Hochbegabte unterstützen

Schule

Das Drehtürmodell – eine Maßnahme der Begabtenförderung

Das Drehtürmodell ist eine Methode der Begabtenförderung, die in den Bereich des Enrichments fällt. Es ist dadurch gekennzeichnet, dass ein:e oder mehrere Schüler:innen für eine bestimmte Zeit den Regelunterricht verlassen und an einem Förderangebot teilnehmen.

Von: Andrea Fiebeler


Allgemeines zum Drehtürmodell

Das Drehtürmodell lässt sich in verschiedenen Organisationsformen anbieten. Beispielsweise als regelmäßiges wöchentliches Angebot von ca. zwei Schulstunden, als ganztägige Förderung oder flexibel in der Absprache mit Fachlehrer:innen über mehrere Tage oder Monate. Allerdings ist es wichtig, dass die Maßnahme konstant über mindestens ein Schuljahr hinweg angeboten wird, um wirkungsvoll zu sein.

Ebenso gibt es vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten hinsichtlich der Zusammensetzung. Das Drehtürmodell eignet sich sowohl als Fördermaßnahme für einzelne als auch mehrere Schüler:innen und dementsprechend verschiedene Arbeitsformen wie Einzelarbeit, Zweierarbeit oder Gruppenarbeiten. Richtet sich das Drehtürmodell an mehrere Schüler:innen, gibt es zwei Alternativen: das jahrgangsspezifische oder das jahrgangsübergreifende Angebot. Beide Varianten bieten den Schüler:innen kognitive Herausforderungen, erhöhen die Motivation, beugen einer Unterforderung vor und ermöglichen einen Austausch mit Gleichgesinnten. Darüber hinaus verstärkt jedoch das jahrgangsübergreifende Drehtürmodell die Persönlichkeitsentwicklung, indem sich jüngere und ältere Schüler:innen zusammenfinden, voneinander lernen und sich neue Strukturen und Gruppendynamiken ergeben können. In diesen können die Schüler:innen neue Rollen einnehmen und anderes Feedback erhalten als in ihrer gewohnten Konstellation innerhalb der Klasse.

Zwei Beispiele:

Khalid erfährt in seiner Klasse regelmäßige Bestätigung, weil er in Deutsch und Englisch der Beste ist und über Fähigkeiten und Kompetenzen verfügt, die über seine Klassenstufe hinausreichen. Nimmt Khalid nun an einem Drehtürmodell zur englischen Literatur teil, in dem er auf ältere Schüler:innen trifft, kommt er in eine neue Situation: Er ist nicht sofort „wie gewohnt“ der Experte, sondern derjenige, der von den Älteren lernt und mit dem neuen Gefühl konfrontiert ist, etwas nicht zu wissen. Nun muss er einen Weg finden mit zwei Herausforderungen zurecht zu kommen – mit dem fachlichen Niveau und der neuen Lernsituation in der Gruppe. Zunächst beobachtet Khalid die Situation, verfolgt Gespräche der anderen aufmerksam und beginnt mehr englische Bücher zu lesen, englische Hörspiele zu hören, bis er von sich glaubt, dass er „bei den Großen“ mithalten kann. Als er sich das erste Mal an ihren Gesprächen beteiligt, erhält er von ihnen positives Feedback und erstaunte Reaktionen zu seinen Englischkenntnissen. Dadurch empfindet Khalid Stolz und Anerkennung, die ihn motivieren, sich weiter anzustrengen und einen Schub für seinen Selbstwert und seine Persönlichkeitsentwicklung geben.

Philine gehört in ihrer Klasse zu einer Gruppe von guten bis sehr guten Schüler:innen. Diese zeigen ihre Stärken und Begabungen in verschiedenen Fächern. Philine mag es allerdings nicht, in der großen Klassengemeinschaft um Aufmerksamkeit oder Anerkennung zu kämpfen, indem sie sich zuerst meldet oder um die beste Antwort duelliert. Sie zieht sich eher zurück und überlässt die mündlichen Beiträge den anderen. Im Drehtürmodell arbeitet sie mit zwei Älteren an einem Projekt. Hier zeigt sie sich aktiv, motiviert und nimmt an der ein oder anderen Stelle die Führungsrolle ein.

Gestaltungsmöglichkeiten des Drehtürmodells

Neben diesen vielfältigen Organisationsformen bieten sich auch verschiedene inhaltliche Gestaltungsmöglichkeiten an:

  • Die Schüler:innen arbeiten an einem eigenen, frei gewählten Thema (Projektarbeit), für das sie zu einem bestimmten Zeitpunkt stunden- oder tageweise freigestellt werden.
  • Sie besuchen regelmäßig stattfindende, kursähnliche Angebote (beispielsweise donnerstags 2. und 3. Stunde), die von Lehrpersonen oder älteren Schüler:innen durchgeführt werden, wie z. B. Knobelkurs in Mathematik, kreatives Schreiben, Englische Literatur, Forschen & Experimentieren, Philosophieren mit Kindern, Architektur, Teilnahme an Wettbewerben u. v. m.) oder
  • es wird als Differenzierungsangebot aus dem Regelunterricht genutzt, sodass Schüler:innen zu zweit oder in einer Kleingruppe vertiefende oder ergänzende Aufgabenstellungen bearbeiten können, ohne die anderen Mitschüler:innen zu stören.

Organisationales

Die verschiedenen, kursähnlichen Angebote des Drehtürmodells können entweder von Lehrpersonen, älteren Schüler:innen, außerschulischen Expert:innen oder Eltern, die ehrenamtlich in der Schule die Begabtenförderung unterstützen, durchgeführt werden. Besonders gewinnbringend ist es, wenn Lehrpersonen oder ältere Schüler:innen ihre eigenen Interessen, Stärken und Begabungen in ein Angebot des Drehtürmodells einbringen und so die teilnehmenden Schüler:innen mit ihrer Leidenschaft für ein Themen- oder Fachgebiet anstecken oder gemeinsam mit ihnen ihre Fachexpertise erweitern und fachsimpeln. Die Schüler:innen, die selbstständig in der Drehtür arbeiten, müssen nicht unbedingt von Lehrpersonen oder älteren Schüler:innen beaufsichtigt werden – dies hängt vom Thema, der Arbeitsform und den Schüler:innen ab. Wichtig ist jedoch, dass die Schüler:innen während ihrer Projektarbeit eine Ansprechperson haben, die sie mit regelmäßigen Reflexionsgesprächen begleitet oder bei Herausforderungen unterstützt.

Wesentlich bei allen Maßnahmen der Begabtenförderung, wie auch bei der Drehtür, ist die Anerkennung der besonderen Leistungen oder des Einsatzes der Schüler:innen. Erst wenn Stärken und Leistungen, die Begabungen der Schüler:innen in der Schule anerkannt und sichtbar gemacht werden, werden solche Angebote wie eine Drehtür von den Schüler:innen auch angenommen. Sie können sich frei entfalten und ihr Potenzial zeigen, weil sie wissen, dass ihre Leistungen willkommen sind, sie sich nicht verstecken oder Angst vor Ausgrenzung, Neid, Missgunst oder anderen negativen Konsequenzen haben müssen.

Welche Umsetzungsformen der Anerkennungskultur eignen sich für die Drehtür?

Hier eignet sich je nach oben beschriebenem Format sowohl die Bewertung durch eine Note in dem Fach, das beispielsweise thematisch am besten zu der Projektarbeit passt oder aus dem Fach, aus dem die Differenzierungsaufgaben stammen als auch eine Präsentationsmöglichkeit. Das Ergebnis oder die Reflexion einer Präsentation oder ein Beitrag aus einem kursähnlichen Angebot können z. B. in der eigenen oder einer anderen Klasse oder bei einem Talenttag oder vor Eltern, Mitschüler:innen und Fachlehrpersonen vorgestellt werden. Sichtbare Aushänge, Informationen oder Präsentationsflächen in der Schule eignen sich ebenfalls sehr gut.

Ein besonderer Aspekt der Anerkennungskultur einer Schule ist es, dass sich die Schüler:innen sicher sein können, wenn die Drehtür als Fördermaßnahme ausgewählt und vereinbart wurde, sie wirklich den Unterricht verlassen dürfen und nicht doch negatives Feedback oder Ärger von ihren anderen Lehrpersonen zu erwarten haben. Daher ist es sehr wichtig, den Schüler:innen, die von solchen Situationen oder Erlebnissen berichten, Vertrauen zu schenken und sie bei Gesprächen mit Kolleg:innen zu unterstützen.

Für welche Schüler:innen ist die Drehtür das passende Förderformat?

Grundsätzlich ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass jede Form der Förderung im Dialog mit einem/r Schüler:in entwickelt, geplant und durchgeführt werden sollte – nicht für ihn oder sie! Nur wenn eine Fördermaßnahme individuell passt, der/die Schüler:in aktiv Einfluss auf die Gestaltung und die Entscheidung nehmen kann, wird sie/er dafür Verantwortung übernehmen und diese gerne annehmen und besuchen. Darüber hinaus gibt es dennoch Voraussetzungen, die ein:e Schüler:in erfüllen oder lernen sollte, damit das Drehtürmodell sinnvoll und positiv für die Begabungs-, Lern- und Persönlichkeitsentwicklung sein kann. Diese Voraussetzungen unterscheiden sich zwischen einem angeleiteten Angebot und einem Drehtürmodell als selbstständige Arbeitsphase. Kriterien für die Teilnahme am Drehtürmodell als fachspezifisches angeleitetes Angebot sind:

  • Selbstständige Verarbeitung von Informationen und deren Verknüpfung mit vorhandenem Wissen,
  • abstraktes Vorstellungsvermögen und analytisches Denken,
  • Originalität bei der Entwicklung von Ideen und ungewöhnlichen, eigenständigen Lösungswegen,
  • hohe Leistungsbereitschaft bei hohen Anforderungen,
  • Begeisterung und Leidenschaft für ein oder mehrere Themen oder Fachgebiete,
  • Forscherdrang und hohe Motivation,
  • strategische Arbeitsweise,
  • Sprachgefühl und Wortgewandtheit.

Kriterien für die Teilnahme am Drehtürmodell als selbstständige Arbeitsphase ohne Aufsicht eines Erwachsenen sind:

  • Hohe Leistungsbereitschaft bei hohen Anforderungen,
  • Bedarf an weiterführenden, vertiefenden Aufgabenstellungen,
  • Zuverlässigkeit und Verantwortungsgefühl,
  • selbstständige und strategische Arbeitsweise,
  • selbstständige Verarbeitung von Informationen und deren Verknüpfung mit vorhandenem Wissen,
  • abstraktes Vorstellungsvermögen und analytisches Denken,
  • Originalität bei der Entwicklung von Ideen und ungewöhnlichen, eigenständigen Lösungswegen,
  • Sprachgefühl und Wortgewandtheit,
  • Begeisterung, Leidenschaft für ein oder mehrere Themen oder Fachgebiete.

Möchten allerdings Schüler:innen an einer Drehtür teilnehmen, die bisher noch nicht zur Zielgruppe zählten, ist es ratsam sie schnuppern oder auf Probe teilnehmen zu lassen.

Wichtige Hinweise zur Durchführung

Teilnehmende Schüler:innen sollten nicht die Aufgaben nacharbeiten müssen, die sie im gleichzeitig stattfindenden Regelunterricht verpasst haben. Es sei denn, sie verlassen den Unterricht in einem Fach, in dem sie (noch) nicht so leistungsstark sind, weil es sich nicht anders organisieren lässt. Dann sollten sie in dem Fach, in dem sie eigentlich gefordert werden sollten, ihre Aufgaben nacharbeiten.

Beispiel

Saskia ist mathematisch sehr begabt. Sie nimmt an einem Drehtürangebot teil, das an einem Donnerstag in der 2. und 3. Stunde liegt – Mathe knobeln mit einem Oberstufenschüler. Sie verpasst in der 2. Stunde Englisch und in der 3. Stunde Mathe. Englisch ist nicht Saskias Stärke. Deshalb arbeitet sie den verpassten Stoff des Englischunterrichts im Matheunterricht in der 4. Stunde nach.

Bei Klassenarbeiten, Tests oder Klausuren sind die Schüler:innen in der Regel anwesend. Alternativ können Ersatzleistungen zwischen Schüler:innen und Lehrpersonen vereinbart werden. Um wichtige Informationen und Material während der Abwesenheit im Regelunterricht zu erhalten, ist es empfehlenswert eine Organisationshilfe einzurichten, z. B. ein Fach, in dem alle Unterlagen oder wichtige Informationen gesammelt werden.

Bei der Drehtür als Projektarbeitszeit ist es notwendig einen Raum festzulegen, in dem die Schüler:innen arbeiten dürfen. Zur leichteren Organisation sollte der Schlüssel für diesen Raum an einem zentralen Ort, beispielsweise im Sekretariat deponiert werden. Damit alle mit dem Raumambiente, den Unterlagen oder Materialien achtsam umgehen, sollten kurze aber eindeutige Regeln für die Nutzung des Raumes aufgestellt und mit den Schüler:innen eine Lernvereinbarung geschlossen werden.

Tipps für den Start und die Durchführung – kleine Schritte!

Es ist sehr zu empfehlen, mit einzelnen Schüler:innen oder Jahrgängen zu starten, die man selbst unterrichtet oder gleichgesinnte Kolleg:innen unterrichten (3./4. Klasse oder 7./8. Klasse oder 5-8 Schüler:innen). Um ein kursähnliches Drehtürmodell zu initiieren, gibt es verschiedene Vorgehensweisen: Die Auswahl des Angebotes richtet sich nach den Interessen der Kolleg:innen (Wer hat Lust zu welchem Thema ein Drehtürmodell anzubieten?) oder nach den Bedarfen/Interessen der Schüler:innen (vielleicht gibt es schon im naturwissenschaftlichen Bereich einige Angebote und sie wünschen sich eine Förderung im sprachlich-künstlerischen Bereich). Für die Durchführung/Leitung eines solchen Angebotes eignen sich auch besonders begabte oder hochbegabte Schüler:innen der Oberstufe. Indem sie eine Drehtür für jüngere Schüler:innen anbieten, ist es zugleich auch für sie ein Angebot der Begabtenförderung. Die älteren Schüler:innen können so die Funktion von Mentor:innen übernehmen, sich mit einem vertiefenden Themengebiet auseinandersetzen, das sie selbst begeistert und neben dem Regelunterricht ein Forderung darstellt.

Alle in ein Boot – Die Schulleitung und das Kollegium

Sehr wichtig ist es, vor dem Startschuss die Schulleitung mit ins Boot holen. Dazu ist es hilfreich bereits ein kleines, aber möglichst genaues Konzept vorlegen zu können. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor für die langfristige und nachhaltige Etablierung der Fördermaßnahme ist die Einbindung der Kolleg:innen und Informationsweitergabe an diese. Je nach Stimmung und bewährter Tradition im Kollegium kann dabei entweder der Weg hilfreich sein, erst einen kleinen Kreis zu informieren, der sich langsam ausweitet oder im Vorfeld eine transparente Information an alle Kolleg:innen herauszugeben. Das hängt von der einzelnen Schule und den bisherigen Gewohnheiten ab.

Manchmal ist es notwendig Skeptiker oder Bremser vom Sinn, Nutzen und dem Erfolg einer solchen Maßnahme zu überzeugen: Eine Möglichkeit besteht darin, gezielt von positiven Beispielen und Erfahrungen im Alltag im Lehrerzimmer oder auf einer Konferenz zu berichten. Der andere Weg ist es, das Drehtürmodell mit den Schüler:innen zu beginnen, die ihre Begabungen sichtbar in Leistungen zeigen, sich im Unterricht unterfordert zeigen und gleichzeitig aber sehr zuverlässig sind. Sobald bei ihnen der erste Erfolg sichtbar und die Unterforderung weniger wird, sind viele anfangs unsichere oder skeptische Lehrpersonen davon überzeugt, ihnen den Freiraum geben zu können und die Förderung unterstützen zu wollen. Im nächsten Schritt, wenn das Angebot gut angelaufen ist, sollten dann die Schüler:innen angesprochen und in den Blick genommen werden, die im Regelunterricht (negativ) auffallen oder geringe Leistungen zeigen. Ihre positive Entwicklung sollte so oft und so sichtbar wie möglich dargestellt werden.