Underachievement-Blog

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Metakognitive Kompetenzen – ein Ansatzpunkt zur Förderung von Underachievern?

Metakognitive Kompetenzen – ein Ansatzpunkt zur Förderung von Underachievern?

Metakognitive Kompetenzen, also das Wissen und die Fähigkeiten, den eigenen Lernprozess zu planen, zu überwachen und zu steuern, sind wichtig für den schulischen Lernerfolg. Fehlen Schüler:innen diese Kompetenzen, begünstigt das die Entstehung von Underachievement. Metakognitive Kompetenzen zu fördern könnte deshalb ein Ansatzpunkt zur Prävention von Underachievement sein.

November 2023

Von: Catharina Tibken


Warum kann es beim Wechsel auf das Gymnasium zu Schwierigkeiten kommen?

Besonders begabte Schüler:innen können dem Unterricht in der Grundschule häufig mühelos folgen. Ohne zu Hause Inhalte zu wiederholen oder sich auf eine Klassenarbeit vorzubereiten, erzielen sie gute Noten, wenn sie aufmerksam den Unterricht verfolgen. Wenn begabte Kinder auf eine weiterführende Schule, oft das Gymnasium, wechseln, stößt dieses Arbeitsverhalten aber in vielen Fällen an seine Grenzen. Um gute Noten zu erreichen, ist Wissen notwendig, das die Kinder zunehmend selbstständig aus umfangreichen Texten entnehmen müssen.

Den meisten begabten Kindern gelingt es, sich im Laufe der fünften Klasse an die neuen Anforderungen anzupassen, z. B. durch das Umstellen des Lern- und Arbeitsverhaltens. Ein kleinerer Teil schafft dies aber nicht ausreichend. Ihnen fehlen sogenannte metakognitive Kompetenzen, sodass das Risiko für die Entstehung und Verfestigung von Underachievement wächst.

Metakognitive Kompetenzen im Umgang mit Texten – Was ist das?

Metakognition ist die Fähigkeit, über eigene Kognitionen, z. B. Gedanken, Wahrnehmungen, Lern- und Verstehensprozesse, nachzudenken und diese zu beeinflussen.

Häufig wird zwischen deklarativem metakognitivem Wissen und prozeduralen metakognitiven Kompetenzen unterschieden:

Deklaratives metakognitives Wissen umfasst das allgemeine Wissen über den Einfluss von Aufgaben- und Personenmerkmalen sowie Lernstrategien auf den Lernerfolg.

  • Aufgabenwissen: z. B. wissen, dass Fremdwörter einen Text schwieriger machen
  • Personenwissen: z. B. wissen, dass man selbst in vorherigen Lernsituationen nicht sehr erfolgreich war, sich Fremdwörter aus dem Kontext zu erschließen
  • Strategiewissen: z. B. wissen, dass es sinnvoll ist, unbekannte Fremdwörter nachzuschlagen, wenn diese für das Verständnis zentral sind

Prozedurale metakognitive Kompetenzen beziehen sich auf die Anwendung dieses Wissens in konkreten Lernsituationen. Zu diesen Kompetenzen zählen vor allem die Planung, Überwachung und Steuerung des eigenen Lernprozesses:

  • Planung: z. B. bei der Vorbereitung auf eine Prüfung mithilfe eines Textes ein festes Zeitfenster mit Pausen einplanen und vor dem Lesen überlegen, welche Informationen man dem Text entnehmen möchte, die noch für die Prüfungsvorbereitung fehlen
  • Überwachung: z. B. sich während des Lesens selbst überwachen, ob man den Text versteht und ob der Text die Informationen bereithält, nach denen man sucht
  • Steuerung: z. B. sich bei Schwierigkeiten mehr Zeit als ursprünglich geplant nehmen, um den Text ein zweites Mal zu lesen, oder ihn bereits nach einem ersten Überfliegen zur Seite legen, da er nicht die gesuchten Informationen enthält

Warum sind metakognitive Kompetenzen wichtig?

Metakognitive Kompetenzen sind vor allem in höheren Jahrgangsstufen wichtig für erfolgreiches Lernen. In der Kindheit beeinflussen neben der elterlichen und schulischen Förderung vor allem die allgemeine Intelligenz und die Offenheit für Neues die Entfaltung der Begabung. In diesem Alter geht es oft darum, sich in verschiedenen Bereichen auszuprobieren und Interessen zu entwickeln. Ab dem Jugendalter erfolgt meist eine zunehmende Spezialisierung, z. B. auf naturwissenschaftliche Fächer. Um die eigenen Kompetenzen weiter auszubauen, werden Faktoren für effektives Lernen immer wichtiger. Das sind z. B. Gewissenhaftigkeit, Anstrengungsbereitschaft und sinnvolles Üben. Spätestens für den Aufbau von Expertise in einem Gebiet, etwa im Rahmen eines Leistungskurses oder Studiums, sind metakognitive Kompetenzen unerlässlich, um das eigene Wissen selbstgesteuert und zunehmend unabhängig von äußeren motivationalen Faktoren zu vertiefen 1.

Wie wirken sich metakognitive Kompetenzen auf die Schulleistungsentwicklung aus?

In einer eigenen Studie 2 haben wir untersucht, wie sich metakognitive Kompetenzen im Bereich des Lernens aus Sachtexten auf die Schulleistungsentwicklung von 129 begabten Jugendlichen (IQ ≥ 120) auswirken. Dazu haben wir eine Längsschnittstudie mit zwei Messzeitpunkten im Abstand von einem Schuljahr durchgeführt. Die teilnehmenden Jugendlichen waren zu Beginn in der 6. bzw. 8. Jahrgangsstufe an Gymnasien.

Die Ergebnisse (s. Abbildung) zeigen, dass die metakognitive Überwachung beim Leseverstehen die Schulleistungen positiv beeinflusst. Diejenigen Schüler:innen, die zu Beginn der Studie über geringe Überwachungsfähigkeiten verfügten, erzielten bei gleichen Ausgangsleistungen und gleicher Intelligenz weniger Lernfortschritte als die anderen begabten Jugendlichen. Die Überwachungsfähigkeiten ließen sich durch ein Zusammenwirken aus Lesestrategiewissen (deklarativem metakognitiven Wissen) und Freude am abstrakten Denken und Problemlösen (Need for Cognition) erklären. Die Überwachung war also dann besonders gut, wenn das nötige Wissen über Lesestrategien vorhanden war und gleichzeitig eine hohe Motivation bestand, dieses Wissen in verschiedenen schwierigen Lernsituation anzuwenden.

Effekt metakognitiver Kompetenzen auf die Schulleistungsentwicklung von begabten Jugendlichen. Darstellung nach Tibken, Richter, von der Linden et al. 2022. 2

Die Ergebnisse der Studie legen nahe, dass geringe metakognitive Kompetenzen bei begabten Jugendlichen einen Risikofaktor für die Entstehung und Verfestigung von Underachievement darstellen.

Wie lassen sich metakognitive Kompetenzen fördern?

Basierend auf den Ergebnissen der oben beschriebenen Studie haben wir ein Trainingsprogramm zur Förderung metakognitiver Kompetenzen für begabte Jugendliche entwickelt. Im Rahmen dieses Trainings soll Wissen über Leseverstehen und Lesestrategien vermittelt und die Planung, Überwachung und Regulation des eigenen Lernens aus Texten eingeübt werden. Das Training wird im Rahmen des Deutschunterrichts durchgeführt und richtet sich an die gesamte Klasse. Aktuell findet die Evaluationsstudie statt, deren erste Ergebnisse wir im Herbst 2024 erwarten. Bei positiver Evaluation soll das Training einen weiteren Baustein für die Prävention von und Intervention bei Underachievement darstellen.

Die Förderung metakognitiver Kompetenzen stellt einen vielversprechenden Ansatzpunkt für die Unterstützung von Underachievern dar. Lehrkräfte sollten entsprechend neben fachlichen Inhalten auch Lern- und Lesestrategien im Unterricht vermitteln und die Schüler:innen zur Planung, Überwachung und Regulation ihrer eigenen Lernprozesse anregen. Das Lernen aus Texten eignet sich dabei an weiterführenden Schulen gut für die Vermittlung metakognitiver Kompetenzen, da es in verschiedenen Schulfächern eine zentrale Grundlage für einen erfolgreichen Wissenserwerb bildet.

Zum Weiterdenken

  • Wie unterstützen Sie begabte Schüler:innen dabei, metakognitives Wissen aufzubauen?
  • Welche Methoden könnten Sie im Unterricht nutzen, um Ihren Schüler:innen Gelegenheit zu geben, ihren Lernprozess zu reflektieren?
  • Wie könnten Sie begabte Schüler:innen motivieren, sich selbst Lernziele zu setzen und passende Strategien zu wählen, um diese zu erreichen?