl vermittelt bekommen, dass ihre individuellen und teils herausragenden Leistungen wahrgenommen und sozial verstärkt werden, erscheint das Zeigen der eigenen Leistungen als erstrebenswert 5. Die soziale Verstärkung kann durch verschiedene Herangehensweisen erreicht werden.

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Begabungen erkennen und anerkennen, Begabungen ernst nehmen und würdigen, solche Haltungen sind höchstmögliche, weil motivierende Förderungsmomente. Das gilt auch für die Anwendung eines positiven, weil differenzierten Leistungsverständnisses.

Armin Hackl 6
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Interviewausschnitt mit einem Fünftklässler kurz nach dem Übergang von der Grundschule auf die weiterführende Schule:

Interviewer: Hattest du in der Grundschule eine Lieblingslehrerin oder einen Lieblingslehrer?

Schüler: Ja, Frau Kronshagen.

Interviewer: Warum war sie deine Lieblingslehrerin?

Schüler: Sie hat mir immer geholfen und wollte immer, dass wir Spaß beim Lernen haben. Sie hat uns immer gesagt, was wir gut können und nicht, was wir schlecht können. Sie hat mir zum Beispiel gesagt, dass ich anderen immer helfe und gefragt, ob ich schon weiß, was ich mal werden möchte. Ich hab ihr dann erzählt, dass ich mal Polizist werden will und sie hat mir gesagt, dass ich für diesen Beruf schon ganz viel gut kann. So ist es jetzt auf der neuen Schule nicht mehr, hier geht es immer nur darum, dass alle das Gleiche machen und wer der Schnellste ist, kriegt eine gute Note.

Beispiele für eine gelebte Anerkennungskultur

Einige Beispiele für eine gelebte Anerkennungskultur sollen hier genannt werden, um zu zeigen, dass es für die Umsetzung dieser Maßnahme nicht unbedingt einer Ressourcenerweiterung oder der Anpassung der schulischen Infrastruktur bedarf, sondern sich viele anerkennende Elemente bereits mit kleinen Aktionen und der Reflexion der eigenen Haltung der Lehrperson realisieren lassen. Der Blick bei der Etablierung einer schulischen Anerkennungskultur ist dabei immer auf die Schüler:innen zu richten. Wie erleben sie es, wenn mit ihnen stärkenorientiert umgegangen wird und wie nehmen sie es wahr, wenn ihre individuellen Ressourcen dabei berücksichtigt werden?

Eine Möglichkeit, besonders dem Individualisierungsanspruch im Unterricht nachzukommen, ist die Lernberatung. Hier wird die Lehrperson zur beratenden Instanz und reflektiert das Lernverhalten des einzelnen Schülers oder der einzelnen Schülerin. Aufgrund dieser regelmäßigen Bestandsaufnahme ist ein Ziel der Lernberatung, den Weg der Wissensaneignung besonders in offenen Unterrichtsformaten teilweise in die Verantwortung der Schüler:innen selbst zu legen. Es können beispielsweise gemeinsame Wochenpläne oder Lerntagebücher angelegt werden. So können besonders begabte Schüler:innen in ihrer favorisierten Art lernen, die in der Lernberatung wiederum an sich wertgeschätzt wird, anstatt nur die Leistung als Ergebnis des Lernprozesses anhand von Notengebung zu würdigen. Weiterhin ist der Blick auf das Kind – unter der Berücksichtigung der individuellen Voraussetzungen und der (Bildungs-)Biografie – auch für hochbegabte Underachiever eine Möglichkeit, Anerkennung zu erfahren. Denn begabte Schüler:innen, die ihre Leistungen aus unterschiedlichen Gründen nicht schulkonform abrufen können, profitieren von der Berücksichtigung ihrer Stärken und Schwächen, die nicht nur auf notenrelevante Aspekte beschränkt werden.

Partizipation vonseiten der Schüler:innen in der Schulgemeinschaft anerkennen

Wie aber kann es nun gelingen, auch Partizipation von Schüler:innen zu fördern und anzuerkennen, die nicht unbedingt im unterrichtlichen Geschehen sichtbar wird? Die Anerkennung verschiedener Leistungsvariablen kann verstärkt werden, wenn auch öffentliche Formate der Anerkennung gewählt werden. Diese können innerschulisch oder auch in Zusammenarbeit mit außerschulischen Institutionen stattfinden. Möglichkeiten, Leistungen in einem öffentlichen Rahmen anzuerkennen, sind etwa unterschiedliche Veranstaltungsformen. Das kann zum Beispiel durch den Einbezug des sozialen Nahraums der einzelnen Schüler:innen geschehen, indem Engagement in schulischen oder auch außerschulischen Projekten – etwa in öffentlichen Präsentationen – gewürdigt wird. Andere Möglichkeiten der expliziten Anerkennung sind zum Beispiel:

  • Der Einbezug von Leistungsnachweisen in die Zeugnisnote, die nicht im direkten Zusammenhang mit dem Unterricht stehen (etwa aus Projekten, in welchen auch Aspekte wie Zuverlässigkeit, Selbstständigkeit, Kooperationsfähigkeit etc. beurteilt werden können – je nachdem wie und wo die Schüler:innen ihre Stärken zeigen können),
  • das Erkennen von besonderen Einsätzen der Schüler:innen, wie etwa Engagement für das Klassenklima (und eine daran anschließende Maßnahme wie ein gemeinsamer Ausflug o. Ä.),
  • Belohnungen des Einsatzes für die Schule im Sinne von Siegerehrungen, Urkunden, besondere Preisverleihungen etc.,
  • die Übertragung von verantwortungsvollen Aufgaben aufgrund der Wahrnehmung spezifischer Kompetenzen in einzelnen Bereichen (z. B. Medienpräsenz) 7.

Schüler und Lehrer sprechen über eine Arbeit
Bild: iStock/industryview

Anerkennungskultur verbessert das allgemeine Lernklima einer Schule

Dass sich die Auszeichnung individueller Leistungen auch auf das allgemeine Lernklima einer Schule auswirken kann, scheint die logische Konsequenz dieser genannten Beispiele zu sein. Das Erfahren der Teilhabe an Entscheidungen die schulische Gestaltung betreffend, kann als konstruktiver Beitrag zur Formung einer Schulkultur wahrgenommen werden, wenn diese Teilhabe gewährt und beachtet wird. Lehrpersonen können somit bereits einerseits durch kleine, klasseninterne Aktionen dazu beitragen, dass das Zeigen von Leistungen als erstrebenswert wahrgenommen wird. Dies kann besonders für begabte Schüler:innen ein Anreiz sein, ihre Leistungen herausstellen zu wollen. Andererseits können sie Einsatz dafür zeigen, dass diese Leistungen auch im größeren Kontext anerkannt werden. Je nach Klassenstufe sollten diese Anerkennungsformate natürlich variieren. So kann sich ein/e Schüler:in in der Grundschule beispielsweise bereits gesehen fühlen, wenn ihr oder ihm der/die Schulleiter:in über den Lautsprecher zum Geburtstag gratuliert oder aber wenn kleinere Wettbewerbe (wie etwa eine Lesewettbewerb) als schulöffentliche Veranstaltung ausgerufen wird. In höheren Klassen kann Engagement in AGs oder außerschulisch initiierten sozialen Projekten etwa durch Präsentationsvorstellungen (z. B. in kleinen organisierten Veranstaltungen, ähnlich einer Mini-Tagung, die auch von den Eltern besucht werden kann) honoriert werden.

Interviewausschnitt mit einer Schülerin über ihre Erfahrung mit Notengebung:

Interviewerin: Wie reagieren denn deine beiden Klassenlehrer, wenn eine Arbeit auch mal schlecht ausgefallen ist und sie euch nicht so gute Noten wiedergeben müssen?

Schülerin: Sie können dann schon mal streng werden, meistens weil sie finden, dass wir das besser können. Aber sie sind nie sauer wegen der schlechten Note. Noten sind denen nicht so wichtig. Sie sagen immer, dass Noten gar nicht zeigen können, was wir alles können. Wenn sie mitbekommen haben, dass wir uns gut vorbereitet haben und dann trotzdem eine schlechte Note schreiben, loben die uns trotzdem und sagen uns auch bei einer fünf noch, was gut an unserer Arbeit war.

Fazit

Eine Anerkennungskultur sollte verlässlicher Teil der Schulkultur werden, denn alle Schüler:innen haben so die Möglichkeit, Leistung auch unabhängig der regulären Notenbewertungsskala zu zeigen und werden dafür wahrgenommen. Somit hat auch die Lehrperson einen großen Nutzen von diesem Umgang mit Schüler:innenleistungen, da sie durch individuelle Anerkennung die Akzeptanz der Sichtbarmachung von Leistungen fördert und damit indirekt auf das Lernverhalten der Schüler:innen und idealerweise auf die gesamte Lernkultur der Schule einwirken kann.