Hochbegabte unterstützen

Beratung

Podcast-Reihe „Liebe Karg-Stiftung ...“ – Folge 2: Individuelle Förderung im Kindergarten

In dieser Folge der Podcast-Reihe „Liebe Karg-Stiftung ...“ sprechen Dr. Wiebke Evers und Dr. Anne-Kathrin Stiller, beide Projektleiterinnen im Bereich Beratung der Karg-Stiftung, über Begabungsförderung im Kindergarten. Wenn unter den Fachkräften in der Kita (noch) keine gemeinsame Haltung zur frühen Förderung besonders begabter Kinder besteht, kann das Unsicherheit bei den Erzieher:innen und bei den Eltern erzeugen. In dieser Folge geben wir vielfältige Anregungen, wie Eltern damit umgehen können, wenn sie Zweifel haben, ob ihr Kind in der Kita seinen Potenzialen entsprechend gefördert wird. Was ist dabei zu bedenken und wer kann und sollte eigentlich einbezogen werden? Hören Sie rein!

Von: Anne-Kathrin Stiller und Wiebke Evers


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Die Podcastfolge zum Nachlesen

Dr. Wiebke Evers: Herzlich Willkommen zum Podcast, „Liebe Karg-Stiftung …“

Dr. Anne-Kathrin Stiller: Wir sind Anne-Kathrin Stiller.

Dr. Wiebke Evers: Und Wiebke Evers.

Dr. Anne-Kathrin Stiller: Wir beide sind Psychologinnen und sind in der Karg Stiftung im Bereich Beratung tätig.

Dr. Wiebke Evers: Wir werden in dieser Reihe auf typische Fragen und Anliegen von Eltern hochbegabter Kinder eingehen, die viele Bewegen. Dabei stellen wir fiktive Anfragen von Eltern vor und besprechen diese gemeinsam vor unserem fachlichen Hintergrund.

Dr. Anne-Kathrin Stiller: Das ersetzt natürlich keine individuelle Beratung. Wir möchten damit eine erste Orientierung geben und Eltern vielleicht den ein oder anderen Handlungsansatz bieten. Und wir werfen Fragen auf, die helfen können, eine Situation zu klären oder Lösungsmöglichkeiten zu finden. In dem Anliegen von Frau A geht es um die Förderung von Begabungen und Interessen in der Kita.

Dr. Wiebke Evers: Frau A aus Mainz schreibt:

Liebe Karg-Stiftung,

mein Sohn Cem, 4 Jahre, zeigt bereits großes Interesse am Lesen, Schreiben und Rechnen. In der Kita herrscht Uneinigkeit darüber, inwieweit man auf das Interesse eingehen sollte. Einige Erzieher:innen in seiner Gruppe befürchten, er würde sich ja dann später in der Schule langweilen. Andere sind offen dafür, auf Cems Interesse noch mehr einzugehen. Die Angebote, die die Kita in diesem Bereich macht, richten sich allein an die Vorschulkinder. Ich mache mir Sorgen, dass Cem nicht angemessen gefördert wird und frage mich, was ich tun kann.

Dr. Anne-Kathrin Stiller: Bei diesem Anliegen würde ich zunächst mal fragen, für wen denn die aktuelle Situation ein Problem darstellt. Es werden ja hier verschiedene Sichten der Beteiligten auf die Situation geschildert. Die Mutter äußert ja Sorgen oder Befürchtungen und diese Befürchtungen würde ich dann erstmal konkretisieren. Also was könnte denn im schlimmsten Fall geschehen, wenn es jetzt alles so bliebe wie es ist? Dann kann Sie die Befürchtungen auch genauer betrachten und das wird diesen Befürchtungen dann auch in gewisser Weise den Schrecken nehmen und oft entstehen dann auch schon von ganz allein erste Lösungsideen.

Dr. Wiebke Evers: Ich frage mich auch, wie Cem die aktuelle Situation so einschätzt und sieht. Wie fühlt er sich gerade in der Kita? Fühlt er sich da wohl? Ist er da vielleicht tatsächlich unterfordert? Wenn er von Langweile berichtet, finde ich es wichtig, auch das Gespräch mit der Kita zu suchen und dem nachzugehen.

Dr. Anne-Kathrin Stiller: Genau, Stichwort Kita, da heißt es ja in dem Anliegen, dass da eine gewisse Uneinigkeit besteht, wie man jetzt auf Cems Interessen eingehen sollte, das könnte ein Zeichen dafür sein, dass das vielleicht auch der allererste Anlass ist, oder das erste Kind, an dem sich das jetzt zeigt, dass man sich mit dem Thema Begabungsförderung auseinandersetzen muss und möchte. Das heißt, die Kita ist vielleicht gerade erst mal dabei, sich hier noch ein Konzept und eine Haltung zu erarbeiten und einen Umgang damit zu finden.

Dr. Wiebke Evers: Wenn Sie als Eltern aber Klärungsbedarf, Unsicherheiten oder auch Befürchtungen haben, würde ich sie auf jeden Fall dazu ermuntern, das Gespräch mit der Kita zu suchen. Das ist die Möglichkeit, um Fragen zu klären und auch ihre Sorgen und Befürchtungen anzusprechen. Und in Gesprächen erfahren alle Beteiligten mehr über die verschiedenen Perspektiven auf Cem und können ihre Beobachtungen auch miteinander vergleichen.

Dr. Anne-Kathrin Stiller: Dann kann man nämlich auch mehr darüber erfahren, was vielleicht die guten Gründe der Fachkräfte sind, diese Sache eben so oder so zu sehen, also eher pro Förderung zu sein, oder eher ein bisschen vorsichtig zu sein. Dann können die Eltern auch besser nachvollziehen, worin vielleicht eben die Befürchtungen und auch die guten Absichten der Fachkräfte bestehen. Denn eins ist klar, alle Seiten werden hier das beste Interesse von Cem im Blick haben. Also die Eltern aber eben auch die Erzieher:innen in der Kita.

Dr. Wiebke Evers: Geben Sie als Eltern dem Team auch ruhig ein bisschen Zeit, um Gespräche zu führen, sich zu informieren und vielleicht auch von Externen beraten zu lassen. Hier ist zum Beispiel für Kitas die Fachberatung zuständig, die auch zu solchen Themen einen Input liefern kann.

Dr. Anne-Kathrin Stiller: Wichtig ist, dass Cem immer im Fokus bleibt, also wenn hier eine Unterforderung besteht, sollte die auf jeden Fall ernst genommen werden.

Dr. Wiebke Evers: Es kann nämlich ganz schön einschneidend sein für ein Kind, wenn es in seinen Interessen nicht gesehen und auch in seinen Fähigkeiten nicht erkannt wird. Auch so etwas kann zu Auffälligkeiten im Verhalten führen, die sich eigentlich aus einer Unterforderung heraus ergeben. Denn so eine Unterforderung frustriert einfach, wenn sie ständig besteht und auch diese Aufgabe, die damit einhergeht, sich immer zu regulieren und anzupassen, das überfordert in diesem Alter einfach ungemein.

Dr. Anne-Kathrin Stiller: Also, wenn hier tatsächlich Auffälligkeiten bestehen oder Cem es irgendwie nicht gut geht, dann ist es auf jeden Fall Zeit, etwas anderes zu probieren und eben nicht so weiterzumachen, wie bisher in der Kita. Wie das dann aussehen kann, dazu können die Vorschläge im gemeinsamen Gespräch natürlich auch von Ihnen als Eltern kommen, aber eben auch von der Kita. Es könnte ja zum Beispiel eine Idee sein, dass das Kind mal probeweise an Vorschulangeboten teilnimmt und dann wäre es eben spannend zu schauen, welche Auswirkungen es hat, wenn Cem geistig mehr gefordert wird.

Dr. Wiebke Evers: Bei Bedarf kann es auch hilfreich sein die Kitaleitung mit ins Boot zu holen. Individuelle Förderung ist ja ein übergeordnetes Thema, bei dem es darum geht, wie die Kita den unterschiedlichen Bedürfnissen von allen Kindern gerecht werden kann.

Dr. Anne-Kathrin Stiller: Kitas haben einen Bildungsauftrag, das heißt, die allermeisten sind weg davon zu sagen, bei uns wird nur gespielt, aber Sie dürfen sich das jetzt nicht vorstellen wie in der Schule, es gibt keine Standards oder keinen Stoff wie in der Schule. Jedes Bundesland hat da eben auch ganz eigene Bildungspläne, die den Kitas eine Orientierung geben sollen, die dann aber auch oft sehr unterschiedlich im pädagogischen Alltag umgesetzt werden, also auch von Kita zu Kita unterschiedlich.

Dr. Wiebke Evers: Die meisten Kitas haben ein offenes Ohr dafür, wenn es darum geht, wie sie Kinder in ihren Interessen fördern können, aber manchmal ist die frühe Begabungsförderung ganz explizit nicht so verankert gegenüber anderen Themen, weil sie meist doch als weniger dringlich eingestuft wird.

Dr. Anne-Kathrin Stiller: Aber in vielen Kitas ist es durchaus im Konzept verankert, das zeigt sich dann vielleicht nicht mit dem Begriff Begabungsförderung, sondern da steht dann was von einer „ressourcenorientierten Haltung“ dem Kind gegenüber, mit dem Ziel die kindlichen Interessen und Stärken zu fördern. Das heißt, viele Kitas arbeiten durchaus begabungsförderlich, ohne dass sie es explizit so nennen.

Dr. Wiebke Evers: Und es vielleicht auch selbst gar nicht so auf dem Schirm haben. Wir möchten Sie [als Eltern; Anm. d. Red.] auf jeden Fall darin bestärken, sich als Eltern für Cem und für seine Interessen einzusetzen. Studien zeigen, dass die Kitazeit ein wichtiger Grundstein ist, auch für den weiteren Bildungsverlauf. Im besten Fall wird Cem hier eine Freude am Lernen vermittelt und seine Neugier und sein Wissensdurst geweckt.

Dr. Anne-Kathrin Stiller: Letztlich können auch Gespräche mit Personen aus dem Schulsystem noch mal helfen, hier die Sorgen und Befürchtungen anzusprechen, dass die Schule vielleicht nicht angemessen auf so einen Entwicklungs- oder Wissensvorsprung von Cem reagieren könnte, denn das war ja die Befürchtung, die von einem Teil des Kita-Teams geäußert wurde.

Dr. Wiebke Evers: Und sollte vielleicht auch irgendwann die Idee einer vorzeitigen Einschulung im Raum stehen, sind auch dann natürlich Gespräche mit Kita und Grundschule am runden Tisch wichtig. In manchen Regionen ist auch für das Thema vorzeitige Einschulung der schulpsychologische Dienst Ansprechpartner, der hier mit Rat und Tat zur Seite stehen kann.

Dr. Anne-Kathrin Stiller: Auch die Kinderärzt:innen aus dem Gesundheitsamt, die die Schuleingangsuntersuchung machen, können hier bei Bedarf einbezogen werden.

Dr. Wiebke Evers: Es könnte auch die Frage nach einer psychologischen Diagnostik aufkommen, also ob ein Intelligenztest durchgeführt werden soll mit Cem. Auch hierzu möchte ich Sie [als Eltern; Anm. d. Red.] darin bestärken, Beratung zu suchen, um auch Fragen zur Verlässlichkeit von einem solchen Ergebnis zu klären und auch zur Bedeutung für Sie als Familie und auch für Cems weitere Entwicklung.

Dr. Anne-Kathrin Stiller: Letztlich lohnt es sich sicher auch noch nochmal, über den Tellerrand zu gucken und eben auch zu schauen, welche Möglichkeiten es außerhalb der Kita gibt. Also gibt es vielleicht Angebote, in denen Cem seine Interessen vertiefen kann, die eben neben den ganzen Möglichkeiten in Kita oder im Gespräch mit Schule verfolgt werden können. Gibt es vielleicht Kontakte zu Kindern, vielleicht auch zu älteren Kindern, oder auch zu Erwachsenen mit bestimmten Interessen?

Dr. Wiebke Evers: Auch hier, ist es wichtig, Cem ins Gespräch mit einzubeziehen, denn er kann durchaus berichten was ihn interessiert und womit er vielleicht mehr Zeit verbringen möchte.

Dr. Anne-Kathrin Stiller: Insgesamt ist auf jeden Fall die Botschaft: suchen Sie sich Rat, das ist auf jeden Fall ein erster guter Schritt, wenn Sie eine Unsicherheit verspüren. Gehen Sie dem auf jeden Fall nach und nehmen Sie sich als Familie auf jeden Fall auch Zeit, in Ruhe zu entscheiden, was jetzt das Beste ist und wie Sie weitermachen möchten.

Wir hoffen, Sie konnten wieder einige Anregungen und Impulse für sich mitnehmen und wenn es Ihnen gefallen hat, hören Sie doch gerne auch in unsere anderen Folgen rein.

Dr. Wiebke Evers: In der nächsten Folge geht es um die Bedenken von Eltern, ob ein Intelligenztest bei ihrer neunjährigen Tochter sinnvoll wäre, oder nicht. Bis dahin!

Dr. Anne-Kathrin Stiller: Tschüss!