Underachievement-Blog

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Lerncoaching hilft: Underachievement vorbeugen und begleiten

Lerncoaching hilft: Underachievement vorbeugen und begleiten

Regelmäßige Gespräche rund ums Thema Lernen, mit Blick auf die Stärken der Schüler:innen und auf Augenhöhe: Das ist Lerncoaching, wie es am Comenius-Gymnasium Deggendorf praktiziert wird – und die Schülerschaft nimmt das Angebot sehr gerne an. Im Gespräch mit Birgit Paster und ihrem Team wird deutlich, warum Lerncoaching gerade bei bzw. zur Vorbeugung von Underachievement hilfreich ist.

Dezember 2023

Von: Sabine Breyel


Besonderheiten des Lerncoachings bei (beginnendem) Underachievement

Grundsätzlich ist Lerncoaching für alle Schüler:innen sinnvoll. Für hochbegabte Schüler:innen kann es jedoch ein besonders hilfreiches Werkzeug sein, um frühzeitig Signale eines Underachievements wahrzunehmen und diesem entgegenzuwirken. Auch wenn bereits ein Underachievement vorliegt, unterstützt Lerncoaching gezielt dabei, Herausforderungen rund um das Thema Lernen anzugehen.

Birgit Paster, Projektleiterin des Kompetenzzentrums für Begabungs- und Begabtenförderung in Niederbayern und Koordinatorin der Begabtenklassen am Comenius-Gymnasium, hat die Erfahrung gemacht, dass es im Lerncoaching mit Underachiever:innen oft um Selbstorganisation und -strukturierung, Zeitmanagement, Lernstrategien, „Aufschieberitis“ und motivational-emotionale Probleme wie Frustrationstoleranz und Anstrengungsbereitschaft geht. Noch wichtiger als bei anderen Kindern ist es ihrer Ansicht nach, nicht nur Strategien zu erarbeiten, sondern die Underachiever:innen dazu zu motivieren, diese anzuwenden und Neues auszuprobieren. Offenheit gegenüber neuen Ideen zu schaffen, gelingt gut mit lösungsorientierter Kommunikation: Anstatt das Problem im Detail auseinanderzunehmen, wird der Blick auf die Ausnahmen gerichtet, die jetzt schon gut funktionieren. Von da aus können neue Lösungswege erarbeitet werden, in kleinen und realistischen Schritten.

Viele Schüler:innen haben die Erwartung, dass alles, was sie tun, sofort funktioniert. Sie müssen erst lernen, dass sie nicht gescheitert sind, nur weil die erste Strategie nicht wie erhofft greift. Eine Begleitung im Lerncoaching unterstützt die Schüler:innen dabei, Misserfolge zu akzeptieren, weitere Strategien auszuprobieren und auch kleine Erfolge zu würdigen. Kinder können so Selbstwirksamkeit erfahren und ihren Selbstwert aufbauen.

Für eine gute Coaching-Kultur:
früh beginnen, Vertrauen aufbauen

In den fünften Klassen gibt es am Comenius-Gymnasium eine Coaching-Stunde, die fest im Stundenplan verankert ist, erklären Iris Herman, Stephanie Oppolzer und Susanne Sikora vom Kompetenzteam. In dieser Zeit sind drei Lehrkräfte als Lerncoaches gleichzeitig in einer Klasse. Ein Coach bietet fachliche Intensivierung oder Einheiten zum „Lernen lernen“ an, die anderen beiden führen Einzelgespräche mit Schüler:innen. Die Kinder können am Anfang des Schuljahres angeben, welche Lehrkraft sie sich als Coach wünschen. „Das ist unserer Erfahrung nach eine hilfreiche Grundlage dafür, dass Schüler:in und Lerncoach schnell eine gute Beziehung aufbauen können“, unterstreicht Frau Sikora.

Die Schüler:innen gewöhnen sich also früh daran, dass es Möglichkeiten für vertrauensvolle Gespräche in der Schule gibt – und zwar ohne dass schon ein Problem vorliegen muss. Denn oft entwickeln sich Schwierigkeiten in der Selbstorganisation oder auch emotionale Belastungen schleichend. Im Gespräch können die Lerncoaches schon aufmerksam werden, wenn sich erste Anzeichen von Underachievement zeigen. Frau Hermann erinnert sich an viele Schüler:innen, die plötzlich schlechte Noten bekamen, aber gar nicht verstehen konnten warum. Bisher hätten sie nie lernen müssen, weil sie alles schon im Unterricht verstanden hätten. „In den Coaching-Gesprächen wurde schnell klar, dass Lernstrategien fehlten“, sagt Frau Herman. „Daran setzen wir an, und zwar bevor das Kind beginnt, sich selbst abzuwerten und die Motivation zu verlieren.“

Diese anlasslosen Beratungen nehmen den Kindern auch die Scheu davor, sich an die Lehrkräfte zu wenden, wenn es wirklich brennt. „Die Schüler:innen mit Coaching-Erfahrung scheinen auch offener für weitere Unterstützungsangebote zu sein. Die Hemmschwelle ist einfach niedriger“, erzählt Frau Oppolzer.

Positive Nebeneffekte

Vom Lerncoaching profitieren nicht nur die Schüler:innen selbst. Auch die Lehrkräfte, die als Lerncoaches ausgebildet werden, verändern den Blick auf ihre eigene Rolle im Lernprozess der Schüler:innen und lassen ihr Wissen aus dem Coaching in die Unterrichtsplanung und -durchführung einfließen. Laut Veronika Lippl, die auch im Kompetenzteam arbeitet und als Schulpsychologin am Gymnasium tätig ist, werden die Lerncoaches in ihrer wertschätzenden, empathischen und lösungsorientierten Haltung bestärkt. „Dadurch kann sich insgesamt ein ganz anderes Miteinander, eine neue Schulkultur entwickeln“, berichtet Frau Lippl.

Zudem ist das Lerncoaching eine wertvolle Ergänzung für die Beratungsangebote am Comenius-Gymnasium. Die Lerncoaches können niederschwellig viele Themen wie Lernbegleitung, Motivation, Konzentration oder leichte Prüfungsangst auffangen und bei komplexeren Anliegen Schüler:innen bereits frühzeitig an die Schulpsychologin oder die Beratungslehrerin weitervermitteln.

Von der Lehrkraft zum Lerncoach

Lehrkräfte sind Spezialisten für das Lernen. Um das Coaching zu professionalisieren, nehmen die Kolleg:innen zusätzlich an mehreren Weiterbildungsveranstaltungen teil. Dort geht es um Grundlagen der Kommunikation, lösungsorientierte Gesprächsführung, Lernstrategietraining und Themen wie Konzentration, Motivation und Entspannung.

Die Lerncoaches am Comenius-Gymnasium arbeiten nicht nur eng mit der Schulpsychologin vor Ort zusammen, sondern sind auch mit außerschulischen Unterstützungssystemen wie Psychotherapeut:innen, Ergotherapeut:innen etc. gut vernetzt. Für die Coaches in den Begabtenklassen gibt es außerdem eine Supervisionsgruppe – hier werden konkrete Fälle im Team besprochen. Neben der Qualifizierung ist vor allem eine dialogische Grundhaltung wichtig. Frau Paster ist davon überzeugt, dass Lehrkräfte dann besonders gute Lerncoaches sind, wenn sie den Kindern und Jugendlichen zugewandt und bereit sind, ihre Schüler:innen auf Augenhöhe zu begleiten und zur Selbstreflexion anzuregen.

Erfolgreiche Rahmenbedingungen schaffen

Das Lerncoaching gut in die Schule zu integrieren, ist ein aufwendiger und langer Schulentwicklungsprozess. Es müssen Ressourcen – sowohl zeitlich als auch materiell – bereitgestellt und mit möglichen Widerständen im Kollegium umgegangen werden. Das Beispiel des Comenius-Gymnasiums zeigt aber, wie es gehen kann. Erreichbar ist das vor allem durch eine offene Schulleitung und authentische, engagierte Lehrkräfte. Aufgrund der positiven Erfahrungen wurde das Lerncoaching-Angebot kürzlich sogar noch ausgebaut. Das zeigt: Der Aufwand lohnt sich. Es profitieren sowohl die gecoachten Schüler:innen als auch der Rest der Klasse und die Lehrkräfte selbst, die sich als wirksame Lernbegleiter:innen erleben.

Zum Weiterdenken

  • Welche Erfahrung haben Sie mit Lerncoaching?
  • Welche Elemente von Lerncoaching haben Sie schon eingesetzt?
  • Welchen ersten (oder nächsten) Schritt könnten Sie gehen, um Lerncoaching an Ihrer Schule anzubieten?
  • Welche Kolleg:innen oder andere Akteure könnten Sie dabei unterstützen und wie?
  • Welche Weiterbildungsangebote könnten für die Professionalisierung des Lerncoachings an Ihrer Schule hilfreich sein?