Hochbegabung verstehen

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Wenn der Schulbesuch überwältigt: Schulangst bei Hochbegabten

Wenn der Schulbesuch überwältigt: Schulangst bei Hochbegabten

Wenn Kinder und Jugendliche unter Schulangst leiden, bedeutet das für sie und ihre Familien oft eine enorme Belastungsprobe. Das zeigen die Geschichten von Henry, Elisa, Noah und Jonas, deren Schulangst es ihnen zum Teil jahrelang unmöglich gemacht hat, am Unterricht teilzunehmen. Dieser Artikel beschreibt mögliche Ursachen von Schulangst, erläutert den Zusammenhang mit Hochbegabung und beschreibt Ansätze, um das betroffene Kind und seine Familie zu unterstützen.

Von: Wiebke Evers und Miriam Lotze

Schulangst: Was ist das?

Schulangst ist ein eher unbekanntes Phänomen. So herrscht noch viel Unwissenheit darüber, was dieser Begriff eigentlich genau beschreibt und was betroffene Schüler:innen brauchen, damit sie wieder ohne Angst in die Schule gehen können. Im Gegensatz zu Schulabstinenz, Schulschwänzen und schulvermeidendem, dissozialem Verhalten, bei denen das Fernbleiben von der Schule meist aufgrund einer attraktiveren Beschäftigung oder auch aus Widerstand geschieht, handelt es sich bei Schulangst um eine ernst zu nehmende psycho-emotionale Reaktion. Die Angst bezieht sich dabei speziell auf die schulische Umgebung und die dort verorteten Faktoren, wie zum Beispiel Leistungs- oder Prüfungsangst oder auch soziale Ausgrenzung 1. Schulangst kann dazu führen, dass Kinder oft zu spät zur Schule kommen, viele einzelne Fehltage haben oder auch die Schule wochen- und monatelang nicht besuchen können.

Grafik zur Differenzierung von Schulabsentismus
Abb. 1: Differenzierung von Schulabsentismus

Bild: eigene Darstellung in Anlehnung an 2, 3, 4, 1

Erfahrungsberichte von Betroffenen und ihren Familien geben einen Einblick, was Schulangst eigentlich bedeutet. Die Eltern von Henry, Elisa, Noah und Jonas (Namen und im Artikel verwendete Fotos sind fiktiv) berichten in Tonaufnahmen von ihren persönlichen Erfahrungen. Sie erzählen, wie die Schulangst bei ihren besonders begabten Kindern entstanden ist, welche Schritte sie unternommen haben und wie die Situation heute ist. Ihre Geschichten machen deutlich, wie individuell die Verläufe, die Ausprägung und auch die Lösungswege sind.

Schulangst bei Hochbegabten:
Vier Familien berichten

Durch Anklicken des Play-Buttons können Sie sich die persönlichen Erlebnisse von Henry, Elisa, Noah und Jonas anhören.

Henry (13 Jahre)

In der Grundschule hatte Henry keine Probleme. Er ging gern zur Schule, war dort glücklich und hatte sehr gute Noten. Nach der Grundschule wechselte Henry aufs Gymnasium. Im Laufe der sechsten Klasse zeigten sich bei ihm die ersten Symptome von Schulangst. Nach einem halben Jahr Hausbeschulung geht er nun wieder regulär zur Schule.


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Elisa (14 Jahre)

Elisas Angstphase hat im Alter von elf Jahren begonnen und dauert mittlerweile drei Jahre an. Verschiedene Faktoren kamen bei Elisa zusammen, sodass es ihr mit der Zeit immer schwerer fiel, in die Schule zu gehen. Nach vergeblicher Suche nach einer passenden Schule liegt die Hoffnung nun auf der Bewilligung einer Online-Beschulung.


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Noah (17 Jahre)

Die ersten Anzeichen von Schulangst zeigten sich bei Noah in der dritten Klasse, als die Klassenlehrerin wechselte. Er ist hochbegabt, kann aber seit vier Jahren aufgrund der Schulangst nicht mehr regulär den Unterricht besuchen. Noah wird derzeit im Rahmen einer Online-Beschulung auf seinen Abschluss vorbereitet.


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Jonas (16 Jahre)

Bei Jonas begann es mit der Schulangst, als der Schulalltag nach der COVID-19-Pandemie und den Lockdowns wieder losging. Nach drei Jahren geprägt von einigen Höhen und Tiefen geht Jonas heute wieder regulär zur Schule.


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Unsere Sprecherinnen und Sprecher:


Mutter von Henry: Lone Varga
Mutter von Elisa: Dr. Anne-Kathrin Stiller
Vater von Noah: Max Dörken
Mutter von Jonas: Dr. Claudia Pauly

Schulangst erkennen und verstehen

Symptome von Schulangst können sich auf der körperlichen, der geistig-emotionalen und auch der Verhaltensebene äußern. Gerade bei jüngeren Kindern zeigt sich Schulangst zunächst oft durch nicht klar zuzuordnende körperliche Beschwerden wie Bauch- oder Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit oder einen unruhigen Schlaf. Je weiter sich die Schulangst manifestiert, desto intensiver können die psychosomatischen Reaktionen werden. Auch im Gemütszustand der Kinder kann sich Schulangst zeigen. Betroffene Kinder sind oft niedergeschlagen oder kommen sehr missmutig von der Schule nach Hause. In manchen Fällen kann die Angst so lähmend sein, dass die betroffenen Kinder nicht imstande sind, das Schulgelände oder -gebäude zu betreten. Andere Kinder schaffen es nicht, aus dem Haus zu gehen oder vor der Schule aus dem Auto auszusteigen. Ebenso können starke Emotionen auftreten, die sich in Weinen, Zittern oder auch Wutausbrüchen äußern. In der Pubertät kann sich Schulangst eher in ablehnendem oder aggressivem Verhalten und durch Fernbleiben der Schule äußern.

Für die Diagnose von Schulangst gibt es keine festen Kriterien, wie es bei anderen Angststörungen der Fall ist. Psychische Erkrankungen können bei Schulangst eine Rolle spielen, zum Beispiel Phobien oder soziale Ängste, Trennungsangst oder auch Depressionen. Es muss aber nicht zwangsläufig eine psychische Erkrankung als Hintergrund geben. Es gibt durchaus berechtige Ängste, die hinter einer Schulangst stecken, wie Angst vor Mobbing oder Gewalt 5.

Wie häufig kommt Schulangst bei hochbegabten Kindern und Jugendlichen vor?

Schulangst ist ein relativ weit verbreitetes Phänomen. Der Kinder- und Jugendreport 2018 hält fest, dass 3,5 Prozent der 11 Millionen schulpflichtigen Kinder in Deutschland betroffen sind 6. Die Häufigkeit ist bei Jungen laut dieser Untersuchung geringfügig höher als bei Mädchen; andere Studien kommen zu einem genau gegenteiligen Ergebnis (z. B. 37). Diese Unterschiede sind wahrscheinlich auf die verwendeten Definitionen und daraus abgeleiteten Einschlusskriterien, eventuell auch auf die unterschiedlichen Altersgruppen und Schulformen zurückzuführen.

Schulangst tritt häufig ab Mitte der Grundschulzeit auf 8. Dabei scheint sich die Anzahl der Schüler:innen, die die Schule aufgrund von Schulangst meiden, mit dem Alter bzw. mit Dauer der Beschulung zuzunehmen 9.

Es gibt nur vereinzelt Studien, die Daten zur Prävalenz von Schulangst speziell bei hochbegabten Kindern liefern. Diese Untersuchungen ergaben, dass hochbegabte Kinder im Schulkontext häufiger unter Ängsten leiden als ihre Altersgenossen. Diese Ängste bezogen sich vor allem auf die Selbstexpression, die soziale Interaktion mit Lehrkräften und Mitschüler:innen sowie auf Leistungs- und Testsituationen 10.

Es liegen bislang keine neueren Daten zu Schulangst vor, die die Entwicklung während und nach der COVID-19-Pandemie abbilden. Untersuchungen zeigen jedoch, dass Angststörungen insgesamt bei Kindern und Jugendlichen während und nach der Pandemie zugenommen haben 1112.

Wie entsteht Schulangst? Welche Rolle spielt dabei Hochbegabung?

Schulangst entsteht oft schleichend. Hochbegabung ist dabei meist nur ein Faktor unter vielen. Besonders begabte Kinder können zu hohen Erwartungen an ihre schulischen Leistungen neigen. In manchen Fällen erleben sie auch Leistungsdruck von außen, von ihren Eltern oder den Lehrkräften. Mit dem Druck kann die Angst einhergehen, den Erwartungen nicht gerecht zu werden und andere oder sich selbst zu enttäuschen.

Werden besonders begabte Kinder in ihren Potenzialen in der Schule wiederum nicht gesehen und gefördert, kann auch dies Schulangst auslösen. Unterforderung kann dazu führen, dass Kinder und Jugendliche keinen Sinn darin sehen, am Unterricht teilzunehmen. Herrscht in der Klasse darüber hinaus ein leistungsfeindliches Klima, in dem Kinder, die etwas lernen und sich beteiligen wollen, ausgegrenzt oder gar gemobbt werden, begünstigt das die Entstehung von Schulangst ebenfalls.

ZitatZitat

Warum gehe ich dann eigentlich hin? Wenn in der Schule nichts gearbeitet wird, ist das doch doof.

Jonas (16 Jahre)
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Ereignisse wie die Einschulung, der Schulwechsel auf die weiterführende Schule, ein Umzug der Familie sowie der Wechsel der Klassenlehrkraft können die soziale und intellektuelle Passung für Schüler:innen aus dem Gleichgewicht bringen. Auch Krisen oder Ausnahmezustände können Auswirkungen auf das Bildungssystem und damit auf die in ihm lernenden Kinder und Jugendlichen haben. Die Fallgeschichten zeigen, dass COVID-19 und die Beschulung unter Pandemie-Bedingungen bei manchen Kindern unter anderem durch die Test- und Maskenpflicht große Unsicherheit ausgelöst und nachhaltige Ängste verursacht haben. Für andere hingegen war dies eine Zeit zur Regeneration, da sie in dieser Zeit von der Schulpflicht im Sinne einer Anwesenheit im Schulgebäude befreit waren.

Der Wiedereinstieg in den Präsenzunterricht brachte vielerorts einen erhöhten Leistungsdruck mit sich. Schulstoff, der im Distanzunterricht nicht ausreichend vermittelt werden konnte, und Prüfungen mussten nachgeholt werden. Bei manchen Kindern haben der hohe Druck und die negative Lernatmosphäre in der Schule ebenfalls zur Entstehung von Schulangst beigetragen. Durch übermäßigen Leistungsdruck, Unterforderung und soziale Ausgrenzung leiden vor allem das Selbstwertgefühl und das Selbstvertrauen der betroffenen Schüler:innen nachhaltig. Diese wieder aufzubauen, braucht oft Zeit und viele Gelegenheiten.

Sicherheit und Zugehörigkeit sind für Kinder und Jugendliche in jedem Alter und unabhängig von einer besonderen Begabung wichtig. Das gilt sowohl für den schulischen als auch für den familiären Kontext. Eine verlässliche emotionale und soziale Unterstützung durch das Umfeld ist daher ein entscheidender Schutzfaktor, der die Entstehung von Schulangst verhindern kann. Denn letztlich kann diese als ein psychologischer Verteidigungsmechanismus 13 verstanden werden, mit dem das Kind reagiert und damit letztlich auf einen Missstand aufmerksam macht.

Bild: iStock/Dobrila Vignjevic
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Im Oktober hat sie [Elisa] dann auf einmal gesagt: ›Ich geh da nicht mehr hin. Ich schaff das nicht mehr. Ich kann nicht mehr.‹ Herauszufinden, warum das so ist, ist ein langer Prozess gewesen. Irgendwann war klar: Es sind die Sticheleien, der soziale Druck und die Lernatmosphäre in der Schule.

Mutter von Elisa (14 Jahre)
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Was können die (langfristigen) Folgen von Schulangst sein?

Schulangst kann langfristige negative Folgen für die psychische Gesundheit und die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen haben. Studien zeigen, dass Schulangst mit einem höheren Risiko einhergeht, auch andere psychische Erkrankungen wie Angststörungen und Depressionen zu entwickeln 5. Neben psychischen Problemen können das Selbstwertgefühl und die Selbstwirksamkeitserwartung der betroffenen Kinder nachhaltig in Mitleidenschaft gezogen werden. Vor allem Letztere hilft dabei, die Bewertungs- und Vergleichssituationen, die die Schule mit sich bringt, einzuordnen und zu bewältigen 3.

Kinder mit Schulangst haben zudem ein höheres Risiko für soziale Isolation. Im Alltag haben sie zumeist durch die schulische Abwesenheit weniger soziale Kontakte außerhalb der Familie. Dies kann das Gefühl der Einsamkeit und sozialen Entfremdung verstärken. Hält die Schulangst und damit einhergehende Schulvermeidung über mehrere Jahre an, kann es Kindern und Jugendlichen, wie am Beispiel von Noah zu sehen, zunehmend schwerer fallen, sich in sozialen Räumen zu bewegen und in Gruppen zu integrieren.

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Für uns hat dieser Prozess viel zu lange gedauert. Noah ist jetzt im fünften Jahr nicht mehr in der Schule. Er hat keinerlei soziale Kontakte, auch aus seiner Sportgruppe ist er raus. Noah hat echt große Probleme im Umgang mit Gleichaltrigen.

Vater von Noah (17 Jahre)
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Wenngleich hochbegabte Kinder, auch wenn sie längere Zeit nicht am Unterricht teilgenommen haben, oft fachlich schnell wieder anschließen können, kann Schulangst zu schlechteren Noten und Lernrückständen führen. Im schlimmsten Fall folgen dann Klassenwiederholungen, fehlende Schulabschlüsse oder auch der Schulabbruch. Somit können die weiteren beruflichen Entwicklungschancen möglicherweise beeinträchtigt werden. Diese Gefahr gilt insbesondere dann, wenn Schulangst in psychischen Erkrankungen mündet.

Schulangst als Lehrkräfte und Eltern begleiten

Wie kann ich als Lehrkraft ein betroffenes Kind begleiten?

Werden Lehrkräfte auf die oben beschriebenen Symptome aufmerksam, sollten sie diese Anzeichen ernst nehmen. Gerade bei Anzeichen für Schulunlust oder verlorener Lernfreude ist es wichtig, genauer hinzuschauen, was dahinterstecken könnte, da diese oft vor der Schulangst stehen. Wenn zu lange gewartet wird, können sich die Probleme verfestigen und sich eventuelle Ängste noch steigern.

In einem ersten Schritt ist es wichtig, dass Lehrkräfte feinfühlig hinspüren, um herauszufinden, wie es dem Kind in der Schule wirklich geht, ob es sich sozial eingebunden und zugehörig fühlt. Ist das Kind über- oder unterfordert? Wie geht das Kind mit Erfolg und Misserfolg um? Setzt es sich stark unter Druck? Zeigt es internalisierendes Verhalten und zieht sich oft zurück? Wie ist es in die Klassengemeinschaft eingebunden? Was könnte dem Kind dazu verhelfen, dass es wieder mehr Freude in der Schule und am Lernen hat? Wie kann das Gefühl von Sicherheit beim Kind gestärkt werden?

Für das Sicherheitsgefühl ist es essenziell, dass das Kind weiß, dass in der Schule jemand –  die Klassen- oder eine Fachlehrkraft – für es da ist, wenn es sie braucht. Neben sich selbst als Ansprechpersonen können Lehrer:innen zusätzlich auf Beratungslehrkräfte, Schulsozialarbeiter:innen, (Schul-)Psycholog:innen oder auf Erziehungs- und Beratungsstellen verweisen. Dies kann insbesondere hilfreich bei innerfamiliären Themen sein, die das Kind belasten und die es nicht mit den Eltern selbst besprechen kann. So können Bezugspersonen von außen helfen, einen sicheren Rahmen zu schaffen.

Ein zentraler Aspekt ist, den Druck für das Kind zu reduzieren. Eine Balance zwischen Herausforderung und einem passenden Anforderungslevel auf kognitiver Ebene, ohne Leistungs- und Bewertungsdruck, herzustellen, kann hier ein erster Schritt sein.

Bei tatsächlichem Fernbleiben wird von pädagogischen und psychologischen Fachkräften oder auch der Schulleitung manchmal der Eindruck vermittelt, dass es in der Verantwortung der Familie liegt, das Kind dazu zu bewegen, in die Schule zu gehen. Wenn die Familie das Kind zusätzlich unter Druck setzt, kann dies bei ihm das Gefühl auslösen, dass es nichts wert ist, wenn es das nicht schafft. Hier ist es wichtig, den Fokus auf die Stärken des Kindes zu lenken und auch kleine Erfolge zu feiern. Wenn Situationen von Kindern wieder als sicher und kontrollierbar erlebt werden und sie merken, dass sie imstande sind, Herausforderungen zu meistern, stärkt das ihre Selbstwirksamkeit 5. Die Selbstwirksamkeitserwartung steht Studien zufolge mit einer Abnahme der Angst und auch mit einem regelmäßigeren Schulbesuch in Zusammenhang 14. Um dem Kind diese Erfahrungen wieder zu ermöglichen, ist es wichtig, gemeinsam mit ihm herauszufinden, welche Schritte es für machbar und erfolgsversprechend hält.

Junge sitzt am Fenster und schaut traurig
Bild: iStock/ipolonina
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Wir hätten uns gewünscht, dass Jonas stundenweise in die Schule gehen kann, dass er sich aussuchen darf, wann er geht und an welchen Stunden er teilnimmt. Dafür war die Schule aber anfangs gar nicht offen. Es ging aber einfach nicht jeden Tag, und wir haben ständig diesen Druck mit den Attestpflichten gehabt.

Mutter von Jonas (16 Jahre)
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Offenheit und Flexibilität sind in dem Prozess entscheidend, damit das Kind wieder den Weg in die Schule findet. Dafür können auch Ausnahmen vereinbart werden 5. Kinder sollten selbst Vorschläge unterbreiten dürfen, wie es ihnen gelingen kann, wieder am Unterricht teilzunehmen. Ein erster Schritt kann dabei sein, zu überlegen, an welchen Stunden sie aus ihrer Sicht am ehesten teilnehmen könnten. Auch am Morgen zu entscheiden, wie viele Schulstunden sie sich heute zutrauen, kann eine Vorgehensweise sein. Bei Kindern, die es nicht ins Schulgebäude schaffen, kann mit ihnen gemeinsam überlegt werden, was ihnen helfen könnte, die Schule zu betreten.

Es sollte Raum für individuelle Interessen und Stärken geschaffen werden. Was macht dem Kind Spaß? Wo kann es seine Stärken und Interessen einbringen? Welche Projekte oder Aufgaben vermitteln ihm das Gefühl, dass es etwas lernt oder etwas bewirkt? Auch Projekte für und mit anderen innerhalb und außerhalb der Schule können das ermöglichen. Dies könnte durch Praktika, Projektarbeiten oder spezielle AGs geschehen, die das Kind in die Schule zurückführen. Auch ein vorübergehender Verzicht auf Hausaufgaben oder Klassenarbeiten kann helfen, das Kind von Druck zu befreien, damit es wieder angstfrei zur Schule gehen kann.

Ein wichtiger Aspekt ist zudem, eine positive Lern- und Klassenatmosphäre zu schaffen. Hier spielt unter anderem auch der Umgang mit Fehlern eine gewichtige Rolle: Wie wird auf Fehler reagiert? Werden sie als Lernhelfer gesehen oder werden Schüler:innen wegen falscher Antworten belächelt oder auch beschämt? Auch kann es hilfreich sein, Konkurrenz um gute Noten im Klassenverband keinen Raum zu geben und zu vermitteln, dass jede und jeder sein Bestes gibt. Wie das Beispiel von Henry zeigt, kann eine gute Klassengemeinschaft das Zugehörigkeitsgefühl der betroffenen Kinder stärken und ihnen den Weg zurück ins Klassenzimmer erleichtern.

Bei einer mit Schulangst einhergehenden längeren Abwesenheit von Schüler:innen steht schnell eine Rückstellung im Raum. Dies ist oft nicht die beste Lösung, da sie die psychischen Probleme verschärfen kann 5. Gerade bei überdurchschnittlich begabten Kindern kann dies zu einer Verstärkung der Unterforderung führen, was die Schulangst weiter verschlimmern kann. Ein Klassen- oder Stufenwechsel kann jedoch auch positive Auswirkungen haben, sofern in der neuen Umgebung ein unterstützenderes, lernfreundlicheres Klima herrscht. Alternativen zum regulären Schulbesuch wie Hausunterricht oder Online-Schulen sind ebenfalls Optionen, die jedoch sorgfältig abgewogen werden müssen. Informationen dazu finden sich häufig über das Jugendamt oder spezielle Bildungsberatungsstellen.

Was brauchen Eltern?

Beim Thema Schulangst wissen Eltern oft nicht weiter und geraten hier an ihre Grenzen. Dabei müssen sie sich klar machen: Sie müssen diese Situation nicht allein lösen. Wenn sich Schulangst vor allem durch körperliche Beschwerden äußert, sollten diese zunächst ärztlich abgeklärt werden. Können körperliche Ursachen ausgeschlossen werden, ist eine psychologische Beratung und Diagnostik ratsam, um mögliche Angststörungen oder andere Probleme zu identifizieren. Kinderärzt:innen können über die weiteren Schritte beraten und Personen und Einrichtungen, wie etwa Erziehungs- und Familienberatungsstellen oder Psychotherapeut:innen empfehlen, um der Sache weiter auf den Grund zu gehen.

Auch die schulischen Beratungsstrukturen wie der Schulpsychologische Dienst, die Beratungslehrkräfte oder die Schulsozialarbeiter:innen können kontaktiert werden. Die Fallbeispiele zeigen, dass die Zusammenarbeit mit der Schule nicht immer frei von Herausforderungen ist. Es wird aber auch deutlich, dass die verschiedenen Ansprechpartner:innen sich in ihrer pädagogischen Haltung und auch in ihrem Wissen über das Thema Schulangst stark unterscheiden können. Sollte sich ein erstes Gespräch nicht als hilfreich erweisen, kann es darum gut sein, auf jemand anderen zuzugehen.

Oft befinden sich Eltern von Schulangst betroffener Kinder und Jugendlicher „zwischen den Stühlen“. Sie wollen einerseits die Erwartungen der Schule, dass ihr Kind der Schulpflicht nachkommt, erfüllen sowie ihrem Kind die Teilhabe am schulischen und sozialen Leben ermöglichen. Andererseits sehen sie den täglichen Leidensdruck ihres Kindes, möchten zu seinem Wohle handeln und müssen dafür teilweise große Kämpfe mit Lehrkräften und Schulleitung austragen.

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Im Nachhinein tut es mir leid, dass ich mich nicht von Anfang an einfach auf die Seite von meinem Kind gestellt habe. Man ist als Eltern am Anfang so verunsichert. Man denkt sich, vielleicht haben die anderen ja recht, vielleicht müssen wir einfach mehr Druck machen.

Mutter von Henry (13 Jahre)
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Wichtig ist daher vor allem, dass Eltern und Schule die Schulangst gemeinsam angehen und miteinander flexible, individuelle Lösungen erarbeiten. Dabei sollte das Augenmerk auf dem Prozess als solchem liegen. Maßnahmen sollten ohne Druck auf deren Erfolg probiert werden dürfen, gemeinsam reflektiert und die nächsten Schritte überlegt werden.

Unsicherheit und Überforderung aufseiten der Eltern können die Situation noch verschlimmern. Eltern sollten sich daher fragen: Was brauche ich, um in der momentanen Situation ruhig bleiben zu können? Was kann ich für mich tun, um mit der Herausforderung umzugehen und meinem Kind das geben zu können, was es gerade von mir braucht? Hier kann auch der Austausch mit anderen Eltern (z. B. in einer entsprechenden Selbsthilfegruppe) helfen, die familiäre Situation zu sortieren und sich nicht allein zu fühlen. Im besten Fall schaffen es Eltern, ihren Kindern zu vermitteln, dass sie das Vertrauen haben, dass sie als Familie die Schulangst überwinden werden und die momentanen Herausforderungen gemeinsam meistern können.

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Hinzu kam dann noch, dass Jonas, wenn er es einen Schultag nicht geschafft hat oder er vorzeitig den Unterricht […] verlassen musste, immer sehr, sehr wütend auf sich selber war und sich als Versager gefühlt hat. Da war es immer wichtig, dass er dann zu Hause etwas Sinnvolles tun konnte und sich wieder wertvoll und wirksam erleben konnte.

Mutter von Jonas (16 Jahre)
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Als Ausgleich zur Angstumgebung Schule sollte die Freizeit umso mehr Situationen bieten, in denen das Kind erfolgreich, selbstwirksam oder auch einfach entspannt sein kann. Ausflüge, Sport oder auch besondere Events wie Theater- oder Museumsbesuche können hier Ideen sein. Im Zuhause einen sicheren Hafen zu bieten, hier den Fokus auf Sicherheit und Nähe zu legen, den Druck rauszunehmen und das Wohlbefinden zu fördern, ist gerade bei Kindern, die sich aus der Schule zurückziehen, wichtig. Das ist nicht immer leicht, insbesondere, weil Eltern sich oft sorgen, dass das Kind in der Schule den Anschluss verlieren könnte. Hier kann es helfen, sich klarzumachen, dass die Voraussetzung von Leistung, um die es ja letztendlich geht, Wohlbefinden und Angstfreiheit ist. Das Kind emotional aufzufangen, muss darum zunächst der Fokus der Eltern und auch der Schule sein.

Fazit

Schulangst bei hochbegabten Kindern ist ein komplexes Thema, das eine einfühlsame Begleitung und die Zusammenarbeit von Eltern, Lehr- und Fachkräften erfordert. Ihnen gemeinsam Brücken zu bauen und ihre individuellen Bedürfnisse zu sehen und zu respektieren, kann betroffenen Kindern wieder einen angstfreien Schulbesuch ermöglichen.





Impulse zum Weiterdenken

  • Ist Ihnen Schulangst schon mal begegnet? Falls ja, wie hat sich diese geäußert?
  • Wie würden Sie Ihre Rolle und Aufgabe verstehen, wenn ein Kind in Ihrer Klasse oder an Ihrer Schule unter Schulangst leidet?
  • Wen könnten Sie bei sich an der Schule oder in Ihrem Netzwerk ins Boot holen, um ein Kind und seine Familie bei Schulangst zu unterstützen?
  • Welche flexiblen Angebote können Sie bei sich an der Schule machen, um betroffenen Schüler:innen wieder einen angstfreien Schulalltag zu ermöglichen?
  • Was brauchen Sie selbst, um Schüler:innen mit Schulangst gut begleiten zu können?

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