Underachievement-Blog

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Vier Schlüssel, um Underachievement zu bewältigen

Vier Schlüssel, um Underachievement zu bewältigen

Die vielen möglichen Ursachen von Underachievement machen Lehrkräften und Beratenden oft die Entscheidung schwer, wo sie mit ihrer Förderung und Beratung vorrangig ansetzen sollen. Der Beitrag stellt ein Erklärungsmodell für Underachievement vor, das hierfür eine hilfreiche Struktur bietet.

Februar 2023

Von: Christine Koop


Das Achievement Orientation Model von Siegle und McCoach

Die Ursachen dafür, dass einige hochbegabte Schüler:innen mit ihren schulischen Leistungen weit unter ihren Möglichkeiten bleiben, sind vielfältig. Davon betroffene Schüler:innen und deren Eltern suchen oft vergeblich nach der einen Hilfestellung, die „den Schalter umlegt“. Und Lehrkräfte machen die irritierende Erfahrung, dass das, was in einem Fall hilfreich war, in einem anderen einfach nicht passen will.

Um die Komplexität zu bändigen, kann der Blick auf theoretische Modelle hilfreich sein. Sie bieten eine Struktur, in die wir unsere vielfältigen Beobachtungen und Alltagstheorien zu möglichen Ursachen von Underachievement einordnen können.

Modell der Leistungsorientierung

(Achievement Orientation Model 1, 2 von Siegle und McCoach, übersetzt und gekürzt von Christine Koop)

Abb. nach Siegle und McCoach (2005) 1

Ein viel beachtetes Modell zur Erklärung von Underachievement ist das Achievement Orientation Model von Siegle und McCoach. Es postuliert vier Schlüssel-Komponenten: Drei der Faktoren beeinflussen in besonderem Maße die Motivation von Schüler:innen, sich für das eigene Lernen zu engagieren. Beim Vierten handelt es sich um die selbstregulativen Kompetenzen, die Schüler:innen dazu befähigen, schulische Anforderungen zu bewältigen. Wenn sie fehlen oder nicht hinreichend entwickelt sind, wird Underachievement nach Ansicht der Autor:innen begünstigt.

Die drei motivationalen Faktoren betreffen die …

  • Sinnhaftigkeit/Interesse: Erleben die Schüler:innen die schulischen Anforderungen als bedeutsam für die persönlichen Ziele? Werden die Lerninhalte als nützlich empfunden?

  • Selbstwirksamkeit: Vertrauen die Schüler:innen den eigenen Fähigkeiten und fühlen sie sich in der Lage, die geforderten schulischen Leistungen zu erbringen? Glauben die Schüler:innen, auch schwierigere Aufgaben selbstständig bewältigen zu können?

  • Umweltwahrnehmung: Machen die Schüler:innen die Erfahrung, dass die Lehrkraft ein authentisches Interesse an ihrem Weiterkommen hat? Fühlen sich die Schüler:innen in ihrem schulischen Lernumfeld wohl; besteht das Gefühl, hier gut lernen zu können?

Besonders wichtig ist: Die genannten drei Faktoren wirken nach dem Verständnis der Autor:innen multiplikativ. Wir erinnern uns an Mathe in der Grundschule: Multipliziert man mit Null ist das Ergebnis immer Null. Das bedeutet: Die motivationalen Faktoren müssen zwar nicht alle gleich gut ausgeprägt sein. Sinkt aber eine Variable unter einen kritischen Schwellenwert, kann dies nicht durch hohe Werte in einem anderen Faktor kompensiert werden.

Was heißt das konkret? Trauen sich Schüler:innen beispielsweise eine Anforderung nicht zu, bleiben sie unter ihren Leistungsmöglichkeiten, auch wenn sie das Lernziel als attraktiv empfinden? Fühlen Schüler:innen sich in ihrer schulischen Umgebung nicht akzeptiert und als Person „gesehen“, werden sie in der Schule wenig Engagement zeigen.

Der vierte Faktor, die Selbstregulierung, umfasst alle Fähigkeiten und erlernten Strategien einer Person, das eigene Verhalten sowie Gedanken und Gefühle so zu steuern, dass gesetzte Ziele erreicht werden können. Hierunter zählen Strategien des Zeitmanagements, Lerntechniken, aber auch der Umgang mit Rückschlägen oder Ablenkungen.

Insbesondere bei steigenden Anforderungen werden selbstregulative Fähigkeiten immer wichtiger, wie oft im Übergang von der Grundschule zur weiterführenden Schule beobachtet werden kann. Zudem wirken sich selbstregulative Kompetenzen günstig auf die Motivation aus: Bei guter Selbstregulation und erfolgreicher Aufgabenbewältigung wächst beispielsweise das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. In der Folge werden auch komplexere Aufgaben nicht gemieden, sondern angegangen. Das stärkt bei erfolgreicher Bewältigung wiederum die Selbstregulation.

Was bedeutet das für Diagnostik, Förderung und Beratung?

Die Erfahrung zeigt: Bei zwei Underachiever:innen sind die genannten Faktoren nie in gleicher Weise ausgeprägt. Vielmehr lassen sich individuelle Ausprägungen oder auch Profile finden. Deshalb hilft nicht jede Fördermaßnahme bei allen Schüler:innen gleichermaßen.

Eine gründliche Diagnostik trägt maßgeblich zu einer erfolgreichen Intervention bei. Sie erleichtert die Auswahl geeigneter Fördermaßnahmen und begünstigt schnelle Fortschritte, die wiederum motivierend wirken. Anders ausgedrückt: Es lohnt sich, dem von Schüler:innen vielleicht trotzig vorgetragenen „Null Bock“ oder dem hilflosen „Ist doch eh alles sinnlos“ näher auf den Grund zu gehen. Dafür bietet das Achievement Orientation Model hilfreiche Anhaltspunkte.

Suchen Sie offen das Gespräch mit Schüler:innen, bei denen Sie Underachievement vermuten. Im Folgenden finden Sie hierfür anschauliche, exemplarische Fragen. Voraussetzungen für ehrliche Antworten sind eine vertrauensvolle Beziehung, ein ernsthaftes Interesse an den Antworten, Einfühlungsvermögen und kein vorschnelles Präsentieren von Lösungen. Es geht darum, sich auf einen gemeinsamen Prozess einzulassen, Hypothesen zu bilden, Dinge auszuprobieren und zu prüfen, ob sie für die Schüler:innen funktionieren.

Finden Sie heraus, was den Schüler:innen wichtig ist.

Was motiviert dich zum Lernen? Wann sind Lernziele oder gute Leistungen in einem Unterrichtsfach für dich wichtig? Und was lässt sie unwichtig erscheinen? Wie sieht deine Zukunftsvision aus? Welche Lerninhalte könnten dich diesen Zielen näher bringen?

Finden Sie heraus, was Ihre Schüler:innen sich selbst zutrauen.

Fühlst du dich fit genug, in einem spezifischen Kontext Leistung zu erbringen? Traust du dir zu, eine bestimmte Aufgabe zu schaffen? Wie erklärst du dir bisherige schulische Erfolge oder Misserfolge? Was glaubst du, was andere dir zutrauen? Und welche Erfahrungen hast du mit dem Feedback von Lehrkräften, Eltern oder Mitschüler:innen gemacht? Welche Form von Feedback hilft dir am meisten?

Erfragen Sie, wie Schüler:innen ihre Lernumwelt und ihr persönliches Umfeld erleben.

Hast du das Gefühl, in der Schule und zu Hause erfolgreich lernen zu können? Was denkst du, wie die Lehrkraft und Mitschüler:innen deine schulischen Leistungen bewerten und was andere darüber denken, wie schwer oder leicht sie dir fallen? Welche Bedeutung haben deine schulischen Leistungen für deine Eltern? Und wie reagieren deine Freunde auf gute oder schlechte Schulleistungen?

Regen Sie die Reflexion von Lernstrategien an und fördern Sie deren Erwerb.

Was denkst du darüber, was für dich zu Erfolg oder Misserfolg beim Lernen führt? Welche Lernziele setzt du dir und wie realistisch sind sie? Welche Lerntechniken nutzt du in welchem Fach bzw. bei welchen Anforderungen? Wie gut gelingt es dir, mit Ablenkungen umzugehen oder geliebte Aktivitäten aufzuschieben? Gehst du manchen Anforderungen aus dem Weg, um Misserfolge von vornherein zu vermeiden?

Zugegeben: Das sind viele Fragen. Doch sind sie Ausdruck eines aufrichtigen Interesses an den Schüler:innen. Vertrauen Sie darauf, dass das per se schon eine Wirkung entfalten wird. Und nutzen Sie das Modell ruhig als eine Art „Landkarte“, auf die Schüler:innen ihre Einschätzungen kartographieren, sich die eigenen Stärken und Ressourcen bewusst machen und die „Baustellen“ identifizieren. Damit bieten Sie ihnen eine aktive Rolle an und fördern nebenbei Selbstwirksamkeit und Selbstregulation.

Unabhängig davon, ob Sie bei einigen Ihrer Schüler:innen ein Underachievement vermuten: Suchen Sie in den nächsten Wochen einmal in einer von Ihnen unterrichteten Klasse den Austausch mit den Schüler:innen und erfragen Sie, wann sie besonders motiviert in der oder für die Schule lernen, wo sie das Gefühl haben, „das sei genau ihr Ding“ und was sie brauchen, um gut lernen zu können.