Hochbegabte unterstützen

Schule

Lehrpersonen als Berater:innen und Lernbegleiter:innen

Die beraterische Tätigkeit von Lehrpersonen gehört zu den zentralen Aufgaben des schulischen Alltagsgeschehens. Viele Schulen haben eigene Beratungskonzepte entwickelt, damit unterschiedlichen Anliegen für Beratung individuell begegnet werden kann. Dem Gebiet der Beratung kommt auch für den souveränen Umgang mit begabten Schüler:innen eine besondere Bedeutung zu.

Von: Marielle Liebert


Im schulischen Alltag sind die Beratungsbedarfe von Schüler:innen sowie von Eltern in der letzten Zeit immer weiter gestiegen. Es kann davon ausgegangen werden, dass dies mannigfaltige Gründe hat, unter anderem aber zurückzuführen ist auf die sich im Wandel befindenden gesellschaftlichen Bedingungen, die im Zusammenhang mit schulisch-systemischen Entwicklungsprozessen und komplexer werdenden Schullaufbahnentscheidungen stehen.

Beratungsauftrag von Lehrpersonen

Beratung im schulischen Umfeld ist keinesfalls ein neues Thema, sondern bereits 1970 im Strukturplan für das Bildungswesen vom deutschen Bildungsrat als eine der Kernaufgaben von Lehrpersonen festgehalten worden 1. Und auch in den KMK-Standards für die Lehrerbildung (2004) 2 wird die Beratungsaufgabe berücksichtigt und im Kompetenzbereich Beurteilen verortet. Diesbezüglich gibt es allerdings auch Kritik – nämlich die, dass die Beratungsaufgabe von Lehrpersonen im Bereich Beurteilen zu eng gedacht sei und aufgrund ihrer übergreifenden Funktion einen eigenen Kompetenzbereich darstellen sollte 3. Klar ist, dass heutzutage alle Lehrpersonen einen Beratungsauftrag haben – nicht nur spezielle Beratungslehrkräfte. Beratungskompetenz gilt daher als eine Schlüsselkompetenz von Lehrpersonen. Dies führt zu verschiedenen Herausforderungen, auch was die Aus- und Weiterbildungsinhalte von Lehrerinnen und Lehrern angeht. Die unterschiedlichen Beratungsanlässe bedürfen eines sensiblen und souveränen Umgangs mit dem jeweiligen Klientel (Schüler:innen, Eltern oder auch Kolleg:innen) und ihren Anliegen.

Lehrerin spricht mit Schülerinnen an einem Tisch
Bild: Sabine Wedemeyer

Bedingungen für einen gelungenen Beratungsprozess

Um den unterschiedlichen Bedürfnissen nachkommen zu können, muss die Aufgabe der Beratung als produktiver, kommunikativer Prozess auf beiden Seiten – Beratende Person und Ratsuchende:r – wahrgenommen werden. Sie kann im Bereich Schule als personale Kommunikation verstanden werden, also eine Kommunikation zwischen zwei oder mehr Personen, die (zumindest mittelbar) in einem persönlichen Verhältnis zueinander stehen. Wichtige Grundhaltung dabei ist, dass der oder die Ratsuchende aktiv in den Beratungsprozess mit einbezogen wird und veränderungswillig ist. Eine weitere Bedingung für einen erfolgreichen Beratungsprozess ist das Fachwissen der beratenden Lehrperson über den Kontext, bzw. das Problemfeld und über den Zweck der Beratung selbst.

Ziele von Beratung

Beratung in Schule kann verschiedene Zielvorstellungen beinhalten, wie etwa

  • Die Vermittlung von Informationen,
  • die Verbesserung der Selbststeuerungsfähigkeit,
  • den Auf- oder Ausbau von Handlungskompetenzen,
  • Orientierungs- und Entscheidungshilfen.

Beratung kann demnach informativ (wie etwa das Mitteilen von Leistungsständen), direktiv (direkte Ratschläge oder Verhaltensanweisungen gebend) oder nicht-direktiv/reflexiv (ergebnisoffen, gemeinsame Lösungskonstruktion/-suche) stattfinden. Letztlich geht es aber immer darum, für mögliche Entlastungen – sowohl auf Seite der Ratsuchenden als auch auf Seite der Beratenden – zu sorgen. Im Bereich Schule ist diese Entlastung idealerweise besonders im Unterricht spürbar; es sollte darauf hingearbeitet werden, dass Lehrende und Lernende an einem Strang ziehen. Diese beidseitige Perspektive erlangt für die alltäglichen pädagogischen Herausforderungen besondere Relevanz. Aufgrund der Vielfalt an möglichen Beratungszwecken und -zielen stellt Beratung in der Schule ein Querschnittsthema dar, bei dem Lehrpersonen häufig die ersten Ansprechpartner:innen sind.

Beratung durch Lehrpersonen im Kontext der Begabtenförderung

Auch im Bereich der Begabungs- und Begabtenförderung stellt die Beratung von Schüler:innen und deren Eltern einen wichtigen Bestandteil für die Perspektivenschaffung und -erweiterung z. B. für angemessene Fördermaßnahmen dar. Auch wenn es gerade im Bereich der Begabtenförderung viele außerschulische Beratungsangebote gibt, sind Lehrkräfte als Personen der alltäglichen Begegnung vielfach die ersten, die eine Beratungsnotwendigkeit diagnostizieren können. Dafür müssen sie eine Haltung innehaben, die die unterschiedlichen Bedürfnisse Lernender erkennt, sodass sie „die Vielfalt der Begabungen auch anerkennen, angemessen beraten und fördern können“ 4. Eine Voraussetzung für das Erkennen und Fördern begabter Kinder ist aber nicht nur die individuelle Haltung der einzelnen Lehrperson, sondern auch ein Schulklima, das innovationsfreudig ist und in dem eine Beratungskultur für Begabte als eine entscheidende schulpädagogische Aufgabe anerkannt wird 5. Begabtenberatung ist deshalb auch immer mit Schulentwicklungsthemen verbunden.

Hierfür sind Weiterentwicklungsformate empfehlenswert, die Lehrpersonen für bestimmte Beratungsthemen – wie die Begabung – sensibilisieren. Lehrende sollten dabei ein Selbstverständnis entwickeln, das Beratung als Teil der eigenen Profession versteht und welches sie dazu befähigt, sowohl Ratsuchen als auch der eigenen Beratungspraxis gegenüber eine reflektierende Haltung einzunehmen. Nur so kann eine angemessene Kompetenz zur Durchführung von Beratungsgesprächen entstehen. „Beratung ist wie Unterrichten, Erziehen und Beurteilen Aufgabe aller Lehrerinnen und Lehrer“ 6, deshalb erhält das Thema der Beratung in der Schule auch zunehmend Einzug in universitäre Curricula. Allerdings fehlt hier häufig der Praxisbezug und es stellt sich folgerichtig die Frage, ob die hohen Anforderungen aufgrund der unterschiedlichen Beratungsbedürfnisse und das damit verbundene Handeln in entsprechend vielfältigen Rollen Lehrpersonen demnach auch be- statt entlasten könnten. Ein Beispiel für ein Konzept, das auch die Bedarfe von begabten Schüler:innen in den Blick nimmt und Lehrpersonen entsprechend ihrer Beratungskompetenz berufsbegleitend weiterbildet, ist beispielsweise das dritte Modul der Bund-Länder-Initiative LemaS 7.

Beratungsfelder und Beratungsauftrag

Innerhalb der von Lehrpersonen ausgeführten (Begabten-)Beratung können unterschiedliche Beratungsfelder fokussiert werden, von denen einige in der nachfolgenden Darstellung skizziert werden:

Grafik Beratungsthemen von Schüler:innen und Eltern
Beratungsthemen von Schüler:innen und Eltern

Auch die kollegiale Beratung anderer Lehrpersonen und die systemische Beratung gehört zum Beratungsauftrag und kann Beratung in Zusammenhang mit (schulischen) Weiterentwicklungsprozessen und -potenzialen, dem Einstieg in die Lehrtätigkeit oder Beratung im Konfliktfall beinhalten. Denn auch Berater:innen brauchen Beratung – einerseits, um an individuellen Baustellen zu arbeiten und andererseits, um die eigene Beratungspraxis zu reflektieren und produktiv weiterzuentwickeln. Hierfür bieten sich z. B. Formen wie eine Supervision an.

Lernberatung/Lernbegleitung

Als eine wiederkehrende Beratungsform stellt sich die Lernberatung im Hinblick auf die Beratung von begabten Schüler:innen als besonders vorteilhaft für die Strukturierung von Lernprozessen heraus. Hier kann die beraterische Tätigkeit der Lehrperson auch als eine Art Lernbegleitung gesehen werden, die kontinuierlich die Bedürfnisse der zu Beratenden im Blick behält und damit für ein anregendes Lernklima – wiederum auf beiden Seiten – sorgt. Bei der Lernberatung sucht die Lehrperson gemeinsam mit den Schüler:innen nach geeigneten Möglichkeiten für deren Förderung. Dies geschieht vor allem im individualisierten Unterricht, in dem es den Lernenden ermöglicht wird, eigene Arbeitsformen und ein angepasstes Lerntempo zu entdecken. Die so entstehenden Kompetenzen – auf selbstreguliertes Lernen bezogen – können von der Lehrperson genutzt werden, um Leistungspotenziale der Schüler:innen sichtbar und nutzbar zu machen. So können regelmäßig nächste Schritte, Lernentwicklungsprozesse und Ziele besprochen werden. Aufgrund der Kontinuität dieser Beratungsform kann idealerweise eine Beratungskultur an Schulen oder in einzelnen Klassen geschaffen werden, die als Unterstützungselement der alltäglichen Praxis fungieren und sowohl in Einzel- als auch in Gruppenform etabliert werden kann.

Der Anspruch, Beratung als wiederkehrenden Prozess zu integrieren, hält Vorteile, aber auch organisatorische Herausforderungen für die Schulgemeinschaft bereit. Wichtig ist die kompetente Durchführung von Beratungsgesprächen, die nur durch das Anerkennen von Beratung als Entwicklungsmöglichkeit für individuelle und systemische Entfaltung möglich ist. Wird Beratung also auch präventiv statt nur interventiv angeboten und durchgeführt, bietet sie die Möglichkeit, selbstregulative Lernformen zu fördern und so individuelle Potenziale Lernender zu entdecken.