Hochbegabte unterstützen

Kita

Fragen zum Schulanfang

Bei den einen kommt er früher, bei den anderen später – irgendwann landet er aber auf jeden Fall im Briefkasten: der offizielle Brief für die Schulanmeldung. Spätestens dann sehen sich Eltern und Kinder mit dem gern zitierten „Ernst des Lebens“ konfrontiert und fragen sich: Wird es jetzt wirklich so ernst? Wie gestaltet sich der Schulanfang? Was kann ich meinem Kind bis dahin noch mitgeben? Ist es bereit? Wie wird es in der Schule? Oder auch: Wann geht es endlich los?

Von: Claudia Pauly


iStock/ThomasVogel

Jedes Jahr stellen sich Erzieherinnen und Erzieher aufs Neue darauf ein, Kinder an die Schule zu übergeben. Und die Lehrkräfte bereiten sich darauf vor, diese Kinder als zukünftige Erstklässler:innen aufzunehmen und sie in ihrem neuen Lebensabschnitt zu begleiten.

Obwohl sich dieser Prozess Jahr für Jahr wiederholt, ist er doch für jedes Kind (und seine Familie) etwas Einzigartiges und bringt viel Unbekanntes mit sich. Bei Kindern mit hohen Begabungen stellen sich dabei manchmal ein paar mehr oder auch ganz spezielle Fragen. Im folgenden Artikel möchten wir einige davon aufgreifen und praxisnah beantworten.

Kann man schon vor der Schule erkennen, ob ein Kind hochbegabt ist?

Intelligenz, die in starkem Zusammenhang mit Hochbegabung gesehen wird, lässt sich erst ab einem Alter von ca. 5 Jahren relativ stabil messen. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, im Kita-Alter noch nicht von „Hochbegabung“ zu sprechen, sondern eher von einer hohen kognitiven Begabung. Tendenzen lassen sich allerdings durchaus schon beobachten – manche Kinder haben zum Beispiel auffällig viele und tiefgehende Fragen oder stark ausgeprägte Spezialinteressen, in denen sie regelrechte Expert:innen sind. Es gibt aber nicht das typische hochbegabte Vorschulkind. Hochbegabte Kinder sind so vielfältig wie alle anderen Kinder auch.

Wie kann man Kinder mit hoher kognitiver Begabung schon vor der Schule richtig fördern?

Für eine angemessene Förderung braucht es den aufmerksamen Blick auf das einzelne Kind: Wofür interessiert es sich? Mit welchen Themen ist es gerade beschäftigt? Aus diesem Grund sind pädagogische Verfahren zur Diagnostik von hoher Relevanz. Sie erlauben gezielte Beobachtung und Reflexion des Beobachteten, sodass das Erkennen von Interessen und Begabungen nicht allein der Gelegenheit oder dem Zufall überlassen bleibt. Solche Beobachtungen können wirksam in den Kita-Alltag einfließen. Hilfreich ist es, wenn Beobachtungen und Dokumentationen nicht defizitorientiert erfolgen, sondern wenn nach Stärken und Fähigkeiten gesucht wird. Ein solcher Fokus erlaubt die gezielte Unterstützung von Potenzialen und schafft durch seinen positiven Blickwinkel die Basis für eine vertrauensvolle Beziehungsarbeit (auch mit den Eltern).

Spezielles Material ist für die Förderung hoher Begabungen eigentlich nicht nötig. Vielmehr sind es pädagogische Methoden, die dabei hilfreich sind. Beispiele dafür sind das Frühe Service Learning, bei dem sich Kinder Wissen zu Themen, die sie interessieren, aneignen und an andere Kinder und Erwachsene weitergeben oder Projektarbeiten. Eine gute Möglichkeit ist es zudem, den umgebenden Sozialraum zu nutzen, also mit Kindern Orte in der Umgebung zu besuchen, die erkundet werden können (z. B. Museen, Feuerwehrwachen oder das örtliche Blumenfachgeschäft).

Manchmal finden im Kita-Alltag Begabungen nicht genug Raum. Dies kann an mangelnden personellen Kapazitäten liegen, aber auch daran, dass das Thema „Begabung“ dort noch immer keinen ausreichenden Stellenwert hat. Die Förderung von hohen Begabungen ist aber ein wesentlicher Teil von Inklusion, und Einrichtungen, die sich darauf verstehen, stellen meist „automatisch“ viele verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung, die Kindern das Erforschen und Entfalten ihrer Potenziale eröffnen.

Nicht zu unterschätzen für die Potenzialentfaltung ist weiterhin, dass die Kita idealerweise einen Ort des Wohlbefindens und der Sicherheit ist. Hier rücken die Beziehungen zu den Fachkräften und den anderen Kindern und damit ein gutes und wertschätzendes Gruppenklima in den Vordergrund.

Sollte man Kinder mit hohen Begabungen früher einschulen?

Diese Frage muss, wie so viele andere in diesem Kontext, individuell beantwortet werden. Es hängt immer sehr von dem Gesamt-Entwicklungsstand und den individuellen Bedingungen eines Kindes ab, ob eine vorzeitige Einschulung angezeigt ist oder nicht. So können Kinder zum Beispiel in ihrem Lerntempo weit voraus, jedoch in der Entwicklung metakognitiver Kompetenzen wie der Stressbewältigung oder der Eigenmotivation auf einem anderen Stand sein. Oder ein Kind benötigt noch etwas Zeit, sich im sozialen Miteinander weiterzuentwickeln. Daraus ergibt sich, dass ein vorgezogener Schulstart nicht immer die beste Lösung ist, wenn es um die angemessene Förderung von begabten Kindern geht.

Die Kita ist zudem nicht nur ein Ort der Betreuung, sondern genauso ein Bildungsort. Entsprechend bieten sich hier viele Möglichkeiten, Wissensdurst und Entwicklungsbedarfe von Kindern zu berücksichtigen (mehr dazu unter diesem Link).

Was mache ich, wenn das Kind schon Lesen, Schreiben und Rechnen lernen möchte?

Manchmal findet sich bei Eltern und Fachkräften noch die Vorstellung, dass die Kita nicht der richtige Ort sei, um lesen und schreiben zu lernen: In der Kita sollten Kinder vor allem spielen und sich erst in der Schule mit dem „Ernst des Lebens“ befassen.

Natürlich ist das Spiel enorm wichtig für die Entwicklung. Es hat einen ganz eigenen Bildungswert, und über das Spiel können sich Kinder auf ihre Weise Themen erschließen und ihren (Spezial-)Interessen nachgehen. Wenn Kinder sich aber für Themen – wie zum Beispiel Lesen oder Schreiben – interessieren, die Erwachsene klassischerweise dem Schulbereich zuordnen würden, sollten sie dennoch nicht gebremst werden. Kinder lernen aus sich selbst heraus fortlaufend, und gerade besonders begabte Kinder haben nicht selten eine andere Sichtweise darauf, welche Themen für wen geeignet sind. Eine Begrenzung ihrer natürlichen Interessen wäre kontraproduktiv. In vielen Kitas hat sich dieses Bewusstsein allerdings inzwischen schon etabliert.

Einige Eltern oder Erzieher:innen treibt auch die Sorge um, dass Kinder, die vor Schuleintritt schon Lesen, Schreiben oder Rechnen gelernt haben, in der Schule gelangweilt sein könnten. Den einzig richtigen Zeitpunkt für den Erwerb solcher Fähigkeiten und Fertigkeiten gibt es aber nicht. Die (durchaus relevante) Problematik möglicher Unterforderung sollte also nicht an das Kind abgegeben werden, sondern die Lösung dafür sollte in einem individualisierten und zum Beispiel binnendifferenzierenden Grundschulunterricht gesucht werden. Denn dann können Kinder auch in der Schule in ihrem eigenen, in diesem Fall schnelleren, Tempo weiterlernen.

Wie können Kitas besonders begabte Kinder auf die Schule vorbereiten?

Kitas, die nach inklusiven Prinzipien arbeiten, können mit dem Thema „Begabung“ oft gut umgehen, denn die Berücksichtigung hoher Begabungen wird dort als Teil des pädagogischen Konzepts verstanden. Entsprechend können sich besonders begabte Kinder in diesen Einrichtungen gut entwickeln und gehen gestärkt in die Schule. Nicht nur, aber gerade auch im Vorschulalter bietet es sich zudem an, Projektarbeit zu nutzen, denn die Arbeit in Projekten (die natürlich von pädagogischen Fachkräften eng begleitet werden) stärkt zum einen Fähigkeiten bezüglich der Selbststrukturierung, Eigenverantwortung und Gruppenarbeit, die für die Schule wichtig sind. Zum anderen können sich Kinder dabei entsprechend ihrer Stärken einbringen. Hilfreich ist es, wenn die Projektthemen nicht (nur) vorgegeben werden, sondern sich an den Interessen der Kinder orientieren. Weiterhin sind Lern- bzw. Forscherwerkstätten, in denen die Kinder relativ frei forschen und sich für sie spannenden Materialien zuwenden können, eine gute Möglichkeit, Kinder auf ihrem aktuellen Stand zu fördern und sie gleichzeitig auf die Schule vorzubereiten.

Nicht zuletzt braucht es eine wertschätzende Haltung gegenüber Kindern, die viel fragen, vielleicht auch viel einfordern. Einige Erwachsene geraten beispielweise unter Druck, wenn Kinder auf bestimmten Gebieten sogar versierter sind als sie selbst. Aus der Not heraus versuchen sie dann, deren Interessen zu begrenzen. Kindern vermittelt das allerdings früh den Eindruck, dass sie so wie sie sind, nicht richtig sind. Möglicherweise zeigen sie ihre Interessen und Begabungen bald nicht mehr so deutlich, ziehen sich zurück oder reagieren mit auffälligem Verhalten. Eine solche Entwicklung bietet keine gute Ausgangslage für den Übergang in die Schule und sollte in jedem Fall vermieden werden.

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Die Herausforderung, den Übergang in die Schule zu meistern, kann durchaus etwas Positives sein.

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Wie können Eltern sich und ihre Kinder auf den Schuleintritt vorbereiten?

Umbrüche und Übergänge in der kindlichen Bildungsbiografie können aufregend und freudvoll, aber auch mit Befürchtungen belastet sein. Eltern haben nicht selten ein wenig Angst vor dem, was sie und ihre Kinder beim Schulstart erwartet. Gerade, wenn sich wegen einer hohen Begabung vielleicht schon vor dem Schuleintritt beim Kind Bedarfe ergeben haben, denen die Kita nicht gut nachgehen konnte, fragen sich Eltern zum Beispiel, ob ihr Kind mit seinem hohen Wissensdurst und schnellen Lerntempo in der Schule gut aufgehoben ist.

Hier kann es helfen, dass sich Eltern auf die Bereiche konzentrieren, die sie in dieser Situation selbst in der Hand haben. Sie haben keinen Einfluss darauf, von welchen Lehrpersonen ihr Kind unterrichtet wird, mit welcher Einstellung ihrem Kind begegnet wird, wie die Zusammensetzung der Klasse ist. Sie können zudem noch nicht vollkommen absehen, wie ihr Kind auf die neue Situation reagieren wird. Sie können aber einen gewissen Sicherheitsrahmen für das Kind schaffen, indem sie zum Beispiel anbieten, den zukünftigen Schulweg gemeinsam abzugehen, indem sie zusammen mit dem Kind überlegen, worauf es sich in der Schule freut und versuchen, die zukünftige Schulsituation insgesamt positiv zu besetzen. Dabei ist es für Eltern wichtig, sich die eigene Bildungsbiografie und damit zusammenhängende mögliche schlechte Erinnerungen zu vergegenwärtigen, um sie nicht unbewusst auf das Kind zu übertragen. Kinder agieren als eigenständige Personen mit ihrem ganz eigenen Erfahrungshorizont – und ihnen kann eine ganz andere Schulbiografie offenstehen als ihren Eltern oder auch Geschwistern.

Unterstützend wirkt zudem eine offene Haltung den (zukünftigen) Lehrkräften gegenüber. Es ist hilfreich, erst einmal davon auszugehen, dass sie das Beste für die ihnen anvertrauten Kinder wollen und dass sie bereit sind, entsprechend zu agieren, um das Fundament für eine gute Bildungspartnerschaft zu legen.

Insgesamt lässt sich sagen: Die Herausforderung, den Übergang in die Schule zu meistern, ist zwar aufregend, kann aber eine positive Erfahrung sein. Und manchmal warten insbesondere besonders begabte Kinder sogar sehnlichst auf den Schulstart, weil sie hochmotiviert sind, neue Dinge kennenlernen zu dürfen.

Wie können Kita und Schule beim Übergang der Kinder gut zusammenarbeiten?

Allein durch die Tatsache, dass Kitas und Schulen in der Regel unterschiedlichen Ministerien zugeordnet sind und als System je unterschiedlich organisiert sind, gestaltet sich die Zusammenarbeit beider Institutionen manchmal schwierig. Dennoch haben sich an vielen Orten Netzwerke und kleinere Kooperationen herausgebildet, die den Wechsel von der Kita in die Schule unterstützen. So werden Kinder durch gegenseitige Besuche, Schnuppertage, Drehtürmodelle oder Ähnliches auf ihren Schritt in die neue Bildungswelt vorbereitet. Dabei hilft es, wenn sich die pädagogischen Fachkräfte aus den Einrichtungen auf Augenhöhe begegnen und sie ihre Arbeit gegenseitig anerkennen: Wer Verständnis für die Leistungen und Herausforderungen der jeweils anderen Person hat, kann sich auf Kooperationen besser einlassen und sie entsprechend befördern.

Im Rahmen der Begabtenförderung haben manche Grundschulen oder Kitas auch spezielle Ansprechpartner:innen für dieses Thema installiert. Sie können in besonderer Weise den Kontakt zur jeweils anderen Einrichtung suchen und den Übergang besonders begabter Kinder begleiten und dazu beraten.

Weiterhin können zum Beispiel „Bildungs- und Lerngeschichten“ angefertigt werden, in denen die jeweilige Lernentwicklung mit Texten oder Fotos dokumentiert wird. Sie können mit den Kindern besprochen, in deren Portfolio aufgenommen und an die Schule weitergegeben bzw. in der Schule weitergeführt werden. So können die aufnehmenden Lehrkräfte schon vorab ein gutes Bild davon bekommen, mit welcher Entwicklung Kinder zu ihnen kommen, wobei es gleichzeitig wichtig ist, als Lehrkraft mit keinem allzu vorgefertigten Bild vom jeweiligen Kind zu starten: Kinder betreten die Schule mit einer vorhandenen Bildungsgeschichte – aber ihnen steht gleichzeitig noch ein breiter Raum von Entwicklungsmöglichkeiten offen.

Zum Weiterlesen

In diesem Beitrag wurden bewusst einige ausgewählte Fragen thematisiert. Weitere ausführliche Texte zum Thema Übergang finden Sie hier auf dem Fachportal:

Die oft wenig beachtete Perspektive, wie die Kinder selbst den Übergang von der Kita in die Schule erleben und welche Aspekte dabei besonders relevant sind, thematisiert der Beitrag „Der Übergang von der Kita in die Grundschule“.

Informationen zur vorzeitigen Einschulung finden sich in diesen Beiträgen:

Hinweis

Dieser Artikel basiert auf zwei Folgen von „(hoch)begabt – der Podcast“:

18. Folge: Nachgefragt bei der Karg-Stiftung: Hochbegabung in der Frühen Kindheit – Teil 1

19. Folge: Nachgefragt bei der Karg-Stiftung: Hochbegabung in der Frühen Kindheit – Teil 2