Hochbegabung verstehen

Kita

Wie kann inklusive Pädagogik in der Kita gelingen?

Inklusion und Begabungsförderung sind zwei große Themenbereiche in der Pädagogik, die viele Anhaltspunkte für die pädagogische Praxis bieten: Eine inklusive und begabungsgerechte Pädagogik kann dabei helfen, Kita-Kinder individuell in ihren Begabungen zu erkennen und zu fördern.

In diesem Artikel wird zunächst eine breite Definition von Inklusion vorgestellt und anschließend der Inklusionsindex als Hilfestellung für eine inklusive pädagogische Praxis. Schließlich wird es darum gehen, wie Inklusion in der Kindertagesstätte verwirklicht werden könnte und wie Begabungsförderung damit zusammenhängt.

Von: Tahereh Yarmohammadi Pour


Bild: iStock/FatCamera

Inklusion und Begabungsförderung: Eine Einleitung

Inklusion bedeutet im Allgemeinen die Ermöglichung von Teilhabe für alle Individuen 1. Dies hat eine große Relevanz für die frühe Kindheit, da dadurch Bildung und Bildungserfolg, einhergehend mit Begabungsförderung, ab dem Kita-Alter ermöglicht werden können. Nach der UN-Kinderrechtskonvention sollten Teilhabe und Partizipation „im Sinne von sozialer Zugehörigkeit und von demokratischer Mitbestimmung sowie der Möglichkeit zur Entfaltung des eigenen Entwicklungs- und Bildungspotenzials“ 1 gefördert werden. Eine breite Definition von Inklusion, die Partizipation und Teilhabe für alle Kinder umfasst, zielt also darauf ab, „die gesellschaftliche Teilhabe für alle Kinder zu gewährleisten.“ 2

Das oberste Ziel von Inklusion ist es, Ausschluss zu verhindern. Dabei kann Ausschluss als alle „zeitweiligen und längerfristigen Kräfte, die einer vollen Partizipation entgegenwirken“ 3 definiert werden. Diese Perspektive ist eine entscheidende Voraussetzung dafür, dass auch Kinder mit hohen kognitiven Begabungen unabhängig vom sozioökonomischen Hintergrund erkannt und gefördert werden. Die Förderung von (Hoch-)Begabung ist demnach keine „Elitenförderung“ 2. Vielmehr sollte damit einhergehen, Kinder, die von sozialer Ungleichheit betroffen sind, besonders in den Blick zu nehmen sowie armuts- und ungleichheitssensibel zu handeln.

Eine inklusive Begabtenförderung bedeutet an dieser Stelle, dass alle Kinder individuell in ihren Begabungen erkannt und gefördert werden. Für die pädagogische Arbeit ist ein stärken- und ressourcenorientierter Blick auf die Kinder sowie die Reflexion eigener Erwartungen und Normvorstellungen eine Voraussetzung für diese individuelle Förderung. Dies bedeutet, dass Unterschiede zwischen Kindern als Teil ihrer gesamten Persönlichkeit im pädagogischen Alltag berücksichtigt werden. Alle Kinder sind heterogen, auch (Hoch-)Begabte, die oft als homogene Gruppe dargestellt werden. Verschiedenheiten können dabei in Interessenbereichen der Kinder, intellektuellen oder sprachlichen Fähigkeiten und Kompetenzen sowie den sozioökonomischen Hintergründen der Familien liegen.

Ebenso sollten Wandel und Entwicklung als wichtige Bestandteile von Inklusion anerkannt werden. Damit sind Veränderungen von Rahmenbedingungen in der Institution Kita, im pädagogischen Team sowie der ständige Wechsel von Kindern mit individuellen Interessen, Persönlichkeiten und Begabungen gemeint. In Anbetracht dessen gilt: „Vollkommene Inklusion ist ein Ideal, nachdem Einrichtungen streben können, das aber niemals komplett verwirklicht werden kann“ 3. Ähnlich wie die Realisierung von Inklusion kann auch die vollkommene Erfüllung einer Begabungsförderung aller individuellen Begabungen von Kindern als Herausforderung angesehen werden, die ständig hergestellt werden sollte.

Der Inklusionsindex in der Kita

Der Inklusionsindex, der ursprünglich aus dem Schulkontext stammt, kann ein Beispiel dafür liefern, wie Inklusion in der pädagogischen Praxis umgesetzt werden könnte. Die Grundvoraussetzung dafür ist, dass Partizipation und Mitsprache für alle Akteur:innen in der Kindertagesstätte ermöglicht werden. Dazu gehören Kinder, Eltern, pädagogische Fachkräfte und weitere Mitarbeiter:innen in der Einrichtung. Daher ist die Arbeit mit dem Index ein „gemeinsames Unternehmen“ 3 dieser Akteur:innengruppen.

Für die Entwicklung einer inklusiven Pädagogik ist ein Planungsrahmen von Bedeutung. Dieser Planungsrahmen umfasst drei Dimensionen des Index: „Inklusive Kulturen entfalten, Leitlinien etablieren und inklusive Praxis entwickeln.“ 3 Jede dieser Dimensionen kann ausdifferenziert und jeweils in verschiedene Aufgaben unterteilt werden. Dimension A „Inklusive Kulturen entfalten“ zielt auf die Entwicklung einer gemeinsamen Einrichtungskultur ab, in der Werte für die pädagogische Arbeit verankert werden. Voraussetzung dafür ist die Bildung von gemeinschaftlichen, partnerschaftlichen Beziehungen zwischen Kindern, Eltern und Mitarbeiter:innen in der Einrichtung. Darauf kann anschließend Dimension B und somit die Entwicklung inklusiver Leitlinien aufbauen. Dies bedeutet die Ermöglichung von Partizipation für alle Akteur:innen sowie die Unterstützung von Vielfalt. Beispielsweise kann die Vielfalt der Kinder durch individuelle Förderung von den pädagogischen Fachkräften gestärkt werden.

Schließlich mündet der Planungsrahmen in der Entwicklung einer inklusiven Praxis (Dimension C). Im Rahmen dieser Umsetzung werden Spiel und Lernen nach den genannten Leitlinien und der Vielfalt der Kinder gestaltet.

Entscheidend dafür ist die Mobilisierung von Ressourcen. Dabei kann es sich um materielle, als auch immaterielle Ressourcen von Kindern, Eltern und Mitarbeiter:innen handeln, die Spiel, Lernen und Partizipation fördern 3. Beispielsweise können die Gestaltung der Lernumgebung in der Kita und die Entwicklung von individuellen Lernangeboten förderlich sein.

Die Rolle der Kita für inklusionsorientierte Arbeit

Für das Erkennen von Begabungen spielt das Umfeld von Kindern eine entscheidende Rolle. Bereits die Bildungsinstitution Kita hat einen großen Einfluss darauf, ob Kinder mit ihren individuellen Voraussetzungen erkannt, wertgeschätzt und gefördert werden. Dafür sind die Fördermöglichkeiten und Umweltbedingungen von Kindern entscheidend, die unter ihrer partizipativen Mitsprache, an ihren individuellen Bedürfnissen und Interessen orientiert sein sollten.

Um Kindern im Kita-Alltag Teilhabe zu ermöglichen, ist es von Bedeutung, „Barrieren für Spiel, Lernen und Partizipation“ 3 zu erkennen. Mögliche Barrieren können Vorurteile, Stereotypisierungen oder Beobachtungsfehler seitens pädagogischer Fachkräfte sein. Zusätzlich können fehlende Beziehungen zu pädagogischen Fachkräften und anderen Kindern oder Desinteresse Kinder daran hindern, zu partizipieren. Diese Barrieren können gleichzeitig als Hindernisse für eine freie Begabungsentfaltung fungieren.

Besonders wichtig ist es, Kindern ein Gefühl der Wertschätzung zu vermitteln 4. Auch die Stärkung inklusiver Haltungen von pädagogischen Fachkräften und inklusive Organisationsstrukturen in der Kita können für Kinder partizipative Umgebungen und Orte der Begabungsentfaltung schaffen. Ebenso erweist sich dabei eine Vernetzung zwischen Familien und Kitas, den zwei entscheidenden Lernumgebungen der Kinder, als förderlich. Ein ständiger Dialog und Austausch zwischen diesen wichtigen Bezugsgruppen der Kinder sollte aufrechterhalten werden.

Ein Austausch ist beispielsweise in Hinblick auf Bildungsangebote wichtig, vor allem, wenn Familien von sozialer Ungleichheit betroffen sind. Besonders Kinder aus einkommensarmen Familien profitieren von inklusiver Förderung und abwechslungsreichen Bildungsmöglichkeiten 4.

An der Auswahl und Gestaltung verschiedener Angebote sollten alle Kinder nach inklusivem Verständnis, mit ihren individuellen Interessen und Begabungen, teilhaben können. Eine bedürfnisorientierte Begleitung durch pädagogische Fachkräfte bei der Begabungsentfaltung und bei Bildungsprozessen der Kinder ist dabei wichtig. Anstatt sich allerdings ausschließlich auf die Erkennung und Förderung hoher kognitiver Begabungen (Hochbegabung) zu fokussieren, sollte immer die Gesamtentwicklung – gemeinsam mit den individuellen Begabungsprofilen der Kinder – in den Blick genommen werden.

Wenn allen Kindern bereits in der Kita mit einer inklusiven Pädagogik begegnet werden würde, könnte es gelingen, dem Thema Begabungsförderung Schritt für Schritt näherzukommen.