Neue Möglichkeiten durch KI im begabungsfördernden Unterricht: Impulse für die Praxis
Künstliche Intelligenz (KI) verändert das Lernen und eröffnet neue Wege zur individuellen Förderung. Das gilt speziell auch für die schulische Begabtenförderung: Lehrkräfte können mit KI-Unterstützung passgenaue Lernangebote gestalten, Schüler:innen herausfordern und kreative Lernprozesse ermöglichen. Hochbegabte Kinder profitieren von KI durch vertiefte Recherchemöglichkeiten, personalisiertes Feedback und Raum für selbstgesteuerte Projekte.
Gleichzeitig entlastet KI Lehrkräfte im schulischen Alltag: Sie hilft bei der Unterrichtsvorbereitung, erstellt differenzierte Aufgaben und liefert Impulse für offene Lernformate. Damit entsteht mehr Zeit für das Wesentliche: die individuelle Begleitung der Lernenden. KI ersetzt keine Lehrkraft. Aber sie kann deren Wirksamkeit erhöhen, indem sie Vielfalt unterstützt, Routinearbeit reduziert und neue Zugänge zum Denken schafft.
Die Lernbedürfnisse hochbegabter Schüler:innen und die Möglichkeiten, die der Einsatz Künstlicher Intelligenz beim Lernen eröffnet, ergänzen sich gut 1. Hochbegabte Kinder suchen nach geistiger Herausforderung, wollen eigene Denkwege beschreiten, komplexe Zusammenhänge erschließen und kreativ neue Ideen explorieren 2. Genau hier kann KI eine besondere Rolle einnehmen: nicht als allwissende Instanz, sondern als interaktives Werkzeug, das Impulse gibt, Denkprozesse anregt und individuelle Lernpfade mitgestaltet.
KI bietet die Möglichkeit zur unmittelbaren Differenzierung, sowohl im Niveau als auch im Zugang. Inhalte können personalisiert bereitgestellt, Fragen individuell beantwortet, Feedback auf Knopfdruck gegeben werden. Besonders für Hochbegabte, die oft schneller und unabhängiger lernen als ihre Altersgenossen, bedeutet das weniger Wartezeit, mehr Selbststeuerung und größere Freiheit im Denken.
Zugleich reagiert KI flexibel auf ungewöhnliche Interessen, auf kreative Gedankensprünge und auf komplexe Fragestellungen, also auf all das, was in stark strukturierten Lernsystemen schnell an Grenzen stößt. In dieser Offenheit liegt ein großes Potenzial für die Förderung kognitiver, kreativer und metakognitiver Fähigkeiten. KI-gestützte Lernprozesse lassen sich so gestalten, dass sie nicht nur Wissen vermitteln, sondern auch Urteilsvermögen, Problemlösestrategien und Eigenverantwortung stärken.
Der Einsatz von KI in Lernprozessen birgt neben Potenzialen auch Risiken. Auch hier zeigt ein genauerer Blick eine Spezifik gerade für hochbegabte Schüler:innen. Zwei zentrale Begriffe beschreiben diese Spannbreite: Upskilling und Deskilling.
Deskilling beschreibt den Verlust kognitiver Kompetenzen, wenn KI den Lernprozess dominiert. Wer sich auf vorgefertigte Antworten verlässt, statt selbst zu denken, verlernt zentrale Fähigkeiten. Für hochbegabte Schüler:innen kann sich dieser Effekt verstärken, wenn durch die Hochbegabung zunächst alles leichtfällt und Methodenkompetenzen dadurch scheinbar nicht benötigt werden. Gerade diese fehlen dann für einen kompetenten Umgang mit KI, aber auch zur tiefen Durchdringung von Inhalten.
Upskilling steht für Lerngewinne durch KI: Wenn Lernende selbst aktiv bleiben, kann KI Denkprozesse vertiefen, kreative Impulse geben, Feedback liefern und zur Reflexion anregen.
Insgesamt zeigt sich: KI kann für hochbegabte Schüler:innen ein wirkungsvoller Katalysator sein, aber nur, wenn sie nicht als Abkürzung missverstanden wird. Lernen bleibt ein aktiver Prozess, bei dem die eigene Denkleistung im Mittelpunkt steht.
Was bedeutet dies konkret für die Begabtenförderung?
KI kann die Lernbedürfnisse hochbegabter Schüler:innen wirkungsvoll unterstützen, vorausgesetzt, ihr Einsatz beruht auf einer durchdachten didaktischen Haltung. Zentral ist dabei die Offenheit der Lehrkräfte gegenüber ungewöhnlichen Fragen und individuellen Denkwegen, um gerade hier die Stärken von KI für individuelle Lernwege nutzen zu können. Dazu braucht es eine Unterrichtskultur, die Autonomie ermöglicht, Vielfalt anerkennt und das Ungewöhnliche als Chance begreift. Dies zeigt sich in Lernsettings, die Flexibilität in Tempo, Tiefe, Themenwahl und Komplexität zulassen sowie differenzierte Inhalte und personalisierte Lernpfade ermöglichen. Wenn Lernende eigene Fragestellungen verfolgen dürfen, kann KI als Rechercheinstrument, Ideengeberin oder Gesprächspartnerin dienen.
KI kann Lehrkräfte bei der Entwicklung individueller und herausfordernder Lernsettings wirkungsvoll unterstützen. Ein zentrales Element sind Wahlaufgaben, die verschiedene Zugänge zu einem gemeinsamen Thema ermöglichen. Mithilfe von KI lassen sich schnell kreative, analytische oder forschende Aufgabenformate erstellen, aus denen die Lernenden nach Interesse und Lernstand auswählen. Auch in der Textdifferenzierung bietet KI neue Möglichkeiten: Ein Sachtext kann auf verschiedenen Niveaus aufbereitet werden, sodass leistungsstarke Schüler:innen vertieft arbeiten können.
Kognitive Aktivierung ist ein zentrales Prinzip gelingenden Unterrichts – besonders für die Förderung hochbegabter Schüler:innen. Gemeint ist die gezielte Anregung anspruchsvoller Denkprozesse und Aufgaben bzw. Unterrichtsprozesse, die zum Vergleichen, Argumentieren, Gestalten oder Perspektivwechsel einladen.
Komplexe Aufgaben mit KI erstellen
Besonders geeignet sind komplexe, selbstdifferenzierende Aufgaben, bei denen Lernende eigene Zugänge entwickeln können. KI kann hier eine große Unterstützung sein – etwa bei der schnellen Generierung anspruchsvoller Aufgabenformate mithilfe gezielter Prompts.
| Prompt-Vorlage für komplexe Aufgaben Erstelle fünf komplexe Aufgaben zum Thema (Thema einfügen, z. B. Vulkanismus). Diese sollten entweder substantielle Probleme, komplexe Entscheidungsfälle, kreative Gestaltungsaufgaben oder differenzierte Beurteilungen enthalten. Die Aufgaben sind für eine ... (Klasse einfügen, z. B. 4. Klasse) und sollen zur selbstständigen Erarbeitung von Fachwissen anregen. |
Kognitive Aktivierung mit KI-gestützten Chatbots
Auch KI-Bots eröffnen neue Möglichkeiten für fordernde Lernprozesse. Sie können z. B. als sokratischer Chatbot gestaltet werden, der gezielt Denkprozesse begleitet und vertieft, etwa durch Nachfragen, Gegenpositionen oder Abstraktionen. So entsteht ein virtueller Dialograum für intellektuelle Auseinandersetzung.
| Chatbot „Sokrates“ bei ChatGPT | Chatbot „Sokrates junior“ (Grundschule) bei ChatGPT | Chatbot „Immanuel“ bei ChatGPT |
KI entfaltet ihr pädagogisches Potenzial besonders dort, wo Kinder eigenständig, vertieft und kreativ lernen dürfen. In solchen offenen Lernformaten strukturiert, inspiriert und begleitet KI und ermöglicht so individualisierte Lernprozesse, die Selbststeuerung, Motivation und kognitive Aktivierung verbinden.
Individuelle Drehtüren mit KI eröffnen Lernenden die Möglichkeit, im regulären Unterrichtsrahmen an selbstgewählten Themen zu arbeiten. In der Grundschule entstehen dabei Geschichten aus Sicht eines Tieres, KI-generierte Baupläne von Windrädern, digitale Ausstellungen zu Fantasietieren oder Wetterexperimente mit KI-Protokoll. In der weiterführenden Schule analysieren Schüler:innen reale Energiedaten, entwickeln philosophische Gespräche mit historischen Persönlichkeiten, entwerfen eigene Apps oder trainieren Dialoge mit KI-Avataren.
Projektorientiertes Lernen mit KI stärkt Verantwortung und Eigeninitiative. Die KI begleitet die Projektarbeit von der Ideenfindung über Recherche (z. B. mit Perplexity.AI), Feedback und Reflexion bis hin zur Gestaltung von Produkten wie Plakaten, Websites oder Videos.
Forschendes Lernen mit KI fördert Fragelust und kritisches Denken. Lernende entwickeln eigene Fragen, recherchieren mit KI, strukturieren ihre Versuche und reflektieren Ergebnisse. Als Hilfe kann der Chatbot „Marie Curie“ alle Phasen des Forschungskreislaufs mit Materialien und Impulsen begleiten:
Alle diese Lernformen stärken die Selbststeuerung und schöpfen die Potenziale hochbegabter Schüler:innen aus, indem sie KI als flexibles Werkzeug in den Dienst von Interessenorientierung, Individualisierung und Kreativität stellen. Weitere Beispiele und detaillierte Beschreibungen finden Sie in unserer ausführlichen Open-Access-Publikation.
Die Einführung von KI in die Schule verändert nicht nur Lernprozesse, sondern auch die Rolle der Lehrkraft: Sie wird mehr und mehr zur Lernbegleiterin, die Denkprozesse anregt, Reflexion fördert und die kritische Nutzung von KI unterstützt. Die Reflexion bleibt dabei zentral. KI darf das Lernen nicht ersetzen, das Denken, Entscheiden und die Verantwortung müssen bei den Lernenden bleiben. Nur wer KI-Ergebnisse kritisch hinterfragt und deren Auswirkungen einschätzen kann, wird sie sinnvoll nutzen.
Damit Lehrkräfte diesen Prozess aktiv gestalten können, brauchen sie Fortbildungen, die ihnen Sicherheit im Umgang mit KI geben und Freiräume zum Ausprobieren. Wenn KI als Werkzeug zur Anregung des Lernens verstanden wird, kann sie Räume öffnen: für selbstbestimmtes Denken, kreative Lösungen und das Entdecken individueller Stärken.