Underachievement-Blog

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Gute Gespräche – gute Noten?

Gute Gespräche – gute Noten?

Wenn hochbegabte Kinder ihr Potenzial in der Schule nicht umsetzen, kann das irritieren und zuweilen sogar verstören. Dann sind Familien oft gestresst und es kann zu mehr Konflikten kommen als gewohnt. Dabei haben doch alle nur das eine Ziel: Dem Kind soll es besser gehen. Wie kann das unterstützende Klima in der Familie bewahrt werden? Und wie kann eine lösungsorientierte Kommunikation gelingen? Nach meiner Erfahrung lohnt es sich, den Fokus auf Beziehungsgestaltung statt funktionaler Lernoptimierung zu legen. Wie das geht, lesen Sie hier.

Mai 2023

Von: Dietrich Arnold


Anregungen für die Kommunikation mit Underachiever:innen

Viele hochbegabte Kinder erzielen in der Schule gute Noten. Für einen kleinen Teil dieser Gruppe gilt dies jedoch nicht: die sogenannten Underachiever:innen. Die Gründe für diese Minderleistung können vielfältig sein. Wenn wir mit hochbegabten Underachiever:innen reden, um sie zu einer Änderung ihrer bisherigen Strategien anzuregen, birgt das spezifische Herausforderungen. Meine Erfahrung aus jahrelanger Beratungsarbeit sowie vielen Elterntrainings zeigt: Gerade im Kontakt mit hochbegabten Kindern sind gutgemeinte Ratschläge oder Belehrungen („Sieh’ es doch mal so …“) in Konfliktsituationen wirkungslos und können im ungünstigen Fall sogar Schwierigkeiten auf der Beziehungsebene auslösen.

Der in KLIKK® 1 entwickelte Ansatz 2 basiert darauf, die momentane Sichtweise der Kinder und die damit verbundenen Gefühle anzuerkennen und sie zugleich zum Weiterdenken anzuregen. Damit kann dem häufig zu beobachtenden Autonomiebedürfnis hochbegabter Kinder entsprochen werden.

Dieser Kommunikationsansatz von KLIKK® ist nicht nur auf familiäre Situationen anwendbar. Auch für Lehrkräfte lohnt sich ein Blick auf die Eckpunkte dieses Ansatzes, weil diese sowohl im Gespräch mit Eltern 3, aber auch im Kontakt mit Kindern anwendbar sind. Ich möchte dies anhand von drei Beispielen veranschaulichen:

Beispiel 1: „So gesehen macht Lernen doch Sinn“

Wer unvorbereitet in eine Prüfung geht, wird schwerlich das eigene Begabungspotenzial umsetzen können – das liest sich eher wie eine Binsenweisheit. Doch die Frage ist oft, wie Kinder an den Punkt kommen, mit dem Lernen oder Wiederholen zu beginnen. Hier haben sogenannte Attributionen, also innere Erklärungen von Erfahrungen in früheren Prüfungssituationen, einen wichtigen Einfluss. Wenn Kinder beispielsweise die Ergebnisse einer Prüfung auf äußere Einflussfaktoren zurückführen, ist es schwerer, Motivation zur Vorbereitung zu entwickeln, als wenn von inneren Einflussgrößen ausgegangen wird.

Zum Glück sind Attributionen veränderbar – wenn wir sinnvolle Ansatzpunkte haben. Häufig übersehen hochbegabte Mädchen und Jungen mit geringer Leistungsmotivation eigene Einflussmöglichkeiten und Potenziale. Wie ein kommunikatives Aufgreifen aussehen kann, beschreibt die folgende Sequenz:

Kind: „Wieder nur eine Vier in Englisch.“

Elternteil: „Du wirkst unzufrieden.“

Kind: „Hmm.“

Elternteil: „Ich vermute, Du hattest auf eine bessere Note gehofft.“

Kind: „Ja, klar. Das ist bei Herrn Müller aber Glücksache. Da weiß man nie, was drankommt.“

Elternteil: „Das heißt, Du siehst bisher keine Möglichkeit, Deine Note zu verbessern, auch wenn Du es Dir wünschst.“

Kind: „Ja, genau.“

In dieser empathischen Form geführt, zielt dieser Dialog vor allem darauf ab, mit dem Kind gut in Kontakt zu kommen und Verständnis zu signalisieren. Zugleich wird in der Passage deutlich, dass die Schülerin oder der Schüler die Ergebnisse in der Englisch-Schulaufgabe durch äußere Faktoren (also external) erklärt.

Eine Veränderung anzuregen, bedeutet in diesem Fall, dem Kind ein Gefühl für die inneren Orte der Kontrolle zu geben im Sinne von „ich kann den Ausgang der Prüfung beeinflussen“. Bei hochbegabten Schüler:innen geht es zudem häufig um eine gute Balance zwischen den stabilen Anteilen (Begabung) sowie den variablen Aspekten (Anstrengung, Übung): „Wenn ich mich besser vorbereite, kann ich gute Noten erzielen.“

Das (Wieder-)Entdecken dieser Sichtweise und die sich dadurch verändernde Leistungsmotivation können im Gespräch auf unterschiedliche Weisen geschehen. Wir regen im Elterntraining beispielsweise an, positive Ausnahmen zu erfragen: „Wann war es mal (ein bisschen) besser oder anders?“ Vielleicht hat das Kind neulich abends die Vokabeln der vorangegangenen Tage noch mal durchgelesen und daraufhin eine gute Drei im Vokabeltest erzielt. Wenn das vom Kind als „Zufall“ abgetan wird, können die Eltern ein Experiment anregen: „Was würde passieren, wenn Du das noch einmal ausprobierst?“

Beispiel 2: „Vielleicht schaffe ich es ja doch“

Eine weitere Ursache für das Vermeiden von schulischen Anforderungen kann darin liegen, dass Kinder subjektiv Überforderung und dadurch Stress erleben, z. B. wenn sie eine Aufgabe als zu schwer beziehungsweise ihre eigenen Kompetenzen als zu gering bewerten. Wenn ein Kind beispielsweise davon ausgeht, dass es mit der Ausarbeitung eines Referates überfordert ist („Das ist nicht zu schaffen“), kann dies dazu führen, dass es dieser Anforderung ausweicht.

Auch hier könnte das Erfragen von Ausnahmen basierend auf dem wertschätzenden Aufgreifen des entstehenden Gefühls wie in Beispiel 1 helfen. In der Kurzform: „Dich überfordert es, das Referat in Bio zu schreiben und Du hast die Befürchtung, dass es nicht gut wird. Am liebsten würdest Du es gar nicht halten. Wenn Du magst, können wir mal schauen, wann (und wie) es Dir in der Vergangenheit leichter gefallen ist, eine solche Aufgabe zu erledigen.“

Beispiel 3: „Wie ich mein Selbstbewusstsein zum Wachsen bringe“

Haben Underachiever:innen schon über einen langen Zeitraum schulische Misserfolge erlebt, wirkt sich das in der Regel negativ auf das Selbstkonzept aus. Kinder schätzen ihre Fähigkeiten in Bezug auf schulische Anforderungen dann gering ein – keine guten Voraussetzungen, um mit den Vorbereitungen auf Schulaufgaben zu beginnen.

Wie Kinder über sich selbst denken, hängt zu einem wesentlichen Teil von den Rückmeldungen ab, die sie von ihren Bezugspersonen bekommen. Natürlich ist Kritik manchmal unvermeidlich, doch häufig kommen die positiven Rückmeldungen bei einem Kind mit negativem Selbstbild zu kurz. Abhilfe kann darin bestehen, wenn Eltern – und auch Lehrkräfte – gezielt darauf achten, Kompetenzen und Fortschritte regelmäßig zurückzumelden. Auf diese Weise können Kinder lernen, anders über sich und ihre Fähigkeiten zu denken und so in der Folge wieder mehr Zuversicht zu entwickeln, nach dem Motto: „Ich könnte es schaffen, eine Zwei zu schreiben und das probiere ich jetzt mal aus.“

So gelingt der Neuanfang

Wenn alte, negative Denkmuster unterbrochen sind, besteht die Chance, dass sich neue, ressourcenorientierte entwickeln. Die vorgestellten Ansätze werden das Underachievement natürlich nur dann nachhaltig verringern, wenn sie mit regelmäßigem Lernen einhergehen. Allerdings ist das häufig erstaunlich selbstverständlich und vergleichsweise einfach, wenn die zugrundeliegenden Blockaden gelöst werden konnten.

Vielleicht denken sich jetzt manche Leser:innen: „Und das soll helfen?“ Nach meiner Erfahrung kann ich sagen, dass dieser Ansatz sogar nachhaltig wirken kann. Das gilt insbesondere, wenn die schulischen Probleme primär auf fehlendes Engagement und Motivation zurückzuführen sind. Dabei ist es hilfreich, wenn Eltern eine „Ankerfunktion“ und Verständnis signalisieren können, ohne sich von der negativen Sichtweise der Kinder „anstecken“ zu lassen.

Zum Weiterdenken

Übung zur (Wieder-)Entdeckung von Ressourcen: Bei länger andauerndem Underachievement fällt es manchmal schwer, anzuerkennen, was gut läuft, was uns gefällt oder guttut. Beobachten Sie zu Hause oder im Unterricht Ihr Kind bzw. eine:n Schüler:in einen bestimmten Zeitraum daraufhin, welche Eigenschaften oder Verhaltensweisen Ihnen gut gefallen. Notieren Sie Ihre Beobachtungen und schaffen Sie im Anschluss eine angenehme Situation, in der Sie dem Kind eine Rückmeldung geben.