Underachievement-Blog

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Was Langeweile in der Kita mit Underachievement in der Schule zu tun hat

Was Langeweile in der Kita mit Underachievement in der Schule zu tun hat

Underachievement gilt eigentlich als schulisches Phänomen. Doch die Ursachen können bereits bis zu frühen Lernerfahrungen in der Kita zurückreichen. Welche Risikofaktoren gibt es? Und worauf sollten Eltern und pädagogische Fachkräfte achten?

Oktober 2022

Von: Lisa Pohlmeier und Nadine Seddig


Wenn Kinder ausgebremst werden

„Kita ist immer sooooo langweilig …“. – „Wieso ist dir in der Kita denn so langweilig? Wir spielen hier doch ganz viel …?“ – „Ich will aber nicht mit diesen langweiligen Sachen spielen, ich will lesen und schreiben lernen!“ – „Lernen kannst du in der Schule, hier in der Kita spielen wir. Geh mal in den Garten, so wie die anderen Kinder auch“.

Wenn Kinder in der Kita ausgebremst werden und ihr intrinsischer Lern- und Forscherdrang nicht gefördert wird, kann sich das negativ auf ihre Motivation auswirken. Wer hat schon Freude am Lernen, wenn das Umfeld einem immer sagt: „Das lernst du erst, wenn du älter bist – hier ist nicht der richtige Ort dafür“. Wie frustrierend das sein muss, kann wohl jeder verstehen, der schon einmal für etwas „gebrannt“ hat und seiner Begeisterung nicht nachgehen konnte. Wie wirkt sich dieses „Ausgebremstwerden“ langfristig auf die Lernmotivation eines Kindes aus? Auch mit Blick auf die Schule?

Demotivation – ein erster Schritt ins Underachievement

Underachievement wird in der Regel erst im schulischen Kontext betrachtet und thematisiert. Doch auch in der Kita können Kinder bereits unterfordert sein, wenn sie nicht die Förderung erhalten, die sie zur Begabungsentfaltung benötigen. Ist beispielsweise das Anforderungsniveau der Lernangebote und Materialien in der Kita zu gering für ein Kind, bleiben Selbstwirksamkeitserfahrungen häufig aus. Insbesondere Kindern mit hohen kognitiven Begabungen wird so die Chance genommen, durch eigene Anstrengung Herausforderungen zu meistern und Erfolge zu erleben.

Schnell können sich Kinder in der Kita langweilen: Wenn jede Regel in allen Spielen bekannt ist, jedes Puzzle im Schlaf zusammengesetzt und jedes Buch auswendig aufgesagt werden kann. Kinder suchen dann nach neuen, spannenden und herausfordernden Lernerfahrungen und Materialien, ganz besonders Kinder mit hohen kognitiven Begabungen. Finden sie diese nicht, können ihre Potenziale mit der Zeit verkümmern oder die Kinder beginnen damit, ihre Fähigkeiten zu verstecken, um sich sozial anzupassen. Denn wer zeigt schon gerne, was er oder sie alles kann oder fragt neugierig nach, wenn es niemanden interessiert, keiner darauf eingeht, man abgewimmelt oder gar „kleiner Einstein“ genannt wird?

Unzureichende Herausforderungen – ein zweiter Schritt ins Underachievement

Finden die Kinder es in der Kita blöd und langweilig, werden die Erwartungen an die Schule immer größer. Schließlich ist das der Ort, an dem sie endlich Lesen und Schreiben oder andere Dinge lernen dürfen, die in der Kita „noch nicht dran sind“. So laufen die Kinder schnell Gefahr, von der Schule enttäuscht zu sein, wenn sie mit ihren ausgeprägten Fähigkeiten auch dort von Anfang an ausgebremst werden. Wer will schon Buchstaben nachzeichnen, wenn man ganze Wörter schreiben kann?

Wenn Kinder mit hohen kognitiven Begabungen in Kita oder Schule unzureichenden Herausforderungen beim Lernen begegnen, erfahren die Kinder nicht, dass Lernen mit Anstrengung verbunden ist und verpassen damit früh die Chance, wirksame Lern- und Arbeitsstrategien zu entwickeln. Wird diese Unterforderung zu einem dauerhaften Zustand, kann das zu verminderter Anstrengungsbereitschaft bis hin zu genereller Schulunlust und in der Folge zu schulischem Underachievement führen. Wieczerkowski und Prado 1 bezeichneten dies 1993 als „Spirale der Enttäuschung“. Siehe dazu auch unseren Blogbeitrag: „Der Frust der Unterforderung und die Rolle der Exekutiven Funktionen“.

Eine Kita mit vielfältigen und anregungsreichen Lernsettings, die Kinder partizipieren lassen und Selbstwirksamkeitserfahrungen ermöglichen, kann ausschlaggebend dafür sein, dass die „Spirale der Enttäuschung“ nicht bereits im frühen Kindesalter in Gang gesetzt wird. Auch späterem, möglichem Underachievement in der Schule kann so bereits früh entgegengewirkt werden. Bedeutsam ist dabei, auf die individuellen Begabungen und Lernbedürfnisse der Kinder einzugehen.

Wege aus der Langeweile

Schauen wir noch einmal auf den Dialog vom Anfang, so könnte auf den Wunsch des Kindes, lesen und schreiben zu lernen, auch reagiert werden mit: „Na dann lass uns doch einfach hier in der Kita lesen und schreiben lernen. Was brauchst du dazu?“

Indem in der Kita auf die Interessen und Bedürfnisse von Kindern eingegangen wird, sie Wertschätzung erfahren und mit ihnen sensibel kommuniziert wird, kann die (intrinsische) Lernmotivation der Kinder aufrechterhalten werden. Dabei geht es nicht darum, dass die pädagogischen Fachkräfte immer alles ganz genau wissen und einen Wissensvorsprung gegenüber dem Kind haben müssen. Es geht in der Kita auch nicht darum, Kinder zu unterrichten oder ihnen „etwas beizubringen“. Vielmehr braucht es die Gestaltung von Lernsettings, die wichtige und herausfordernde Lernerfahrungen von begabten Kindern ermöglichen. Unter Einbezug des Kindes können so Angebote geschaffen und Materialien bereitgestellt werden, die das Ausprobieren unterschiedlicher Lern- und Arbeitstechniken ermöglichen und dem Anforderungsniveau des kognitiv begabten Kindes entsprechen.

Drei Tipps, wie das gelingen kann:

Projektarbeit: Projektarbeit lässt Kinder in hohem Maß an ihrer individuellen Förderung partizipieren und fördert Begabungen alltagsintegriert. An den Themen der Kinder anzusetzen, sie mit ihnen gemeinsam zu gestalten und jedes Kind seine Fähigkeiten einbringen zu lassen, ermöglicht die Entwicklung wertvoller Lern- und Arbeitstechniken. Davon profitieren alle Kinder.

Frühes Service Learning: Beim sogenannten „Service Learning“ geht es darum, dass Kinder für andere Lernangebote machen, die sie selbst planen und gestalten. Das fördert vor allem methodische Kompetenzen: Wie kann ich mein Wissen anderen zugänglich machen? Welche Methoden können das unterstützen? Alle Kinder profitieren von diesen besonderen Lernangeboten und die pädagogischen Fachkräfte begleiten die Kinder sowohl unterstützend in der Vor- und Nachbereitung wie auch bei der unmittelbaren Durchführung.

Philosophieren mit Kindern: Nicht selten haben Kinder mit hohen kognitiven Begabungen philosophische Fragen, die sie beschäftigen. Regelmäßiges, gemeinsames Philosophieren regt Kinder dazu an, das eigene Weltbild zu hinterfragen, es eventuell zu verändern oder zu erweitern. Auf Fragen, auf die Erwachsene häufig keine Antworten wissen, können in einem Austauschprozess kindgerechte Antworten gefunden werden. Wer weiß zum Beispiel schon, ob Steine Gefühle haben oder nicht?

Lesen Sie dazu auch: Welche Methoden eignen sich für die frühe Begabungsförderung in der Kita?

Mit Hilfe dieser Alltagsmethoden sollte Langeweile in der Kita für Kinder mit hohen kognitiven Begabungen kein Thema (mehr) sein und möglicherweise kann so einem Underachievement in der Schule früh entgegengewirkt werden.

Weiterführende Fragen

Zum Schluss möchten wir Ihnen noch zwei weiterführende Fragen mit auf den Weg geben:

  • Wie fordern Sie kognitiv begabte Kinder in Ihrer Kita?
  • Mit welchen Methoden haben Sie gute Erfahrungen gemacht?

Tauschen Sie sich demnächst doch einmal in einer Ihrer Teamsitzungen dazu aus.