Hochbegabung verstehen
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Begabung ist Chance, Möglichkeit und Verheißung. Sie ist kein Versprechen und keine Gewissheit.
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Von Äpfeln und Birnen: Begabung und Leistung
Mit dem Begriff Begabung werden die intellektuellen Fähigkeits- bzw. Leistungspotenziale eines Menschen bezeichnet 1. Besondere Leistungen oder ein großer Wissensreichtum können sich nur dann aus einer Begabung entwickeln, wenn die Voraussetzungen stimmen. Aus diesem Grunde wird Begabung auch dynamisch verstanden: Begabung ist keine feststehende, unveränderliche Eigenschaft einer Person. Denn sie steht in vielfältiger Wechselbeziehung zu weiteren Bedingungen. Die Voraussetzungen für die Umsetzung von Begabung in Leistung liegen dabei sowohl in persönlichen Voraussetzungen als auch in förderlichen Umweltbedingungen. Begabung ist Chance, Möglichkeit und Verheißung. Sie ist kein Versprechen und keine Gewissheit.
Was wir unter Leistung verstehen, kann zudem sehr unterschiedlich sein. Es ist abhängig davon, was eine Gesellschaft für relevant und wertvoll hält. Leistung ist damit kein feststehender Begriff, sondern entsteht durch Aushandlungen und Vereinbarungen der Mitglieder der Gesellschaft. Der Leistungsbegriff unterliegt kulturellen Unterschieden und kann sich über die Zeit verändern. Aber auch innerhalb einer kulturellen Gemeinschaft bestehen teils sehr unterschiedliche Lebenswirklichkeiten und damit unterschiedliche Bedeutungen von Leistung. Es hängt unter anderem vom Alter einer Person ab, was von ihr erwartet wird. Bei Kita-Kindern bezieht sich Leistung noch nicht auf äußere messbare Kriterien, sondern auf das individuelle Erleben von Wirksamkeit und Erfolg bei Anstrengung. Bei der Erprobung ihrer Fähigkeiten zeigen Kinder mit einer hohen Begabung besonders schnell Lernfortschritte und erweitern rasch ihre Kompetenzen 2.
Wie aus Begabung Leistung werden kann
Welche Faktoren spielen eine Rolle bei der Umsetzung von Begabung in Leistung? Hierbei sind immer mehrere Faktoren in der begabten Person und in ihrer Umwelt von Bedeutung. Auf Seiten der Person spielen neben kognitiven Merkmalen wie der Intelligenz auch nicht-kognitive Merkmale wie z. B. Motivation und Interesse, Lern- und Arbeitsverhalten oder der Umgang mit Erfolg und Misserfolg eine Rolle und können damit Ansatzpunkt für die individuelle pädagogische oder psychologische Förderung sein. Für die Begabungsentwicklung eines Kindes sind die Familie, die Kita und die Schule wichtige Umwelten, die einen starken Einfluss ausüben 3. Ob ein Kind seine Begabung auch in Leistung umsetzen kann, hängt maßgeblich von seiner Umwelt ab, d. h. von passender Förderung ebenso wie von günstigen sozialen Bedingungen. Die Qualität der pädagogischen Arbeit in Kita und Schule ist damit ein zentraler Ansatzpunkt, um günstige Bedingungen für die Potenzialentfaltung zu schaffen.
Frühe und passende Förderung macht eine Entwicklung von Begabung zu Leistung wahrscheinlicher, sie kann sie aber nicht garantieren. Manche Hochbegabte entfalten ihr Potenzial erst später im Leben. Aus einer Talententwicklungsperspektive wird der Blick ein Stück weit von der allgemeinen Begabung gelöst und auf den langfristigen Entwicklungsprozess spezifischer Talente sowie das Zusammenspiel mit Persönlichkeits- und psychosozialen Kompetenzen gerichtet 4. So können u. a. günstige Zeitfenster für die Aneignung ganz spezifischer Fertigkeiten (z. B. mathematische Fähigkeiten) identifiziert werden.
Wenn die Leistung nicht der Begabung entspricht
Im Alltag, und ganz besonders in der Schule, werden Hochbegabung und Hochleistung häufig gleichgesetzt oder es wird zumindest angenommen, dass beides gemeinsam auftritt. Somit orientieren sich Lehrkräfte und pädagogische Fachkräfte, aber auch Eltern und die Kinder und Jugendlichen selbst, vor allem an der sichtbaren Leistung. Das Vorliegen oder Nicht-Vorliegen der unsichtbaren Begabung wird aus der gezeigten oder eben nicht gezeigten Leistung geschlussfolgert. Diese Performanzorientierung kann dann problematisch werden, wenn eine hohe Begabung nicht in Leistung umgesetzt werden kann.
Underachievement
Wenn ein hochbegabtes Kind sein Potenzial in der Schule nicht in seiner Begabung entsprechende Leistungen umsetzen kann, sprechen wir von Underachievement. Aufgrund der unauffälligen oder sogar unterdurchschnittlichen Leistungen wird eine Hochbegabung seltener erkannt. Ebenso wie zur Entstehung von Leistung tragen auch zur Entwicklung von Underachievement viele Faktoren bei: Personmerkmale, Kompetenzen und Umweltfaktoren sind als komplexes Gefüge von Bedingungsfaktoren wirksam. Liegt neben der Hochbegabung eine weitere individuelle Besonderheit vor, d. h. eine Entwicklungs-, eine Lern- oder Leistungsstörung, sind Betroffene „Twice Exceptional“, also „zweifach außergewöhnlich“. Auch in diesen Fällen ist eine Hochbegabung schwerer zu erkennen: Zweifach außergewöhnliche Kinder bleiben häufig gänzlich unauffällig oder sie erhalten Fehldiagnosen.
Fallen Kinder nicht durch besondere Leistungen auf, wird über die Möglichkeit einer Hochbegabung selten nachgedacht. Dabei gibt es viele mögliche Gründe, warum eine hohe Begabung (noch) nicht als Leistung sichtbar wird. In allen Fällen bleibt den betroffenen Kindern eine adäquate Förderung verwehrt, und damit die Möglichkeit, ihre Potenziale zu entfalten und besondere Leistungen zu zeigen. Kann ein Mensch seine Potenziale nicht ausreichend entfalten, hat dies nicht nur ungünstige Folgen für die Leistung und den Bildungsverlauf, sondern kann auch das Wohlbefinden und die persönliche Entwicklung beeinträchtigen.
Um verdeckte Begabungen zu erkennen, braucht es sensible und sensibilisierte Bezugspersonen, die auch bei nicht gezeigter Leistung Potenziale vermuten und zu ihrer Entfaltung beitragen. Eine gute Diagnostik und daran ausgerichtete individuelle (Förder-)Beratung, die die individuelle Bedingungskonstellation berücksichtigt, kann dabei wertvolle Unterstützung bieten.
Günstige Bedingungen schaffen
Begabung entfaltet sich nicht von selbst oder führt ohne weiteres zu großer Leistung 5. Hierfür braucht es eine gute Passung zwischen der begabten Person und ihrer Umwelt. Dazu gehört,
- Kindern früh die Möglichkeit zu gegeben, ihre Begabungen und Interessen zu erkunden,
- dass es aufmerksame Eltern, pädagogische Fachkräfte, Lehrkräfte, Berater:innen und weitere Bezugspersonen gibt, die Begabungen entdecken, die Potenzialentfaltung unterstützen und sich für eine passende Förderung engagieren,
- dass Kita und Schule sich auszeichnen durch eine positive Lernatmosphäre, gut vorbereitete Lernumgebungen und eine person- und ressourcenorientierte Haltung,
- dass die individuellen Voraussetzungen (z. B. sprachliche, kulturelle) des begabten Kindes bei der (Intelligenz-)Diagnostik, der Förderung und in der Beratung beachtet werden,
- dass Faktoren, die die Leistung von Kindern auch bei hohem kognitivem Potenzial beeinträchtigen können (z. B. Schwierigkeiten beim selbstregulierten Lernen oder twice exceptionality), von den Bezugspersonen sensibel wahrgenommen und individuell passende Unterstützungsangebote gemacht werden.
Mit der Berücksichtigung von Einflussfaktoren auf die Begabungs- und Leistungsentwicklung im Rahmen der Diagnostik und Förderung von (Hoch-)Begabungen und in der Beratung wird die Chancengerechtigkeit im Bildungssystem gestärkt.
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