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Neuro-Enhancement: Schul-Doping für Kinder?

Ethik hin, Ethik her: Medikation ist indiziert im Falle einer psychischen Erkrankung. Und in diesem Bereich zeichnet sich auch durch die Effekte ab, was gewünscht ist: nämlich die Besserung des Leidens. Ich möchte einen „artverwandten“ Themenkreis ansprechen, der speziell die schulische Leistungsfähigkeit betrifft: die allzeit bereite Diskussion um Methylphenidat, welches bei Kindern und Jugendlichen mit ADS/ADHS häufig verschrieben wird.

Oktober 2009

Von: Götz Müller


Ethik hin, Ethik her: Medikation ist indiziert im Falle einer psychischen Erkrankung. Und in diesem Bereich zeichnet sich auch durch die Effekte ab, was gewünscht ist: nämlich die Besserung des Leidens. Ich möchte einen „artverwandten“ Themenkreis ansprechen, der speziell die schulische Leistungsfähigkeit betrifft: die allzeit bereite Diskussion um Methylphenidat, welches bei Kindern und Jugendlichen mit ADS/ADHS häufig verschrieben wird.

Gerade in Pädagogenkreisen bestehen erhebliche Zweifel und Widerstände an der grundsätzlichen Gabe des Medikaments. Trotz der wissenschaftlichen Sicht zur Wirkung und den nachweislichen Effekten des Medikaments wird von Sedierungsversuchen, Vergiftungen, Leistungstrimmern und mehr gesprochen. Genährt wird dies durch die bedauerlicherweise vorkommenden Fehlverschreibungen der Medikation, der fehlenden elterlichen Bemühungen oder der Engpässe im Versorgungsbereich der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie, denn Medikation gibt es schneller als einen Therapieplatz. Und nicht zu vergessen das Neuro-Enhancement, von dem der Laie noch nicht soviel gehört hat. Wir sollten es lieber Leistungsdoping nennen ...

Woher kommt der Druck? Wer löst Verunsicherung aus? Aus der Erfahrung macht Schule den Druck, nicht die Eltern allein. Mir sind bisher noch keine Eltern untergekommen, die ihre Erziehungsprobleme beim Zähneputzen, Computerabschalten o.ä. durch Methylphenidat lösen wollten. Es dreht sich meist um Hausaufgaben, um Lernsituationen, um Konflikte in der Schule. Die Sorge vor den Konsequenzen eines Leistungsversagens, der Empfehlung für die niedere weiterführende Schulform, der soziale Niedergang – dies alles sind Gedanken, die Eltern durch den Kopf gehen, wenn sie sich der Frage stellen, ihrem Kind Medikamente zu geben.

Ziehen wir eine Parallele zur Erwachsenenwelt: Ist das Außenkriterium „lustig für eine Party“ gefragt und ich bin es nicht oder habe Angst, es nicht ausreichend zu sein, so tut es ein Stimmungsaufheller. Die Schul-Party ist für Kinder ein Muss, ihnen steht es nicht frei, den Unterricht zu besuchen. Die grundsätzliche Frage lautet daher vielmehr, ob wir es zulassen können, dass ein Gast auf unserer Party schlecht drauf ist.

Ein alter Hase des Metiers trifft (so finde ich): „Ich bin müde geworden, wenn es um Methylphenidat geht, denn am lautesten schreien die, die dafür verantwortlich sind, dass die Kinder es brauchen.“

Und ich ergänze: Im therapeutischen Setting stellt man die Indikation für eine Medikation mit Methylphenidat insbesondere dann, wenn ein wichtiger Lebensbereich wie Schule nicht beeinflussbar – d.h. im Sinne von Optimierung von Rahmenbedingungen veränderbar – ist und demzufolge sekundäre Folgen abzusehen sind. Man stellt sie nicht allein, „nur“ weil eine Diagnose gestellt ist.