Begabungen mit digitalen Werkzeugen fördern

Digitale Medien sind längst ein fester Bestandteil im Alltag von Kindern. Nicht nur Erwachsene, sondern auch Kinder sind umgeben von einer „Kultur der Digitalität“ (1). Sie erleben Tablets, Smartphones und interaktive Technologien in ihren Familien als tägliche Begleiter. Das Bauchgefühl vieler Erwachsener und auch kritische Stimmen aus der Wissenschaft warnen vor den damit verbundenen Risiken, wie etwa unzureichenden sinnlichen Erfahrungen oder Bewegungsmangel (2, 3). Dabei gehen sie jedoch von einem überwiegend passiven Medienkonsum aus.
Demgegenüber setzt die kindheitspädagogische Perspektive an einem anderen Punkt an: Digitale Medien sollen nicht nur der Unterhaltung dienen, sondern als wertvolle Ressource für Lernprozesse genutzt werden (4). Gerade mit Blick auf die Risiken in der mittleren und späten Kindheit (z. B. exzessives Gaming) kann ein solcher Ansatz wesentlich dazu beitragen, dass Kinder digitale Technologien selbstbestimmt und mündig nutzen. Unter dem Motto „Produktion statt Konsum“ geht es darum, Kindern in der Kita einen reflektierten und kreativen Umgang mit digitalen Werkzeugen zu ermöglichen – sei es durch eigene Medienproduktionen, interaktive Lernangebote oder digitale Unterstützung bei klassischen Bildungsprozessen. Zugleich bieten digitale Medien die Chance, noch gezielter auf die individuellen Bedürfnisse, Interessen und Begabungen der Kinder einzugehen und so flexible und kindzentrierte Lernwege zu eröffnen.
Bildung wird heute als ein aktiver, sozialer und ganzheitlicher Prozess verstanden. Junge Kinder bilden sich nicht durch passive Wissensaufnahme, sondern indem sie sich aktiv und selbsttätig mit ihrer Umwelt auseinandersetzen. In sozialer Interaktion mit anderen Kindern und Erwachsenen wird neues Wissen über die Welt gemeinsam entwickelt und interpretiert. Dieser ko-konstruktive Prozess ermöglicht es Kindern, ihre eigenen Denkwege und Handlungsstrategien zu erproben und weiterzuentwickeln. Die Kindheitspädagogik verfolgt deshalb insgesamt einen ganzheitlichen Ansatz, der auf ein thematisch vernetztes Lernen mit allen Sinnen abzielt. Eine systematische Orientierung hierfür bietet der gemeinsame Rahmen der Länder für die frühe Bildung in Kindertageseinrichtungen (5). Er beschreibt sieben Bildungsbereiche – von sprachlicher Bildung über ästhetische und naturwissenschaftliche Themen bis hin zu Bewegung und Gesundheit –, die als Grundlage für Bildungsangebote in Kitas dienen. Die Bildungsbereiche werden jedoch nicht als gegeneinander abgeschlossene Fächer verstanden, sondern sie durchdringen einander. Damit ermöglichen sie individuelle Zugänge zu Bildungsinhalten, sodass in einer Lernumgebung verschiedene Kompetenzen von Kindern gefördert werden.
Dreh- und Angelpunkt aller kindheitspädagogischen Arbeit sind die individuellen Bildungsbedürfnisse der Kinder. Bildungsarbeit in Kitas soll sich also nach den verschiedenen Potenzialen und Lernvoraussetzungen richten. Das umfasst zum Beispiel nicht nur die Unterstützung von Kindern mit Förderbedarf, sondern auch das Schaffen von Bildungsgelegenheiten gezielt für Kinder mit besonderen Begabungen (5). Dies knüpft an zentrale Forschungsbefunde an: Die soziale und räumliche Umwelt von Kindern ist danach ein entscheidender Faktor für die Entfaltung von Begabung (6). Die Kita bildet für die meisten Kinder über viele Jahre hinweg eine prägende und verlässliche Umgebung und spielt somit eine wichtige Rolle bei der Wahrnehmung und Förderung besonderer Begabungen in der frühen Kindheit.
Intellektuelle Fähigkeiten, soziale Stärke, musisch-künstlerisches Talent oder psychomotorisches Geschick – besondere Begabungen zeigen sich der Forschung zufolge auf vielfältige Weise (7). Die thematisch übergreifenden Bildungsbereiche in Kitas bieten eine ideale Grundlage, um diese verschiedenen Begabungen gezielt aufzugreifen und begabungsgerechte Bildungsangebote zu schaffen.
Fachkräfte in Kitas sehen Kinder mit besonderer Begabung meist als diejenigen, denen sie aufgrund ihres erkennbaren Entwicklungspotenzials außergewöhnliche Leistungen zutrauen (8). Diese Kinder zeigen im pädagogischen Alltag häufig einen besonderen Wissensdurst und ein, wie eingangs bereits erwähnt, vertieftes Interesse an spezifischen Themen, wie zum Beispiel an Sprache und Schrift, Kunst- oder MINT-Themen.
Wie aber können Kita-Fachkräfte ein Umfeld schaffen, in dem Kinder ihre Begabungen entfalten und weiterentwickeln können? Kitas sind von Natur aus Lernorte, in denen Kinder mit unterschiedlichen Lernvoraussetzungen, Fähigkeiten und Erfahrungen zusammenkommen. Ein qualitätvoller pädagogischer Umgang damit zeigt sich in einer alltagsintegrierten Bildungsförderung aller Kinder, die an den jeweils individuellen Lernbedürfnissen ansetzt. Die Förderung von Kindern mit besonderer Begabung erfordert in der Kita-Praxis daher nicht völlig neue Arbeitsansätze. Es braucht vielmehr eine Erweiterung und gezielte Öffnung regulärer Bildungsangebote für die spezifischen Interessen dieser Kinder, um ihrem besonderen Wissensdrang und ihren Potenzialen gerecht zu werden.
Was passiert im Himmel, wenn es regnet? Sitzt im Computer ein Mensch? Haben Fische Durst? Solche Fragen stellen sich Kinder täglich. Sie zeigen ihre individuellen Interessen und bieten zugleich wertvolle Anlässe für zielgerichtete Bildungsangebote in Kitas. Die natürliche Neugierde der Kinder bildet den Ausgangspunkt für eigenständiges Erforschen von Fragestellungen – ein zentrales Prinzip der MINT-Bildung.
Besonders in diesem Bereich gibt es vielfältige Möglichkeiten, Fragen von Kindern aufzugreifen. Für den Kita-Alltag heißt das, Kinder dabei zu begleiten, technische und naturwissenschaftliche Phänomene durch Ausprobieren und eigene Lösungssuche zu erfassen. Kinder erfahren dabei, dass sie ihre Umwelt nicht nur verstehen, sondern auch aktiv gestalten können. Klassische pädagogische Methoden wie Forschungsecken oder angeleitete Experimente unterstützen sie in diesen entdeckenden Lernprozessen.
Doch wie lassen sich solche Angebote erweitern, um Kindern mit spezifischen Interessen und besonderer Begabung vertiefte Einblicke zu ermöglichen? Hier können digitale Werkzeuge klassische Angebote gezielt ergänzen und individuelle Fördermöglichkeiten bieten. Ein Beispiel aus dem Bildungsbereich Naturwissenschaftliche Bildung ist das Thema „Herz-Kreislauf-System“, an dem im Folgenden die Verschränkung analoger und digitaler Bildungsangebote verdeutlicht werden soll.
Im Mittelpunkt steht die Frage, was mit unserem Herzen passiert, wenn wir rennen.
Analoge Methoden zur Bearbeitung des Themas zeichnen sich in der Regel durch das Forschen mit klassischen Materialien aus. Dafür sind folgende Elemente hilfreich:
Digitale Werkzeuge bieten erweiterte Zugänge zum Thema und ermöglichen punktuelle Vertiefungen. Folgende Werkzeuge ermöglichen dies:
Besonders interessierte Kinder können folgende digitalen Werkzeuge nutzen, um sich weiterführend mit dem Thema auseinanderzusetzen:
Das Beispiel zeigt, dass die Verbindung klassischer und digitaler Ansätze neue Lernwege eröffnet – und das trifft nicht nur auf den MINT-Bereich zu, sondern auch auf alle anderen Bildungsbereiche.
Digitale Elemente können zum Beispiel auch für andere Domänen wie zum Beispiel der Musik vertiefende Bildungsangebote eröffnen. Neben klassischen Methoden, wie dem Einsatz von Instrumenten oder Gesangsspielen, laden interaktive Apps zum Komponieren eigener Stücke oder zum Experimentieren mit Klängen und Rhythmen ein, wie etwa auf digitalen Mischpulten oder in digitalen Notationsprogrammen.
Gerade Kinder mit besonderen Begabungen profitieren von digitalen Erweiterungen, da sie Inhalte eigenständig vertiefen, weiterführende Fragen stellen und neue Erkenntnisse entwickeln können. So werden individuelle Lernbedingungen geschaffen, die eine intensive Auseinandersetzung mit Interessen über einen längeren Zeitraum hinweg ermöglichen. Digitale Werkzeuge können diese sogenannten Flow-Zustände (9) unterstützen, wenn sie interaktiv und produktiv in Bildungsgelegenheiten integriert werden. Im Sinne des ganzheitlichen und thematisch vernetzten Lernens werden dadurch nicht nur bestimmte fachliche Inhalte gefördert, sondern auch digitale Kompetenzen, wie etwa das Reflektieren und Präsentieren oder das Informieren und Recherchieren (4).
Digitale Werkzeuge ermöglichen also sowohl vielfältige Bildungsanlässe als auch fokussiertes Lernen – zwei wesentliche Faktoren für die Potenzialentfaltung begabter Kinder.
Wer sich traut, digitale Medien bewusst in den Kita-Alltag zu integrieren, kann begabungsfördernde Lernräume schaffen, in denen Kinder die Welt selbstbestimmt und forschend entdecken können.