Hochbegabung verstehen

Kita

Empowerment of Girls in der Kita: Wie Mädchen ihre Potenziale entfalten

Dieser Videobeitrag setzt den Schwerpunk in der frühen Begabungsförderung von Mädchen. Es geht darum, besondere Stärken bei Mädchen bereits in der Kita zu erkennen und zu planen, wie sie am besten gefördert werden können. Lisa Pohlmeier, Projektleiterin im Bereich Kita der Karg-Stiftung, spricht mit Beatrix Hirschbolz-Ter, Leiterin der CJD Hans-Georg Karg Kita in Nürnberg.

Von: Lisa Pohlmeier


Hinweis: Aufgrund Ihrer persönlichen Datenschutzeinstellungen wird das Video hier aktuell nicht angezeigt.

Möchten Sie Ihre Einstellungen ändern?

Transkript

Lisa Pohlmeier: Herzlich Willkommen zu unserem heutigen Interview.

Wir freuen uns, dass Beatrix Hirschbolz-Ter aus der CJD Hans-Georg-Karg Kindertagesstätte, Haus für frühe Bildung und Begabung aus Nürnberg, uns gleich ihre Ergebnisse aus einem Projekt vorstellen wird, an dem die Kita die letzten zwei Jahren gearbeitet hat.

Die Karg-Stiftung hat im Bereich Kita in den letzten zwei Jahren einen Schwerpunkt in der begabungsgerechten Förderung von jungen Kindern gesetzt. Das Ziel war dabei, Good Practice Wissen, also Wissen aus der Praxis, für die Praxis, zu erarbeiten.

Die Kita leistet als Modelleinrichtung einen wichtigen Beitrag zum Thema Begabungs- und Bildungsgerechtigkeit. Denn wenn Begabungen von Kindern unabhängig von ihrer Herkunft und in ihrer Vielfalt früh erkannt und gefördert werden, kann Benachteiligungen wirksam entgegengewirkt werden und Inklusion gelebt werden.

Die Hans-Georg-Karg Kita ist seit vielen Jahren eng mit der Karg-Stiftung verbunden, denn sie widmet sich in besonderer Weise der frühen Begabungsförderung und ist in diesem Bereich eine wahre Modellkita.

So hat die Kita im Rahmen dieses Projektes sich speziell mit der Frage beschäftigt, inwieweit begabte Mädchen in ihrer Persönlichkeit gestärkt werden können, sodass ihre Begabungen sich weniger verdecken. Wir freuen uns auf die Erfahrungen, die Frau Hirschbolz-Ter heute mit uns teilt und freuen uns, was sie berichtet.

Lisa Pohlmeier: Frau Hirschbolz-Ter, warum haben Sie begabte Mädchen besonders in den Blick genommen?

Beatrix Hirschbolz-Ter: Also, ich arbeite seit 17 Jahren in der Hans-Georg Karg Kindertagesstätte und habe erfolgreich die Zertifikats Weiterbildung zur Begabtenpädagogin absolviert. In meiner langjährigen Berufserfahrung habe ich ganz viele Mädchen gesehen, die in der Regel eigentlich im Alltag nie auffallen. Sie sind zwar wissbegierig, stellen oft ganz interessante Fragen, verfügen über sehr hohe Sozialkompetenzen, sind hilfsbereit und kümmern sich auch um bedürftige Mitmenschen. Sie benehmen sich aber im Alltag so, wie das von der Gesellschaft erwartet wird. Sie wollen auf gar keinen Fall auffallen. Mädchen orientieren sich nicht unbedingt an Erwachsenen, sondern spielen entweder alleine oder mit ihren Freunden. Sie stören meistens nicht, sie suchen ihre Spielpartner aus und spielen gerne in verschiedene Ecken oder Nischen, wo sie einfach ungestört bleiben können. Im lebenspraktischen Bereich sind Mädchen selbstständig und erledigen ihre Aufgaben zügig. Sie unterstützen auch häufig andere Kinder, kleinere Kinder oder hilfsbedürftige Kinder.

Natürlich haben die Mädchen auch verschiedene Probleme: Sie unterschätzen sich oft selber. Sie vertrauen ihren Kompetenzen nicht und glauben nicht daran, dass sie schwierige Herausforderungen meistern können. Deswegen meiden sie auch oft schwere Aufgaben, weil sie Angst haben, dass sie diese nicht bewältigen können. Sie erklären ihre Erfolge mit Glück oder einfachen Aufgabenstellungen. Sie ziehen sich oft zurück oder verfälschen sogar ihre Leistungen, damit sie nicht auffallen und geben auch ihr Talent nicht preis. Sie wollen auf jeden Fall akzeptiert und beliebt werden. Sie besitzen öfters auch negative Persönlichkeitsmerkmale, was sich negativ auf ihre Selbstwirksamkeit auswirkt.

Zum Beispiel ihre negativen Kontrollüberzeugungen: „Ich kann das nicht, ich bin dabei nicht gut“. Gerade in mathematischen Bereichen entwickeln sich solche Blockaden im Gehirn, dass die Mädchen ihr Können nicht richtig abrufen können. Dafür können sie auch die Leistung nicht erbringen. Sie haben aber auch oft Prüfungsangst, was sie halt im schlimmsten Fall auch daran hindert, ihre Leistung richtig abzurufen.

Auch ihre Eltern trauen ihren Kindern oft nichts zu. Sie werden weniger ermuntert, schwere Aufgabenstellungen zu meistern. Die Leistungserwartungen von den Eltern sind auch viel niedriger als bei den Jungs. Also so können die Mädchen auch nicht richtig motiviert werden.

Durch ihr angepasstes Verhalten denken auch die pädagogischen Fachkräfte immer, dass diese Mädchen in Ordnung sind, sie sind einfach beliebt und brav und fleißig. Sie bezeichnen sie einfach als ganz ganz tolle Kinder. Wenn die Eltern sich nicht auskennen, natürlich akzeptieren sie dann die Aussagen von den Pädagogen und die Mädchen erhalten nicht die dementsprechende Förderung. Wenn begabte Mädchen aus sozial schwachen oder Migrantenfamilien kommen, dann werden sie noch doppelt benachteiligt, weil es sprachliche Barrieren gibt oder die finanziellen Unterstützungen fehlen. Daher ist es für uns umso wichtiger, das pädagogische Augenmerk noch mehr auf diese Mädchen zu fokussieren, damit sie nicht unentdeckt bleiben und besser gefördert werden können.

Lisa Pohlmeier: Warum werden mehr begabte Jungs erkannt als Mädchen?

Beatrix Hirschbolz-Ter: Begabte Jungs fallen im Alltag eher auf, weil ihnen alles langweilig erscheint und sie dann auch den Alltag stören, einfach um Aufmerksamkeit zu erzeugen von den Pädagogen, von den Kindern. Sie interessieren sich auch nicht immer für altersgemäße Themen und in vielen Bereichen sind sie natürlich schon kleine Experten. Bei den Jungs verläuft die Entwicklung oft auch asynchron, also die kognitiven und sozio-emotionalen Fähigkeiten bzw. die motorischen Fähigkeiten liegen weit auseinander. Die Jungs sind oft auch Außenseiter, spielen alleine oder kleben sich einfach an die Erwachsenen, an die Pädagogen. Wegen dieser verschiedenen Auffälligkeiten wenden sich die Eltern oft an die Beratungsstellen und somit werden auch öfters Intelligenz Tests gemacht.

Die Eltern, die Mädchen haben, die gehen natürlich seltener zu Beratungsstellen, weil die Mädchen sich eben so anpassen und so werden viel viel weniger Intelligenztests gemacht.

Lisa Pohlmeier: Wie kann dafür gesorgt werden, dass Begabungen von Mädchen in der Kita erkannt werden?

Beatrix Hirschbolz-Ter: Also ganz wichtig ist erstmal die Persönlichkeitsbildung, die Sensibilisierung von Fachkräften. Damit die Mädchen ihre Talente entdecken können, müssen die Eltern bzw. die pädagogischen Fachkräfte sie aktiv beobachten und fördern.

Durch intensive Gesprächsführung und Beobachtung können die Fachkräfte erfahren, wo das Interesse der Kinder liegt und sie als Mentoren bei der Entfaltung ihrer Persönlichkeit unterstützen. Sie müssen natürlich auch die Sicherheit geben, dass die Mädchen ihre Talente preisgeben können, dass sie sich entfalten können und dass sie auch zeigen können, was in ihnen steckt.

Lisa Pohlmeier: Und wodurch lässt sich die Persönlichkeit von den Mädchen, also das Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten und Begabungen stärken?

Beatrix Hirschbolz-Ter: Also ganz wichtig ist erst einmal das Kompetenztraining. Wir geben den Mädchen auch die Möglichkeit als Expertinnen zu fungieren, ihre Talente zu zeigen, und mit einer ressourcenorientierten Reflexion stärken wir ihr Selbstbild. Das heißt zum Beispiel bei uns können die Kinder auch Kindermorgenkreise, Kinderworkshops, Kindervorschule halten und wir reflektieren ihr Tun immer in Einzelgesprächen. So fördern wir natürlich ihr Selbstbild auch. Die durchgeführten Kindergespräche, die wir zweimal mit den Kindern auch machen, führen auch zur besseren Selbstreflektion und Persönlichkeitsstärkung.

Lisa Pohlmeier: Können Sie uns eine konkrete Situation beschreiben, in der Sie beobachten konnten, dass das Kompetenztraining erfolgreich war?

Beatrix Hirschbolz-Ter: Ja, und zwar, zu uns kam ein fünfjähriges Mädchen aus einer anderen Einrichtung, nennen wir sie mal Julia (*Name geändert). Sie konnte diverse Laute gar nicht aussprechen, war sehr schüchtern, aber angepasst, und eine beliebte Spielpartnerin bei allen Kindern. Ihre Sprache hat sich langsam langsam ein bisschen verbessert, dennoch war sie sehr zurückhaltend und auch ein bisschen introvertiert.

Die pädagogischen Fachkräfte haben den Eltern empfohlen, das Kind noch ein Jahr in dem Kindergarten zu lassen. Sie war nämlich sozusagen ein Korridorkind, also das Kind hatte im August Geburtstag, und da dürfen die Eltern auch selbst bestimmen, ob sie das Kind in die Schule geben oder noch ein Jahr im Kindergarten lassen. Die Eltern haben diesen Rat auch befolgt, so konnte das Mädchen noch ein weiteres Jahr im Kindergarten bleiben.

Die pädagogischen Fachkräfte haben verstärkt das Augenmerk auf das Mädchen gerichtet und ihr die Möglichkeit gegeben, sich rege im Alltag zu betätigen, Kindermorgenkreise zu halten, sie in ihrem Tun zu verstärken, ihren Interessen nachzugehen. Und durch unser Kompetenztraining und durch dieses Selbstbewusstsein Training hat das Mädchen ein richtig starkes Selbstbewusstsein erreicht, ist dann in die Schule gegangen, konnte aber direkt zum Halbjahr in die zweite Klasse wechseln.

Lisa Pohlmeier: Zum Abschluss: Haben Sie vielleicht drei Tipps für uns, damit Begabungen von Kindern besser erkannt und besser gefördert werden?

Beatrix Hirschbolz-Ter: Ja, ich habe sogar mehrere Tipps auf Lager: Also zuerst sollten die Fachkräfte die Mädchen intensiv beobachten, mit ihnen tiefliegende Gespräche führen, damit sie auch sehen können, wo die Interessen der Mädchen liegen und was sie schon können, was sie lernen möchten.

Die Mädchen müssen von den Pädagogen auch diese Sicherheit erhalten: „Ich bin so gut, wie ich bin“, „ich kann zeigen, was ich kann“ und „ich werde ernst genommen“.

Die Mädchen müssen natürlich auch die Unterstützung erhalten beim Explorieren und diese Motivation aufrechterhalten, dass sie den Herausforderungen gewachsen sind und die Herausforderungen bewältigen können.