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Frühe Bildung wirkt

Frühe Bildung wirkt

Im frühkindlichen Alter wird der Grundstein für die Entfaltung von Potenzialen und damit für die gesamte Bildungsbiografie von Kindern gelegt. Langzeitstudien aus dem US-amerikanischen Raum belegen, welche positiven Effekte Bildungsangebote im frühen Alter für die Lebenswege von Kindern haben können und welche bedeutsame Rolle das familiäre Umfeld dabei spielt.

Von: Nadja Olyai und Tahereh Yarmohammadi Pour

Langzeiteffekte von frühkindlichen Bildungsangeboten

In Deutschland wurden die Effekte frühkindlicher Bildung in Form von Langzeitstudien bis ins Erwachsenenalter bisher kaum untersucht. Daher lohnt sich ein Blick auf US-amerikanische Langzeitstudien, die beispielsweise im Anschluss an das High Scope Perry Preschool Project (1962–1976, Michigan) und das Abecedarian Early Intervention Project (1972, North Carolina) durchgeführt wurden.

Die untersuchten Stichproben der beiden genannten Projekte bestanden aus Kindern, die in Armut aufwuchsen und sozial benachteiligt waren. Die Altersspanne der Kinder im Abecedarian-Projekt betrug 0 bis 6 Jahre. Im Rahmen des Perry Preschool-Projekts hingegen wurden ausschließlich 3- bis 4-Jährige gefördert. Allen Kindern wurde die Teilhabe an frühkindlichen Bildungsangeboten ermöglicht. Bis zum Grundschuleintritt wurden sie täglich vor allem in ihrer kognitiven und sprachlichen Entwicklung sowie in Problemlösefähigkeiten gefördert. Eine wichtige Rahmenbedingung war hier die Zuteilung einer Kleingruppe mit etwa drei bis sechs Kindern pro Fachkraft. Um eine Bildungspartnerschaft zwischen Fachkräften und Eltern herzustellen und aufrechtzuerhalten, wurden die Familien wöchentlich besucht.

Im Alter von 12 bis 14 Jahren erzielten diejenigen, die durch diese frühkindlichen Bildungsangebote gefördert wurden, höhere IQ-Testergebnisse und wiesen bessere Lesekompetenzen und Mathematikfähigkeiten auf. Zudem besuchten sie im Schnitt ein Jahr länger die Schule und erreichten höhere Bildungsabschlüsse als ihre Vergleichsgruppe.

Beindruckend waren in beiden Studien die Langzeiteffekte der frühkindlichen Förderung, welche sich im mittleren und höheren Erwachsenenalter zeigten:
Im Perry Preschool-Projekt zeigte sich, dass diejenigen, die an den Frühförderprogrammen teilgenommen hatten, im Alter von 40 Jahren über einen höheren Bildungsabschluss, ein höheres Einkommen und gehobene Wohnverhältnisse verfügten. Zudem war die Kriminalitätsrate im Vergleich zur Kontrollgruppe deutlich geringer.
Im Abecedarian-Projekt wurde der Einfluss auf die mentale und körperliche Gesundheit deutlich. Die Studienteilnehmer:innen wiesen im Alter von 30 bis 40 Jahren eine deutlich geringere Wahrscheinlichkeit für psychische und körperliche Erkrankungen wie Depressionen oder Diabetes auf (1368).

Diese Ergebnisse zeigen sehr deutlich, dass frühkindliche Bildungsmaßnahmen einen langfristigen positiven Einfluss auf die kognitive, soziale und gesundheitliche Entwicklung ausüben können.

Kleines Kind spielt mit buntem Abakus
Bild: Addictive Stock/photocase.de

Frühkindliche Bildungsqualität

Damit die Effekte frühkindlicher Bildung die beschriebenen positiven Auswirkungen haben, spielt ihre Qualität eine entscheidende Rolle (2). Die deutschlandweite NUBBEK-Studie (Nationale Untersuchung der Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit) hat den Aspekt frühkindlicher Bildungsqualität in Deutschland genauer betrachtet. Gegenstand der in den Jahren 2010 bis 2012 durchgeführten Studie waren sowohl Familien als auch frühkindliche Institutionen wie Kitas, Kinderkrippen, altersgemischten Gruppen und Tagespflegeeinrichtungen. Bei der Bewertung wurde zwischen Orientierungs-, Struktur- und Prozessqualität unterschieden.

Unter Strukturqualität werden dabei die Rahmenbedingungen in den Einrichtungen und Familien verstanden. Orientierungsqualität bezieht sich auf Einstellungen und geteiltes Wissen über Bildung und Erziehung von allen Akteur:innen in Kitas, Krippen und Familien. Beide Qualitätskomponenten wirken sich wiederum auf die Prozessqualität aus, unter der die Gestaltung von Bildung, Erziehung und Betreuung zusammengefasst wird. Diese kann, im Zusammenhang mit dem Familienbezug der pädagogischen Arbeit der Einrichtungen, positive Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung haben (10).

Die NUBBEK-Studienergebnisse machen deutlich, dass eine hohe Bildungsqualität in Kitas eine ideale Grundlage für die Entwicklung und Förderung individueller Begabungen darstellt und sich diese im Wechselspiel zwischen Institutionen und Familien ergänzen kann. So kann beispielsweise eine hohe Bildungsqualität, die Kinder entsprechend ihrem Entwicklungsstand und ihrer Interessen fördert, mögliche familiäre Bildungslücken ausgleichen. Für Kinder, die aus ihren Familien eine sehr lernanregende Umgebung gewohnt sind, können gut aufgestellte Institutionen weitere Förderung bereitstellen.

Dieser kompensatorische Effekt wird auch durch weitere Studien gestützt. So belegt das Sozio-oekonomische Panel (SOEP-Studie; seit 1984 jährlich in Deutschland durchgeführt), dass Kinder aus Familien mit niedrigem sozioökonomischen Status eine geringere Bildungsqualität im frühkindlichen Alter erfahren. Darüber hinaus bleiben soziale Unterschiede nach dem Schuleintritt oft bestehen, wenn sie nicht durch frühkindliche Förderung ausgeglichen werden (579).

Diese Befunde machen deutlich, wie wichtig die Stärkung und der Ausbau von frühkindlichen Bildungseinrichtungen sind. So kann Bildungsqualität erhöht und kindliche Entwicklung angeregt werden. Ebenso ist kontinuierliche Familienarbeit für den Abbau von Bildungsbenachteiligung von hoher Bedeutung. Familienzentren und multiprofessionelle Teams in frühkindlichen Institutionen leisten hier einen wichtigen Beitrag. Auch die Sprachförderung in Kitas ist ein wichtiger Baustein, der Bildungschancen erhöhen kann (4).

Was bedeutet Frühe Bildung für Begabungsentfaltung?

Eine Grundvoraussetzung für erfolgreiche Bildungsbiografien und Begabungsentfaltung ist geschaffen, wenn frühkindliche Institutionen ihren Bildungsauftrag wahrnehmen können und sie von allen Seiten als Lernort für (alle) Kinder verstanden werden, der in enger Kooperation mit Eltern und anderen Institutionen die Bildungswege der Kinder begleitet.

Dieser Idee möchte das vormalige Ressort Kita der Karg-Stiftung künftig noch mehr Rechnung tragen und wird deshalb zum Programmteam Frühe Bildung. So zeigen wir, dass wir die Institution Kita als Bildungsort verstehen. Gleichzeitig weiten wir damit unseren Blick auf das familiäre Umfeld und den Sozialraum von Kindern. Dies sind entscheidende Bereiche, um die Begabungen von Kindern zu erkennen und zu fördern.

Frühkindliche Bildungsorte schaffen ein Umfeld, in dem Kinder experimentieren, entdecken und ihre Neugierde ausleben können. Durch individuell ausgerichtete pädagogische Angebote, die die Interessen und Bedarfe der Kinder aufgreifen, können begabte Kinder ihre Potenziale zeigen und ausschöpfen, was sie in ihrer Entwicklung fördert.

Das Programmteam Frühe Bildung der Karg-Stiftung arbeitet eng mit frühkindlichen Bildungseinrichtungen zusammen und fördert sie in ihrem Bildungsauftrag, mit dem Schwerpunkt auf Begabungs- und Begabtenförderung:

  • In Karg Campus-Projekten begleiten wir Kitas über mehrere Jahre in ihrer Entwicklung zu Kompetenzzentren und bieten ihnen Austausch- und Vernetzungsmöglichkeiten untereinander sowie mit Beratungsstellen und Grundschulen.
  • Die Karg-Modellkitas sind Good-Practice-Beispiele für die Begabungserkennung und -förderung im frühkindlichen Alter.
  • Mit der „Situationsanalyse“ bieten wir ein Organisationsentwicklungsinstrument an, mit den Einrichtungen sich selbstständig auf den Weg zu mehr Begabungsgerechtigkeit machen können.
  • Die Karg Impulskreise-Kita sind eine gut erprobte Fortbildungsmethode, um für das Thema Begabungs- und Begabtenförderung zu sensibilisieren.