Underachievement-Blog

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Was Elternwerkstätten bei Underachievement bewirken können

Was Elternwerkstätten bei Underachievement bewirken können

Die Stiftung Haus der Talente in Düsseldorf ist eine pädagogisch-psychologische Beratungseinrichtung für alle Fragen der Begabungserkennung und -förderung. Auch wir begegnen immer wieder dem Thema Underachievement. Deshalb haben wir das Förderprojekt „Wege aus dem Underachievement“ entwickelt, in dem wir gezielt das Format der Elternwerkstätten einbinden. Unsere Erfahrung zeigt und bestätigt, dass diese Elternwerkstätten einen geeigneten Ort zum solidarischen Austausch untereinander und mit Expert:innen bilden, den Blick auf das eigene Kind weiten und somit ein ideales Trainingsfeld für Eltern bieten.

März 2023

Von: Sabine Warnecke und Robert Hauke


Auf der gemeinsamen Suche nach Wegen aus dem Underachievement

Mit unserem Förderprojekt „Wege aus dem Underachievement“ richten wir uns an Underachiever:innen der Klassenstufen 5-9 sowie an ihre Eltern (und manchmal auch Lehrkräfte). Zwar zählen diese Kinder und Jugendlichen oft zu den Intelligentesten ihrer Altersgruppe – dennoch zeigen sie oft gleichzeitig eine bereits länger andauernde stagnierende Entwicklung, sowie einen beobachtbaren Leistungsabfall. Hier stellt sich oft die Frage: Wie kommen wir aus diesem Teufelskreis wieder raus?

Schüler:innen stärken, Freiräume schaffen

Grundsätzlich kann dies nur gelingen, wenn die Motivation und das Selbstkonzept der sogenannten minderleistenden Kinder und Jugendlichen wiederaufgebaut bzw. gestärkt werden können. Deshalb setzen wir in unserem Projekt zahlreiche positive Impulse durch Teamtreffen, spielerische Übungen mit steigendem Anspruch, den Einsatz von Humor und Musik sowie durch Projektarbeit, die den Schüler:innen außerhalb der Schule maximalen Freiraum für Kreativität lässt. Nicht selten haben wir dann pubertierende Jugendliche, die ihre Probleme oft hinter einer massiven Coolness verstecken, wieder albern und übermütig erleben dürfen. Auf dieser bereit gestellten Spielwiese können Schüler:innen erst einmal wieder lachen, ungezwungen sein und den Schulstress vergessen. Manche Erwachsenen werden diesen notwendigen Abstand zum Berufsleben aus ihrem eigenen Berufsalltag kennen und sicherlich schätzen. Unseren Schüler:innen geht es nicht anders, denn das kontinuierliche Stresserleben und der allgegenwärtige Erwartungsdruck mindert natürlich ihre Motivation.

Alle an einen Tisch bringen

Gleichzeitig bieten wir sogenannte „Runde Tische“ an. Diese wollen ein Forum sein, um Eltern und Lehrkräfte ins Gespräch und in Kooperation zu bringen. Die Frage, ob das nach langen Konfliktphasen überhaupt noch funktionieren kann, können wir aus unserer Erfahrung mit „ja“ beantworten. Denn mit professioneller Moderation und manchmal auch dem Einsatz von Mediation in der Startphase können wir positive Gelingensbedingungen mit einem nachhaltigen Effekt schaffen. Schließlich ist Underachievement kein kurzfristiger Leistungsabfall, sondern baut sich langfristig auf und benötigt dementsprechend eine prozesshafte, nachhaltige Begleitung von allen Personen im Umfeld des minderleistenden Kindes.

Elternwerkstätten – was passiert da genau?

Die ergänzenden Elternwerkstätten erleben wir für die teilnehmenden Eltern als sehr hilfreich: Hier können vorhandene Probleme offen und vertraulich benannt, Sorgen und Hilflosigkeit ausgesprochen werden. Das Erleben „in einem Boot zu sitzen“ und das emotionale Entladen im ersten Schritt schafft nach unserer Erfahrung auch wieder Platz im Kopf – Platz für einen Perspektivenwechsel und Platz zum Umdenken. Denn der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann.

In den Reflexionsgesprächen mit den Eltern geht es darum, aus einer Defizitorientierung herauszukommen, wieder Mut und Kraft zu schöpfen und aus der Sprachlosigkeit, Verhärtung etc. mit seinem Kind zurück in den Austausch zu kommen. So können wieder Handlungsspielräume und neue Perspektiven auf das Kind entstehen.

Warum nicht mal wieder die Stärken des eigenen Kindes in den Blick nehmen, ihm Mut zu sprechen und Verantwortung übertragen? Ja, den Glauben an das Kind benennen nach dem Motto: „Du kannst was und Du schaffst das …!“ Diese Haltungsänderung ist enorm wichtig, denn Eltern sind Vordenker, Vorbilder und Wegweiser für ihre Kinder. Den Weg sollten die Kinder dann alleine gehen dürfen – das fördert auch die Selbstständigkeit.

Das Themenfeld Haltungsänderung ist in nahezu allen angebotenen Elternwerkstätten eingebunden, denn es ist bei der Begabungserkennung, der Begabungsförderung, bei Kommunikation in der Schule und in der Familie sowie beim Thema Hausaufgaben immer relevant. Geht es doch darum sein Kind insgesamt zu Autonomie, Eigenverantwortlichkeit und gleichzeitig zur Teamtauglichkeit anzuleiten – time to reflect.

Zur Reflexion der eigenen Haltung gehört auch, sich mit dem eigenen Erziehungsstil und den Leistungserwartungen auseinanderzusetzen. Denn das ist entscheidend, wenn es um Wege aus dem Underachievement geht. Eltern werden angeregt, sich zu fragen: Wie erziehe ich mein Kind eigentlich? Weise ich oft an oder erziehe ich es zur Selbstständigkeit? Bin ich vielleicht eher zu nachgiebig …? Verliere ich mein Kind im Alltagsstress tatsächlich aus dem Blick? Auch mit Leistungserwartungen gehen Familien teilweise sehr unterschiedlich um. So hat sich eine 5-köpfige Familie mit kontinuierlich hohen Leistungsansprüchen kollektiv in die Erschöpfung und damit zum Misserfolgserleben getrieben. Eine andere Familie vermittelte seinem besonders begabten Kind, dass alles egal sei, weil bisher ohnehin niemand in der Familie das Abitur gemacht habe.

Die verschiedenen Reflexionsgelegenheiten in Elternwerkstätten zeigen Eltern neue Wege für den Umgang mit ihrem Kind auf, Wege der Kommunikation und der Förderung.

Kommunikationskultur in der Familie

In unserem Werkstattformat zeigen wir den Stellenwert der Kommunikation in der Familie auf, seine Veränderung im medialen Zeitalter und auch Formen der Kommunikation. Es wird im Gespräch mit Eltern schnell deutlich, dass tagsüber überraschend oft über Messenger-Dienste kommuniziert wird, kurz und funktional. Wo bleibt da die Beziehungsebene?

Hier ein Beispiel aus einer betroffenen Familie: Sohn: „Hab heute nichts auf, kann ich gleich schon zu Phillipp und auch übernachten?“ Mutter: „Nein, ihr zockt bis in die Nacht und morgen ist Schule!“ Sohn: „Manno, immer sagst Du nein …!“ Mutter: „Ok, diese Woche nochmal, hab gerade `ne Besprechung …!“ Dieses Beispiel aus dem Alltag der Familie zeigt das besondere Kommunikationsverhalten von Underachiever:innen, das wir häufig beobachten. Außerdem veranschaulicht es, wie dieser digitale Kommunikationsweg Entscheidungen aufweichen und Ausreden fürs Lernen liefern kann.

Familien benötigen Kommunikationsrituale wie Morgen- und Tischgespräche, Zugewandtheit und Zeit für verbindliche Absprachen. Auch einzelne Formulierungen sollten im täglichen Miteinander überdacht werden: Sind diese wertschätzend? Wie sprechen Eltern über andere? Wie reflektieren sie ihren Tag vor ihren Kindern? Kürzlich regte sich ein Vater über seinen Sohn auf: „Dieses Diskussionswunder, diese Redeanteile und Beharrlichkeit, in diesem jungen Alter …“ Wir konnten herausarbeiten, dass der Sohn dem Vater nacheifert und die Rollen neu verteilen möchte: altersgerecht, entwicklungsgerecht(er).

Insgesamt können wir bei Underachiever:innen immer wieder Kommunikationsmuster erkennen, die ihre ausgeprägte Vorliebe zu Debatten und zum Diskutieren rund um das Thema Schule aufzeigen – und warum das Lernen und die Schule aus ihrer Sicht angeblich gar nicht so wichtig sind.

Autonomieunterstützung bei Hausaufgaben

In der Elternwerkstatt zum Thema „Hausaufgaben – Lernlust statt Hausaufgabenfrust“ bringen wir Eltern psychologisches Hintergrundwissen zur Entstehung von Lernmotivation nahe. Einige Aha-Effekte bei den Eltern sorgen hier für ein Umdenken, das ihnen helfen kann, Druck zu vermeiden und die Selbstständigkeit ihrer Kinder zu fördern. Manche Eltern stellen beispielsweise fest, dass das aktive Anwenden von Lernmethoden sowie das Anhalten zu diesen, wertvoller ist als die Zielvorgabe, gute Noten zu liefern. Eine weitere häufige Erkenntnis ist, dass das Autonomiestreben von Tochter und Sohn durchaus zu unterstützen ist, damit selbstständiges Lernen überhaupt möglich wird. Autonomiestreben ist eben nicht mit Oppositionsverhalten, also der kritischen Auseinandersetzung mit der Elternmeinung, zu verwechseln, sondern ein Zeichen für die Motivation nach Verantwortung: Ich will (selber) machen!

Eine Lernumgebung, die genügend Struktur bietet, Störungen ausblendet und eigenverantwortliches Lernen begünstigt, stärkt letztendlich das Vertrauen der Kinder in die eigenen Fähigkeiten. Dies wirkt sich wiederum erfreulicherweise auf die Motivation, das Wohlbefinden sowie die schulische Leistung der Schüler:innen aus. Mit diesem Wissen im Hintergrund und den Werkzeugen zur Förderung der Lernmotivation können Eltern unterstützende Strukturen schaffen und Hausaufgaben sinnvoll begleiten.

Das A und O für die Arbeit mit Eltern

Unsere Elternarbeit im Rahmen des Underachieverprojektes verstehen wir als Zusammenarbeit mit Eltern und für das Wohl des Kindes. Im ersten Schritt schaffen wir Vertrauen und Dialogbereitschaft, in dem wir zugewandt sind, geduldig zuhören und Fehlertoleranz zeigen. Damit vermitteln wir in unserem Underachieverprojekt unter anderem eine Grundhaltung der positiven Beziehungsgestaltung, Toleranz und eine gute Grundlage für einen Ausweg aus dem Underachievement. Auf dieser Basis kann in unserem Jahresförderprogramm für Underarchiever:innen wieder Motivation erwachsen und Freude am Lernen – ein guter und wertvoller Resonanzboden für den weiteren Bildungsweg.